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Pharmakoökonomie
IQWiG-Methodik für die Kosten-Nutzen-Bewertung
Hier soll zunächst die IQWiG-Methodik betrachtet werden, wie sie noch vor Bekanntwerden des Koalitionsvertrages veröffentlicht wurde. Sie ist eine Voraussetzung, um die 2007 mit dem GKV-WSG eingeführten Höchstbeträge einführen zu können. Diese Höchstbeträge sollen vom GKV-Spitzenverband unter Berücksichtigung der Empfehlung des IQWiG festgesetzt werden. Dabei gibt der Gemeinsame Bundesausschuss den Arbeitsauftrag an das IQWiG, dies nimmt die wissenschaftliche Auswertung vor, die Entscheidung über den Höchstbetrag liegt beim GKV-Spitzenverband.
Das neue Instrument würde in erster Linie die forschende Pharmaindustrie tangieren, doch auf die Apotheker in der Offizin würde wahrscheinlich wieder einmal neuer Erklärungsaufwand zukommen. Denn Patienten würden für Arzneimittel, deren Preise über den Höchstbeträgen liegen, aufzahlen müssen – ähnlich wie bei Festbeträgen. Außerdem wäre erneut mit rechtlichen Unsicherheiten bei der Preisbildung zu rechnen, weil die betroffenen Hersteller die zu erwartenden Höchstbeträge vermutlich rechtlich angreifen würden.
Gegenstand der Kosten-Nutzen-Bewertung sind ausschließlich Arzneimittel mit nachgewiesenem Zusatznutzen, allerdings nur soweit therapeutische Alternativen bestehen. Konkurrenzlose Sprunginnovationen sind nicht betroffen. Dies ist eine wichtige Einschränkung, denn es geht hier um die Preisregulierung, aber nicht um die Priorisierung medizinischer Maßnahmen. Es sollen also keine Patienten von einer Therapie ausgeschlossen werden.
Entwicklung der Methodik
Die Entwicklung der IQWiG-Methodik zur Kosten-Nutzen-Bewertung reicht über zwei Jahre zurück. Die Methodenentwürfe wurden in der DAZ ausführlich vorgestellt (DAZ 2008, Nr. 8, S. 44 und Nr. 44, S. 66; DAZ 2009, Nr. 17, S. 67). Viele Detailaussagen der jüngsten Veröffentlichung können als Reaktionen auf die Stellungnahmerunden interpretiert werden. Auch die vom IQWiG publizierte umfangreiche Würdigung der Stellungnahmen erscheint primär als Erläuterung und Rechtfertigung der IQWiG-Position. Substanzielle Änderungen der Inhalte sind jedoch gegenüber dem vorigen Methodenentwurf nicht zu erkennen. Als wichtigste Änderung gegenüber dem ersten Entwurf bleibt festzuhalten, dass das IQWiG den international üblichen Einsatz von Modellen für die Kosten-Nutzen-Bewertung akzeptiert. Solche Modelle können erforderlich sein, um die langfristigen Folgen einer Therapie weit über den Zeithorizont klinischer Studien hinaus abzubilden.
In Verbindung mit dem neuen Methodenpapier veröffentlichte das IQWiG ein Arbeitspapier zur Modellierung, das die grundlegenden Eigenschaften pharmakoökonomischer Modelle beschreibt. Ein weiteres Arbeitspapier befasst sich mit der Kostenbestimmung.
Effizienzgrenze
Inhaltlicher Mittelpunkt der IQWiG-Methodik bleibt das Konzept der indikationsspezifischen Effizienzgrenze. Diese Effizienzgrenze ergibt sich aus einem Vergleich der Nettokosten pro Patient und des Nutzens einer Therapie, gemessen an einem patientenrelevanten Endpunkt. Der Höchstbetrag soll so festgelegt werden, dass die ermittelte Effizienz in einem Indikationsgebiet durch das neue Arzneimittel nicht verschlechtert wird. Darum soll ein neues Arzneimittel ein mindestens ebenso gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis im Vergleich zur besten bisherigen Therapie aufweisen, wie es diese Standardtherapie gegenüber ihrem Vorgänger aufgewiesen hatte.
Gegen diese Vorgabe führen einige Kritiker die weit verbreitete Erfahrung an, dass zusätzliche Verbesserungen etablierter Konzepte meist nur in kleinen Schritten stattfinden und zusätzlicher Nutzen dann mit immer höheren zusätzlichen Kosten erkauft werden muss. In der Ökonomie wird dies als abnehmender Grenznutzen bezeichnet. Dagegen argumentiert das IQWiG in seiner Würdigung der Stellungnahmen zum vorigen Methodenentwurf, dass sich das sogenannte Erste Gossensche Gesetz, das Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen, nur auf zunehmende Mengen desselben Gutes bezieht. Das Prinzip "kann nicht auf die Bereitstellung von zweckmäßigen therapeutischen Alternativen innerhalb eines Indikationsgebietes übertragen werden", so das IQWiG.
Schwellenwertdiskussion
Etliche Kritiker fordern statt einer indikationsspezifischen Betrachtung eine breite öffentliche Diskussion über einen gesellschaftlich akzeptierten Schwellenwert, in letzter Konsequenz einen maximalen Preis für ein qualitätsbereinigtes Lebensjahr – üblicherweise als QALY (quality-adjusted life year) bezeichnet. Sie begründen dies meist mit der Vorgehensweise in einigen anderen Staaten und der dadurch möglichen offenen Debatte. Doch der Ausschluss medizinischer Maßnahmen aus Kostengründen ist in Deutschland nicht beabsichtigt.
IQWiG-Leiter Prof. Dr. Peter Sawicki verwies in diesem Zusammenhang auf eine grundlegende kulturelle Differenz zu anderen Ländern: "Die utilitaristische Denkweise, wie sie dem britischen Konzept zugrunde liegt, würde in Deutschland nicht akzeptiert werden", erklärte er in einer Pressemitteilung des IQWiG. Auch den Vorwurf, das IQWiG beschreite einen deutschen Sonderweg, wies das IQWiG mit Blick auf das Vorgehen in Australien zurück. Zudem wendet sich das IQWiG gegen alle Forderungen, die Höchstbeträge auf der Grundlage von Analysen zur Zahlungsbereitschaft irgendwelcher Entscheidungsträger für bestimmte therapeutische Verbesserungen festzulegen. Dazu fehle insbesondere eine zuverlässige Methode.
Untersuchungsperspektive
An früheren IQWiG-Entwürfen wurde zudem die Perspektive der Kosten-Nutzen-Bewertung kritisiert. In neutralen wissenschaftlichen Analysen wird zumeist eine umfassende gesellschaftliche Perspektive gewählt, die auch volkswirtschaftliche Produktivitätsverluste einschließt. Das IQWiG verfolgt dagegen die Perspektive der "GKV-Versichertengemeinschaft" und macht in der jüngsten Methodik deutlich, dass dies die Kosten der GKV und "alle Kosten, die durch die Versicherten selbst aufzubringen sind," einschließt. Hinzu kommen Transferzahlungen der GKV, also insbesondere Krankengeld.
Weitere Aspekte können optional und themenabhängig einbezogen werden. Demnach gehen die Kosten anderer Sozialversicherungen im Regelfall nicht in die Bewertung ein. Wenn ein Arzneimittel Kosten bei der Pflegeversicherung einspart, würde diese Ersparnis in einer Kosten-Nutzen-Bewertung des IQWiG also nur ausnahmsweise bei besonderen Fragestellungen berücksichtigt. Das IQWiG führt dazu an, dass auch die zuständigen Organisationen anderer Länder in ihren Bewertungen nicht die gesellschaftliche Perspektive einnehmen.
Viele unbestimmte Vorgehensweisen
Ein bisher selten genannter Kritikpunkt, der noch zu größeren Problemen führen könnte, ist der Zeithorizont der Betrachtung. Denn die IQWiG-Methodik sieht mehrere Bewertungen vor. Einerseits soll der Zeithorizont der zugrunde liegenden klinischen Studien betrachtet werden, doch können Kosten-Nutzen-Bewertungen bei längeren Behandlungen auch darüber hinausgehen. Dann bliebe jedoch zu klären, auf welcher Grundlage die Höchstbeträge zu bestimmen sind.
Die Unbestimmtheit pharmakoökonomischer Analysen wird auch in dem Methodenpapier deutlich. Beispielhaft dafür ist ein Hinweis zur Kostenbestimmung: "Die Entscheidung, welche Quellen herangezogen werden sollten, bildet stets einen Balanceakt zwischen Relevanz, Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit." Je nachdem, welche Kostendaten einbezogen werden, dürften aber unterschiedliche Ergebnisse entstehen. Außerdem wird auf unterschiedliche Verfahren zur Erhebung der Kosten hingewiesen. So können Kosten auf der Ebene einzelner idealtypischer Behandlungsfälle ("Micro-Costing") oder anhand aggregierter Daten wie Fallpauschalen ("Macro-Costing") erhoben werden.
Angesichts vieler unsicherer Daten verweist das IQWiG folgerichtig auf Sensitivitätsanalysen. Mit solchen Betrachtungen können die Folgen unterschiedlicher Annahmen verdeutlicht werden. Dazu heißt es im Methodenpapier: "Bei der Darstellung der Ergebnisse der Sensitivitätsanalysen ist zu beachten, dass die Variation bestimmter Parameter die Lage der Effizienzgrenze beeinflussen kann." Doch bleibt in der IQWiG-Methodik offen, wie aus einem Spektrum möglicher Ergebnisse letztlich eine konkrete Empfehlung für einen Höchstbetrag ermittelt werden soll. Letztlich dürften die zahlreichen Unsicherheiten zu einem beträchtlichen Entscheidungsspielraum für den GKV-Spitzenverband bei der Festlegung der Höchstbeträge führen. Ohnehin kann der GKV-Spitzenverband weitere Kriterien zur Entscheidung heranziehen. Noch weiter verstärkt werden die Unsicherheiten durch die geplante Budget-Impact-Analyse (Ausgaben-Einfluss-Analyse). Darin wird das IQWiG beschreiben, zu welchen absoluten Ausgaben ein neues Arzneimittel in der GKV führen würde, das IQWiG wird dieses Ergebnis aber nicht bewerten. Es obliegt dem GKV-Spitzenverband zu entscheiden, inwieweit der ermittelte Betrag für die GKV zumutbar ist. Dies könnte im Einzelfall alle vorangegangenen Überlegungen für den Höchstbetrag relativieren.
Was sagt der Koalitionsvertrag?
Bereits diese wenigen Aspekte geben einen Eindruck, mit wie großen Unsicherheiten die Kosten-Nutzen-Bewertungen behaftet sein müssen. Doch heißt es im gerade geschlossenen Koalitionsvertrag der künftigen Bundesregierung: "Kosten-Nutzen-Bewertungen müssen praktikabel nach klaren, eindeutigen Kriterien erfolgen. Die Arbeit des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) werden wir auch unter dem Gesichtspunkt stringenter, transparenter Verfahren überprüfen und damit die Akzeptanz von Entscheidungen für Patienten, Leistungserbringer und Hersteller verbessern. Dabei werden wir die Betroffenen frühzeitig beteiligen."
Die Koalitionäre erwecken damit den Eindruck, die gerade erst veröffentlichte Methodik könnte nun erneut überarbeitet werden, bevor Höchstbeträge festgesetzt werden. Zugleich kommen Zweifel auf, ob eine zwangsläufig auf vielen unbestimmten Größen beruhende Kosten-Nutzen-Bewertung jemals die geforderte Eindeutigkeit besitzen kann. Doch auch für diesen Fall zeichnet sich bereits eine Lösung ab. Denn im Koalitionsvertrag heißt es auch, Vereinbarungen zwischen Krankenversicherungen und pharmazeutischen Herstellern könnten ein Weg sein, die Chancen innovativer Arzneimittel besser zu nutzen.
Damit deutet sich möglicherweise eine ganz andere Lösung an. Vielleicht führt diese Vorgabe im Koalitionsvertrag dazu, dass die Konditionen für innovative Arzneimittel künftig auf dem Verhandlungsweg vereinbart werden. Möglicherweise könnten Kosten-Nutzen-Bewertungen dann als Hilfestellung für solche Verhandlungen dienen, aber nicht als Grundlage eines zentral festgesetzten Höchstbetrages. Dies dürfte zugleich den großen Vorteil bieten, dass rechtliche Streitigkeiten über Kosten-Nutzen-Bewertungen vermieden würden. Für die Apotheken könnte eine solche Lösung allerdings mit beträchtlichem Aufwand verbunden sein, falls für innovative Arzneimittel unterschiedliche krankenkassenabhängige Abrechnungsmodalitäten eingeführt werden.
Fazit: Die gerade erst veröffentlichte IQWiG-Methodik für die Kosten-Nutzen-Bewertung sollte für Klarheit sorgen. Doch lässt sie viele alte Fragen offen – und der Koalitionsvertrag wirft noch mehr neue Fragen auf.
Quellen:
IQWiG, Allgemeine Methoden zur Bewertung von Verhältnissen zwischen Nutzen und Kosten, Version 1.0, und Pressemitteilung zur Veröffentlichung der Methoden.
Wachstum. Bildung. Zusammenhalt. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP. 17. Legislaturperiode. Entwurf.
Autor
Dr. Thomas Müller-Bohn,
Seeweg 5a,
23701 Süsel
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