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Clopidogrelbesilat und der vorsorgliche Rückruf

Arzneimittelsicherheit ist nicht zuletzt eine Frage der Qualität. Das Einhalten von GMP-Standards ist eine Voraussetzung. Auch wenn keine direkte Gesundheitsgefährdung vorliegt, hat die EU-Kommission wegen GMP-Mängeln einen Rückruf von zentral zugelassenen Clopidogrel-Präparaten verfügt, deren Wirkstoff von der indischen ­Firma Glochem Visakhapatnam stammt.Foto: Hexal

Am 25. März 2010 veröffentlichte die Europäische Arzneimittelagentur auf ihren Seiten eine Empfehlung, die aufhorchen ließ: Danach sollte zentral zugelassenes Clopidogrelbesilat der Firma Acino Pharma GmbH und seiner Vermarktungspartner Ratiopharm, Hexal, Sandoz und A1 vorsorglich zurückgerufen werden (s. a. DAZ 13/2010, S. 46). Jetzt wurde der Rückruf eingeleitet, doch Präparate mit dezentraler Zulassung bleiben – zumindest vorerst – weiter im Markt. Was sind die Hintergründe? Die Acino Pharma GmbH mit Sitz in Miesbach besitzt eine zentrale Zulassung für das Generikum Clopidogrelbesilat, das nicht nur von Acino selber, sondern auch von der Hexal/Sandoz/A1-Gruppe sowie von Ratiopharm vermarktet wird. Hergestellt wird das in diesen Generika enthaltene Clopdidogrelbesilat von dem indischen Wirkstoffhersteller Glochem Visakhapatnam. Für die zentrale Zulassung der Acino GmbH ist die Europäische Arzneimittelagentur EMA zuständig. Sie hatte eine Inspektion der indischen Produktionsstätte veranlasst und dazu zwei Inspektoren nach Indien geschickt.

GMP-Verfehlungen ohne Einfluss auf Qualität?

Dabei wurden Unregelmäßigkeiten im Ablauf der Produktion festgestellt. GMP-Standards sollen nicht eingehalten worden sein. Welche Mängel im Detail festgestellt worden sind, das verschließt sich der Öffentlichkeit. Sie sollen jedoch rein formaler Art gewesen sein und keinen Einfluss auf die Produktqualität gehabt haben. Eine Patientengefährdung konnten die Inspektoren nicht erkennen. Deshalb sollen sie auch zu dem Schluss gekommen sein, dass kein Rückruf erforderlich ist. So war es jedenfalls in einer Pressemitteilung der Acino Holding AG, Basel, zu lesen und aus Kreisen der in Deutschland zuständigen Landesbehörden zu hören.

Der Bericht der Inspektoren wurde dann an den bei der EMA zuständigen Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) zur Bewertung weitergeleitet. Dieser Ausschuss, in dem auch ein Vertreter des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sitzt, stufte die von den beiden Inspektoren gefundenen Mängel allerdings als so gravierend ein, dass er der EU-Kommission empfahl, vorsorglich alle betroffenen Clopidogrelbesilat-Präparate zurückrufen zu lassen. Der Ausschuss war, anders als die beiden Inspektoren, wohl nicht davon überzeugt, dass die gefundenen Mängel keinen Einfluss auf die Qualität des Produktes haben. Er ging sogar noch einen Schritt weiter und empfahl Acino, auf Glochem als Wirkstoffhersteller für Generika generell zu verzichten.

GMP-Probleme sind nicht neu

Nun ist der indische Wirkstoffhersteller Glochem kein unbeschriebenes Blatt. In der Vergangenheit sind ihm schon die CEPs (Certificates of Suitability: Konformitätsbescheinigungen für eine Herstellung entsprechend der Monographie des Europäischen Arzneibuchs) für Amlodipinbesilat und Cetirizin wegen gravierender GMP-Verstöße durch das European Directorate for the Quality of Medicines and Health Care ( EDQM) entzogen worden. Möglicherweise erklären solche Vorkommnisse die unterschiedlichen Schlussfolgerungen, zu denen die Inspektoren auf der einen und das CHMP auf der anderen Seite kommen.

Rückruf nur für zentrale Zulassung

Am 29. März 2010 hat nun die EU-Kommission per Beschluss das Inverkehrbringen der auf der zentralen Acino-Zulassung basierenden Clopidogrel-Präparate untersagt. Chargen, die sich bereits im Unionsmarkt befinden, so heißt es wörtlich im Beschluss, werden aus der Vertriebskette bis hin zu den Apotheken zurückgezogen. Dieser Beschluss ging an die Acino Pharma GmbH in Miesbach und ist für alle Clopidogrel-Präparate mit der entsprechenden zentralen Zulassung rechtlich bindend, so dass auch in Deutschland inzwischen der Rückruf für die zentral zugelassenen Clopidogrel-Präparate der Firma Acino und ihrer Vermarktungspartner in die Wege geleitet worden ist.

Dezentral zugelassene Präparate aus gleichem Topf

Doch die Firmen Hexal, Sandoz, A1, und Ratiopharm vermarkten nicht nur Präparate aus der zentralen Acino-Zulassung, sondern verfügen auch über eigene nationale Zulassungen. Sandoz und A1 sollen lediglich die nationale Zulassung nutzen, Hexal hat nach Auskunft eines Pressesprechers zum Teil die zentrale Zulassung genutzt, liefert aber jetzt nur noch Ware aus nationaler Zulassung aus. Der Rückruf für die zentral zugelassene Ware läuft. Die Firma Ratiopharm teilte noch am 6. April 2010 auf Anfrage der DAZ mit, dass man in Deutschland nur indirekt von der Empfehlung des Humanarzneimittelausschusses der Europäischen Arzneimittelagentur betroffen sei. Aufgrund der Tatsache, dass keine Patientengefährdung vorliege und die Chargen auf dem Markt der Spezifikation entsprechen, sei ein Rückruf nach derzeitiger Sachlage in Deutschland nicht erforderlich.

Brisantes Detail: auch das in den national zugelassenen Präparaten enthaltene Clopidogrelbesilat wird über Acino bezogen und stammt aus dem Topf von Glochem.

Kompetenz-Wirrwarr bei Behörden

Eigentlich wäre jetzt zu erwarten, dass das BfArM nun, ähnlich wie die EU-Kommission, auch diese Produkte aus dem Verkehr zieht. Doch von Seiten des BfArMs wird betont, dass es für Rückrufe nicht zuständig sei, das sei die Aufgabe der Überwachungsbehörden in den Bundesländern, in denen die betroffenen Firmen ihren Sitz haben. In einer dieser Landesbehörden sitzt nun einer der beiden Inspektoren, der im Auftrag der EMA den indischen Hersteller mit überprüft hat. So verwundert es nicht, dass von Seiten der Landesbehörden die Auffassung vertreten wird, dass ein Rückruf unter Würdigung der vorliegenden Inspektionsergebnisse aus fachlicher Sicht nicht gerechtfertigt ist (s. a. DAZ 13/2010, S. 46). In den Überwachungsbehörden scheint man jetzt jedoch nach dem Rückruf der zentral zugelassenen Präparate auf klare Signale von Seiten der EU und des BfArM zu warten, auch Ware aus dezentraler (nationaler) Zulassung zurückzurufen. So erklärte die Regierung von Oberbayern auf Nachfrage der DAZ, dass ihr hinsichtlich eines Rückrufes von Clopidogrel-haltigen Arzneimitteln mit dezentraler Zulassung bisher keine klaren Aussagen seitens der EU bzw. des BfArM vorliegen würden. "Die Arzneimittelüberwachungsbehörden Bayerns stehen derzeit weiterhin in Abstimmung mit der EMA und dem BfArM", so Heinrich Schuster, Pressesprecher der Regierung von Oberbayern.

Fragen, die auf Antwort warten

Was bleibt, sind viele Fragen: Warum müssen Präparate aus zentraler Zulassung aus dem Verkehr gezogen werden, während Präparate aus der gleichen Quelle mit nationaler Zulassung noch im Handel bleiben dürfen? Warum wird eine vorsorgliche Rückrufempfehlung ausgesprochen, wenn von den im Handel befindlichen Präparaten keine Gefahr für die damit behandelten Patienten ausgehen soll? Warum gab es nach Veröffentlichung der EMA-Empfehlung keine umgehende öffentliche Klarstellung von Seiten der zuständigen deutschen Behörden? Warum wird nicht klar kommuniziert, welche Mängel gefunden worden sind?

Verordnende Ärzte und betreuende Apotheker dürften angesichts der Sachlage ziemlich ratlos sein. Doch der Hauptleidtragende ist der Patient, der eines der jetzt in Verruf gekommenen Präparate verordnet bekommt bzw. bekommen hat. Ob berechtigt oder nicht, wird er sich des Gefühls nicht erwehren können, dass er ein billiges Präparat aus einer zweifelhaften Quelle eines Drittweltlandes erhält. Der Heparin-Skandal lässt grüßen. Vertrauensbildende Maßnahmen in ein lebenswichtiges Medikament sehen anders aus.


Dr. Doris Uhl, Redakteurin der Deutschen Apotheker Zeitung

Information


Rückruf von Clopidogrelbesilat aus zentraler Acino-Zulassung

Mit Beschluss vom 29. März 2010 hat die EU Kommission verfügt, dass zentral zugelassene Clopidogrelbesilat-Präparate der Firma Acino Pharma GmbH und seiner Vermarktungspartner Ratiopharm, Hexal, Sandoz und A1 mit Wirkstoff von Glochem Visakhapatnam aus der Vertriebskette bis hin zu den Apotheken zurückgerufen werden müssen. Der Rückruf wurde inzwischen eingeleitet. Entsprechende Präparate aus nationaler Zulassung aus gleicher Quelle sind von diesem Rückruf nicht betroffen. Hier steht die Entscheidung der zuständigen Behörden noch aus.

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