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- DAZ 5/2010
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Atherosklerose
"Die Atherosklerose ist eine besiegte Krankheit!"
DAZ Herr Professor Bhakdi, erläutern Sie doch einmal kurz die Kernpunkte der Mainzer Hypothese.
Bhakdi: Die Mainzer Hypothese besagt, dass sich eine Atherosklerose und die damit verbundenen Entzündungsprozesse nur dann entwickeln, wenn das physiologische Cholesterin-Entsorgungssystem überlastet ist. Die Schlüsselrolle spielt hier LDL (low density lipoprotein), das den lebensnotwendigen Transport von Cholesterin im Körper ermöglicht. Jedes LDL-Molekül ist ein Aggregat von mehreren Tausend Molekülen Cholesterin, das zusammen mit Phospholipiden von einer Proteinhülle, dem Apolipoprotein B umgeben ist. Bei Bedarf wird LDL über zellständige Rezeptoren in die Zelle aufgenommen. Dort wird dann das Cholesterin mithilfe von lysosomalen Enzymen ausgepackt.
An undichten Stellen im Gefäßsystem kann LDL in subendotheliales Gewebe einsickern. Als Folge wandern Monozyten in die Läsionen ein, nehmen das LDL auf und verwandeln sich zu Schaumzellen. Nun kommt das HDL, das high density lipoprotein ins Spiel. Es nimmt den Schaumzellen das Cholesterin wieder ab und diffundiert in die Blutbahn und Lymphe zurück (Abb. 1). Dieser reverse Cholesterin-Transport entfernt also gestrandetes Cholesterin. Solange er funktioniert, muss mit keinen atherosklerotischen Veränderungen gerechnet werden. Bei exzessiver Schaumzellbildung kommt es aber zu einer Überlastung des Entsorgungssystems (Abb. 2). Dann werden Entzündungsprozesse in Gang gesetzt, das Komplementsystem wird aktiviert, es kommt zu den typischen atherosklerotischen Veränderungen. Hier wird die besondere Rolle des LDL/HDL-Quotienten deutlich. Ein niedriger Wert ist Garant dafür, dass das Entsorgungssystem gut funktioniert.
DAZ Nun haben viele von uns gelernt, dass bei zu hohen LDL-Konzentrationen im Blut oxidiertes LDL entsteht, das über die sogenannten Scavenger-Rezeptoren auf der Oberfläche von Makrophagen die Schaumzellbildung induziert, was wiederum mit der Freisetzung von Entzündungsmediatoren und damit mit atherosklerotischen Veränderungen einhergehen soll. Müssen wir umlernen?
Bhakdi: Davon bin ich überzeugt. Denn für diese Oxidationshypothese spricht meiner Meinung nach nur noch der Glaube, die Fakten sagen etwas anderes: So kann man in atherosklerotischen Plaques oxidiertes LDL nur in sehr geringen Mengen nachweisen. In den Plaques findet man große Mengen an aktiviertem Komplement, doch oxidiertes LDL ist kein Komplementaktivator. Im Subendothel findet man dagegen einen hohen Gehalt an freiem Cholesterin, das allerdings eine andere Ultrastruktur als natives und oxidiertes LDL besitzt. Wir haben in den vergangenen Jahren gezeigt, dass natives LDL enzymatisch ab- und umgebaut wird zu Komplement-aktivierendem LDL, dem sogenannten eLDL. Dieses eLDL setzt im ungünstigen Fall die Atherosklerose in Gang. Wird es rechtzeitig mithilfe von HDL entfernt, kann es keinen Schaden anrichten. Ich vergleiche dieses Transportsystem gerne mit Taxen und Bussen. HDL-Moleküle sind die kleinen wendigen Taxen, die im Frühstadium der Atherosklerose für einen schnellen Abtransport des gestrandeten Cholesterins aus den Makrophagen sorgen. Reicht ihre Kapazität nicht aus, dann brechen die Schaumzellen – die Busse – zusammen und es werden Entzündungsvorgänge ausgelöst.
DAZ Was bedeutet das nun für die Therapie?
Bhakdi: Eine ganz wichtige Erkenntnis ist die, dass die Atherosklerose im Frühstadium, also dann wenn der Rücktransport noch nicht überlastet ist, reversibel ist. Durch niedrige LDL-Werte und durch Senkung des Blutdrucks können wir dafür sorgen, dass nicht zu viel LDL an prädestinierten Stellen des Gefäßsystems strandet. Das gelingt hervorragend mit Lipid-senkenden Maßnahmen und – wenn nötig – mit begleitender antihypertensiver Therapie.
DAZ Doch gerade bei den Statinen wird über einen unzureichenden Therapieerfolg geklagt. Sie werden gerne als Beleg für die sogenannte Cholesterinlüge herangezogen.
Bhakdi: Hier muss man differenzieren. Die Aussage steht im Raum, dass sich eine koronare Herzerkrankung bei jedem zweiten nicht mit einem erhöhten Cholesterinspiegel erklären lässt. Man muss aber hinterfragen, von welchem Cholesterinspiegel ausgegangen wurde und was denn nun ein normaler Cholesterinspiegel ist. Vor dem Hintergrund der Mainzer Hypothese erscheint es ganz essenziell, das Verhältnis von LDL und HDL zu betrachten. Außerdem ist zu hinterfragen, wie lange der erhöhte LDL/HDL-Quotient vor Beginn der Therapie bestanden hat.
DAZ Was wäre denn ein normaler Wert?
Bhakdi: Es ist inzwischen Konsens, dass man einen LDL/HDL-Cholesterin-Quotienten unter 2,5 anstreben sollte. Bei solchen Werten kann man in der Regel davon ausgehen, dass das HDL-abhängige Entsorgungssystem nicht überlastet ist.
DAZ Und wie bewerten Sie den begrenzten Erfolg einer cholesterinsenkenden Therapie beispielsweise mit Statinen?
Bhakdi: Wenn wir Patienten mit koronarer Herzkrankheit mit cholesterinsenkenden Medikamenten behandeln, dann profitieren diese tatsächlich nicht in dem erhofften Maße von der Lipidsenkung. Die Erklärung dafür ist eine ganz einfache: solche Patienten befinden sich im Endstadium der Atherosklerose. Hier sind die pathologischen Prozesse nicht mehr vollständig reversibel. Wir wissen aber, dass die Atherosklerose bei uns bereits schon im Jugendalter beginnt.
DAZ Damit wird die Prophylaxe besonders wichtig. Wie soll sie aussehen?
Bhakdi: Ziel muss es sein den LDL/HDL-Wert unter 2,5 zu halten. Womit, ist wahrscheinlich egal: Lifestyle-Maßnahmen wie Bewegung und Ernährung können genau so effektiv sein wie Medikamente.
DAZ Welche Rolle spielen Risikofaktoren in diesem Geschehen?
Bhakdi: Die Atherosklerose ist unserer Meinung nach eine monokausale Erkrankung. Das bedeutet, nur wenn die Ursache, also ein überlasteter reverser Cholesterintransport vorliegt, kann das Geschehen durch Risikofaktoren wie zum Beispiel Übergewicht und Rauchen oder genetische Faktoren verstärkt werden. Kommt es hingegen nicht zu einer übermäßigen Ansammlung von eLDL in der Gefäßwand, dann können auch solche Risikofaktoren keine Atherosklerose auslösen.
DAZ Die Atherosklerose also eine monokausale Erkrankung, das steht im Widerspruch zu dem Verständnis der Nobelpreisträger Brown und Goldstein, die ein unglückliches Zusammenspiel genetischer Veränderungen für die atherosklerotischen Prozesse verantwortlich gemacht haben.
Bhakdi: Nun, auch Nobelpreisträger können sich vielleicht einmal irren. Ich befürchte, dass die von ihnen aufgestellte polygene Hypothese uns in ein ziemlich verwirrendes Labyrinth geführt hat. Dabei haben sie selber den ersten Wink mit dem Zaunpfahl erhalten. Das waren ihre Erkenntnisse zur familiären Hypercholesterolämie: Es handelt sich hierbei um eine monogene Erkrankung, die primär zu nur einem Phänotyp führt, nämlich zu viel LDL im Blut. Offensichtlich geht allein aus dem LDL das krankmachende Prinzip hervor. Nach der Mainzer Hypothese ist das eben das enzymatisch umgebaute LDL, eLDL.
DAZ Vieles spricht in der Tat gegen die Oxidationshypothese und das Konzept der polygenetischen und polyfaktoriellen Genese. Was spricht denn gegen die Mainzer Hypothese?
Bhakdi: Meiner Meinung nach nichts, ich höre auch keine Kritik, man spricht einfach nicht darüber. Alle Voraussagen, die wir aufgrund der Mainzer Hypothese getroffen haben, haben sich bewahrheitet. So sind Antioxidanzien-Studien erfolglos verlaufen, weil oxidiertes LDL keine pathogenetische Rolle spielt. Auch Antibiotikastudien waren erfolglos, weil es keinen Infektionserreger gibt.
DAZ Was ist Ihr Resümee?
Bhakdi: Die Atherosklerose ist eine monokausale Erkrankung, genauso wie die Tuberkulose. Weil wir die Ursache kennen und Möglichkeiten haben, sie auszuschalten, zählt Atherosklerose zu den besiegbaren Krankheiten. Wir müssen nur konsequent handeln.
DAZ Herr Professor Bhakdi, wir danken Ihnen für das Gespräch!
Prof. Dr. Sucharit Bhakdi Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene Hochhaus am Augustusplatz, 55101 Mainz
Interview: Dr. Doris Uhl, Stuttgart
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