Pharmakoökonomie

Kosten-Nutzen-Bewertung für Arzneimittel

Eine kritische Analyse des IQWiG-Vorschlags
Von Thomas Müller-Bohn

Die Sparbemühungen im Arzneimittelbereich haben sich bisher auf Generika konzentriert und Innovationen kaum berührt. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat bisher Nutzenbewertungen, aber noch keine vollständigen ökonomischen Analysen von Arzneimittelanwendungen durchgeführt. Dies beides wird sich bald ändern. Mit der Veröffentlichung eines Methodenvorschlags für Kosten-Nutzen-Bewertungen hat das IQWiG die Grundlage für die Anwendung pharmakoökonomischer Regulierungsinstrumente in Deutschland geschaffen. Die geplante Vorgehensweise wird hier vorgestellt, erläutert, kritisch analysiert und kommentiert.

Am 1. April 2007 wurde mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) die Rechtsgrundlage für Kosten-Nutzen-Bewertungen durch das IQWiG geschaffen und die Regelung des § 31 Absatz 2a SGB V eingeführt, wonach Höchstbeträge für die Erstattung von Arzneimitteln festgelegt werden können, die sich nicht in Festbetragsgruppen einschließen lassen. Diese Höchstbeträge soll der Spitzenverband Bund der Krankenkassen künftig festlegen, wobei die Kosten-Nutzen-Bewertung des IQWiG als wissenschaftliche Grundlage dienen kann. Wenn der Arzneimittelpreis über dem Höchstbetrag liegt, sollen die Patienten die Differenz zuzahlen können, doch wird ein starker Anreiz für die Hersteller geschaffen, den Preis auf den Höchstbetrag zu senken. Letztlich zielt die Regelung darauf, die Ausgaben für Schein- und Schrittinnovationen zu senken und die Anreize für die Entwicklung von besonders bedeutenden Innovationen zu verstärken.

Das IQWiG hat eine internationale Expertenkommission beauftragt, eine Methode für diese neue Aufgabe zu erarbeiten. Die erste Version der von den Experten vorgeschlagenen "Methodik für die Bewertung von Verhältnissen zwischen Nutzen und Kosten im System der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung" wurde am 24. Januar 2008 veröffentlicht. Die Fachkreise sind aufgefordert, bis zum 31. März 2008 eine Stellungnahme abzugeben, bevor eine verbindliche Version erstellt wird.

Differenzierte Preisbildung

Im SGB V sind weiterhin keine Höchstpreise für Arzneimittel gegen Krankheiten vorgesehen, für die es bisher keine "zweckmäßige" Therapie gibt. Bei solchen unbestreitbaren Sprunginnovationen bleibt die freie Preisbildung uneingeschränkt erhalten. Demnach muss das IQWiG zunächst prüfen, ob ein neues Arzneimittel erstmals eine zweckmäßige Therapie darstellt. Dafür genügt eine reine Nutzenbetrachtung.

Wenn es dagegen bereits wirksame Behandlungsalternativen gibt, muss das IQWiG den Zusatznutzen gegenüber den bisherigen Behandlungen ermitteln. Als Kriterien für den Nutzen sollen nur patientenrelevante Größen herangezogen werden. Dies kann die Verbesserung des Gesundheitszustandes, die Verkürzung der Krankheitsdauer, die Lebensverlängerung, die Verringerung der Nebenwirkungen oder die Verbesserung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität sein. Die Vorgehensweise wird in den allgemeinen Methoden des IQWiG beschrieben, deren dritte Version am 15. November 2007 als Entwurf veröffentlicht wurde. Für das weitere Vorgehen können drei Fälle unterschieden werden, von denen nur der letztgenannte Fall eine Neuerung bildet:

  • Wenn das neue Arzneimittel weniger nutzt als die etablierte Standardmedikation, erübrigen sich weitere Bewertungen. Die Selbstverwaltung kann das neue Arzneimittel aus der Liste der erstattungsfähigen Arzneimittel ausnehmen.

  • Wenn das neue Arzneimittel einen ähnlichen Nutzen wie die Standardmedikation bietet oder ein größerer Nutzen nicht mit ausreichender Zuverlässigkeit belegt werden kann, kann es in eine Festbetragsgruppe aufgenommen werden.

  • Wenn das neue Arzneimittel besser als die Standardmedikation ist, stellt sich die Frage, wie viel dieser Zusatznutzen wert ist. Diese Frage soll mit der neuen Kosten-Nutzen-Bewertung beantwortet werden. Daran soll sich der Höchstbetrag orientieren.

Das IQWiG wird also künftig weiterhin zunächst den Nutzen von Arzneimitteln bewerten und nur im letzteren Fall anschließend eine Kosten-Nutzen-Bewertung durchführen. Die Nutzenbewertung wird hier nicht vertieft, stattdessen wird die jetzt zur Diskussion gestellte neue Kosten-Nutzen-Bewertung erläutert.

Konstruktion einer Effizienzgrenze

Im Mittelpunkt der vorgeschlagenen Methode steht die Herleitung einer Effizienzgrenze für die Behandlung einer möglichst genau definierten Indikation. Eine Therapie ist im Vergleich zu einer anderen Therapie effizient, wenn sie bei gleichen Kosten mehr Nutzen stiftet oder bei gleichem Nutzen weniger kostet. Wenn der Nutzen und die pro Patient anfallenden Nettokosten aller bei einer Indikation angewendeten Therapien in einem Koordinatensystem eingetragen werden, kann eine Grenze der bisher besten erreichten Kosten-Nutzen-Verhältnisse graphisch hergeleitet werden (Abb. 1).


Abb. 1 (links): Kosten-Nutzen-Verhältnis von fünf Arzneimitteln (A bis E) für eine indikationsspezifische Therapie. In diesem Beispiel bilden die Verbindungslinien zwischen dem Nullpunkt und den Punkten für die Arzneimittel C, E und A die indikationsspezifische Effizienzgrenze. Die Arzneimittel B und D sind gegenüber diesen Therapien nicht effizient. Arzneimittel A bildet den Bezugspunkt zur Bewertung künftiger Innovationen bei dieser Indikation. (Quelle: IQWiG)
Abb. 2 (rechts): Pharmakoökonomische Bewertung eines neuen Arzneimittels Ausgehend von A wird die indikationsspezifische Effizienzgrenze für neue Arzneimittel nach rechts oben fortgeschrieben: Die vorgeschlagenen Akzeptanzgrenzen liegen innerhalb des gelben Dreiecks. Die eingezeichnete Innovation X ist demnach zu teuer. Sie kann durch Preissenkung bzw. Senkung des Höchstbetrags (Verschiebung nach links) in das gelbe Dreieck rücken. (Quelle: IQWiG)

Hinweis zu den Grafiken


Wie in den Darstellungen des IQWiG werden in den hier abgebildeten Koordinatensystemen (Abb. 1 und 2) jeweils der Nutzen und die Nettokosten pro Patient im Vergleich zum Nichtstun (keine Behandlung) dargestellt. Der Nullpunkt der Koordinatensysteme bezeichnet jeweils das Nichtstun. In vielen pharmakoökonomischen Veröffentlichungen werden dagegen jeweils der zusätzliche (positive oder negative) Nutzen und die zusätzlichen (positiven oder negativen) Kosten von Arzneimitteln im Vergleich zu einer Referenzmedikation dargestellt. Dann bildet die Referenzmedikation den Nullpunkt. Dies erscheint konsequent, weil pharmakoökonomische Untersuchungen auf eine etablierte Standardmedikation bezogen werden sollen. Zur Konstruktion der vom IQWiG vorgeschlagenen Effizienzgrenze sind aber Daten über weitere Arzneimittel erforderlich, sodass die Daten hier auf einen Nullpunkt bezogen werden sollten, der das Nichtstun darstellt.

Ausgehend vom Nullpunkt des Koordinatensystems, der das Nichtstun repräsentiert, oder von einer Therapie mit geringem Nutzen wird eine Verbindungslinie zu derjenigen (nützlicheren) Therapie gezogen, die das günstigste Kosten-Nutzen-Verhältnis aufweist – sie hat die höchste Steigung aller möglichen Verbindungslinien. Von dort wird die Linie zur nächsten nützlicheren Therapie mit dem günstigsten Kosten-Nutzen-Verhältnis fortgesetzt: Der Vorgang wird fortgesetzt, bis die Linie die nützlichste Therapie und damit den höchsten Punkt im Koordinatensystem erreicht hat. Die so konstruierte Linie wird als indikationsspezifische Effizienzgrenze bezeichnet, weil die unterhalb der Linie liegenden Therapien im Vergleich zu den Punkten auf der Linie nicht effizient sind, während oberhalb der Linie bisher keine Punkte liegen. Die Therapie am rechten oberen Ende der Effizienzgrenze dient als Vergleichsmaßstab für alle künftigen neuen Arzneimittel mit dieser Indikation.

Fortschreibung der Effizienzgrenze

Neue Behandlungen, die weniger nützlich als diese Vergleichstherapie sind, dürften aus medizinischen Gründen unakzeptabel sein. Nützlichere Innovationen, die weniger Kosten als die Vergleichstherapie verursachen, sind eindeutig vorteilhaft. Sie sind in Abbildung 2 im grünen Feld links oberhalb der Vergleichstherapie einzutragen. Solche Innovationen sollen zum gegebenen Preis erstattet werden. Mit der Einführung einer solchen Innovation verschiebt sich die Effizienzgrenze nach links. Als Konsequenz stellt sich für diesen Fall gemäß dem IQWiG-Vorschlag "die Frage, inwieweit bereits existierende Gesundheitstechnologien weiterhin zu ihrem gegebenen Preis erstattet werden sollen".

Innovationen mit größerem Nutzen und höheren Kosten gegenüber der Vergleichstherapie sind in Abbildung 2 in das blaue Feld oder das gelbe Dreieck rechts oberhalb der Vergleichstherapie einzutragen. Für diesen häufigsten Fall bei Innovationen wird gemäß IQWiG-Methodik vorgeschlagen, den Höchstpreis an einer Fortschreibung der Effizienzgrenze zu orientieren. Dazu wird empfohlen, den gegebenen Preis zu erstatten, wenn das Kosten-Nutzen-Verhältnis besser als bei den bestehenden Therapien ist. Wenn das Kosten-Nutzen-Verhältnis schlechter ist, "sollte ihr Preis erneut hinsichtlich seiner Zumutbarkeit durch die GKV-Versichertengemeinschaft … bewertet werden".

Als Vergleichsmaßstab für das Kosten-Nutzen-Verhältnis werden drei Ansätze angeboten:

Eine eher wenig rigide Grenze ergibt sich, wenn die Effizienzgrenze mit der Steigung des bisher obersten Abschnitts der Effizienzgrenze fortgesetzt wird.

Eine striktere Grenze ergibt sich, wenn die durchschnittliche Steigung der bisherigen Effizienzgrenze als Maß dient.

Die strikteste Fortschreibung der Grenze entsteht, wenn dazu die Steigung des steilsten Abschnittes der Effizienzgrenze, der im Beispiel links unten liegt, herangezogen wird.

Je nachdem, welche der drei Grenzen herangezogen wird, müsste der Höchstbetrag für den erstatteten Arzneimittelpreis so festgelegt werden, dass das Arzneimittel auf oder oberhalb der fortgeschriebenen Effizienzgrenze einzutragen ist. Durch eine Verringerung des Höchstbetrags sinken die Kosten für das Arzneimittel aus der Perspektive der GKV, sodass sich die Position des Arzneimittels in dem Koordinatensystem parallel zur horizontalen Achse nach links bewegt.

Pharmakoökonomischer Hintergrund

Es ist international sehr verbreitet, den Nutzen in qualitätsbereinigten Lebensjahren (QALYs, quality-adjusted life years) zu messen. Dies wirft viele Bewertungsprobleme auf, bietet aber für alle gesundheitsbezogenen Anwendungen ein einheitliches Nutzenmaß. So kann eine indikationsunabhängige und weitgehend willkürlich oder politisch festgelegte Grenze formuliert werden, wie viel Geld höchstens für einen bestimmten Nutzwert aufgewendet werden soll. Eine solche Grenze ist nirgendwo auf der Welt explizit festgelegt, es wird aber in mehreren Ländern davon ausgegangen, dass die zuständigen Institutionen sich bei Entscheidungen über die Erstattungsfähigkeit grob an solchen Grenzen orientieren.

Das IQWiG bietet mit dem nun vorgestellten Konzept der Effizienzgrenze eine Alternative zu dieser Vorgehensweise. Zwischen den beiden Ansätzen bestehen zwei Hauptunterschiede:

1. können Orientierungswerte für eine Fortschreibung der Effizienzgrenze aus den bereits etablierten Therapien abgeleitet werden.

2. wird jede Indikation isoliert betrachtet.

Es erübrigt sich damit, ein universelles Maß für den gesundheitlichen Nutzen bei jeder Indikation zu definieren. So umgeht die IQWiG-Methodik die enormen methodischen Schwierigkeiten bei der Bestimmung vergleichbarer qualitätsbereinigter Lebensjahre.

Festlegung des Höchstbetrags

Laut IQWiG-Veröffentlichung sollte jeder der drei Ansätze "nur als Handlungsempfehlung und nicht als Entscheidungsregel dienen". In der vom IQWiG veröffentlichten Zusammenfassung der Methodik wird der Bereich zwischen der steilsten und der flachsten Fortschreibung der Effizienzgrenze als "Orientierungszone" für die Festlegung des Höchstbetrags dargestellt (in Abb. 2 als gelbes Dreieck eingezeichnet). Dazu heißt es: "Diese Zone soll nur als Orientierungshilfe dienen, sie beengt nicht den Ermessensspielraum, den die Krankenkassen bei der Festlegung von Höchstbeträgen zukünftig haben. Jede Entscheidung hängt auch von weiteren ökonomischen und medizinischen Einzelheiten ab. Zum Beispiel sollten Entwicklungskosten des Herstellers für das Arzneimittel angemessen berücksichtigt werden."

Glossar

Diskontierung (Abzinsung):

 

Umrechnung künftiger Nutzen- und Kostengrößen auf ihre heutigen Werte mit Hilfe der Zinsrechnung. Eine solche Diskontierung ist nötig, weil künftige Wertgrößen im Vergleich zu gegenwärtigen bei gleichen nominellen Beträgen als geringwertiger eingeschätzt werden.

Lebensqualitätsscore:

 

Punktesystem zur Messung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität. Die Punkte werden durch Fragen zu verschiedenen Aspekten des körperlichen und psychischen Befindens ermittelt. So können auch quantitativ schwer erfassbare Größen zu einem Ergebnis zusammengefasst werden.

Perspektive einer pharmakoökonomischen Analyse:

 

Von der Perspektive einer pharmakoökonomischen Analyse hängt ab, welche Aspekte des Nutzens und der Kosten in die Analyse eingehen. Häufig gewählte Perspektiven sind die der Gesamtgesellschaft, der gesamten Sozialversicherung oder der Gesetzlichen Krankenversicherung.

Sensitivitätsanalyse:

 

Sammelbegriff für verschiedene Verfahren zur Berücksichtigung der Unsicherheit von Modellannahmen. Dabei wird untersucht, wie robust die Analysenergebnisse gegenüber Veränderungen der eingehenden Größen sind.

Standardspiel:

 

Konzept der Lebensqualitätsforschung, bei dem die Lebensqualität über eine spieltheoretische Fragestellung ermittelt wird.

Time-trade-off:

 

Variation des Standardspiels, bei der die Einschätzung der Lebensqualität über einen Vergleich zeitlich unterschiedlicher Krankheitsverläufe ermittelt wird.

Analyse und Kritik

Eine herausragende Eigenschaft der IQWiG-Methodik ist die isolierte Betrachtung für einzelne Indikationen. So wird über den Mitteleinsatz bei verschiedenen Krankheiten nicht in unmittelbarem Zusammenhang entschieden. Dies umgeht die großen Bewertungsprobleme bei der Ermittlung qualitätsbereinigter Lebensjahre und verhindert, dass die Behandlungen verschiedener Krankheiten gegeneinander aufgerechnet werden (siehe Kasten "Pharmakoökonomischer Hintergrund"). So erübrigt sich die Diskussion um einen einheitlichen Schwellenwert für ein gesellschaftlich akzeptiertes Kosten-Nutzen-Verhältnis. Dies hat große Vorteile, hindert aber breite gesellschaftliche Schichten, die Entscheidungen zu beeinflussen. Stattdessen droht bei jeder einzelnen Indikation immer wieder neuer Expertenstreit über die Konstruktion und Fortschreibung der jeweiligen Effizienzgrenze.

Hinter der Fortschreibung der Effizienzgrenze steht die Logik, dass künftige Therapien kein schlechteres Kosten-Nutzen-Verhältnis bieten sollen, als es bei den bisher etablierten Behandlungen bereits akzeptiert wurde, weil sich anderenfalls die durchschnittliche Effizienz des Gesundheitswesens insgesamt durch die Innovation verschlechtern würde. An künftige Innovationen wird die gleiche Messlatte wie an bisherige angelegt. Damit wird aus den bisherigen Therapien ein Werturteil abgeleitet.

Gegen diesen Ansatz kann argumentiert werden, dass aufgrund der ökonomischen Grunderfahrung des abnehmenden Grenznutzens Schrittinnovationen typischerweise ein immer ungünstigeres Kosten-Nutzen-Verhältnis bieten, so wie es das IQWiG auch in seinen Beispieldarstellungen zur Herleitung der Effizienzgrenze unterstellt. Wenn ein solcher Verlauf der Effizienzgrenze mit abnehmender Steigung tatsächlich eine typische Eigenschaft von Schrittinnovationen sein sollte, wäre die vorgeschlagene Regel ein Innovationshemmnis. Möglicherweise folgt der Verlauf der Effizienzgrenze aber bei vielen Indikationen nicht dieser Überlegung, sondern ergibt sich aus der zufälligen Aufeinanderfolge verschiedener Schrittinnovationen und damit aus nicht planbaren Unwägbarkeiten der Arzneimittelentwicklung. Dann könnte der Verlauf der fortgeschriebenen Effizienzgrenze und damit der Höchstbetrag für erstattungsfähige Arzneimittelpreise davon abhängen, welches Kosten-Nutzen-Verhältnis zufälligerweise zwischen der bisher besten und der bisher zweitbesten Therapie besteht. Der Höchstbetrag wäre dann eine Zufallsgröße.

Es erscheint zunächst unlogisch, eine bereits ermittelte Effizienzgrenze für künftige Betrachtungen nur dann nachträglich zu ändern, wenn die jüngste Innovation in Abbildung 2 in das grüne Feld einzuordnen ist. Konsequent wäre es, auch nach Einführung einer Innovation im gelben Feld eine neue Grenze zu bilden, mit der das Bezugsarzneimittel A nicht mehr effizient wäre. Dann würde aber mit jeder Innovation, die das vorgeschlagene Effizienzkriterium erfüllt, das bisherige Bezugsarzneimittel von der Versorgung ausgeschlossen, was langfristig ein Anreiz gegen jede Schrittinnovation wäre.

Ein weiteres Problem für die Konstruktion der Effizienzgrenze dürfte die Verfügbarkeit von Kosten- und Nutzen-Daten für alle wichtigen etablierten Arzneimittel oder Therapieverfahren bei einer bestimmten Indikation sein. Denn es gilt als Qualitätsmaßstab für pharmakoökonomische Studien, neue Arzneimittel gegenüber etablierten Standardarzneimitteln zu testen. Dies ist auch bei der IQWiG-Methodik für die zu bewertenden Arzneimittelinnovationen nötig. Doch für die Konstruktion der Effizienzgrenze sind Daten erforderlich, die auf den Nullpunkt (Nichtstun) bezogen sind und zudem konsistent die Kosten- und Nutzen-Verhältnisse zwischen verschiedenen Arzneimitteln darstellen. Solche Daten können aus den bisher international üblichen pharmakoökonomischen Studien nur selten abgeleitet werden. Außerdem beziehen sich die wenigsten internationalen Studien auf die Versorgungs- und Kostenstrukturen in Deutschland. So dürften umfangreiche neue pharmakoökonomische Studien nötig sein, um die nötigen Daten zu liefern.

Dies alles wirft die Frage nach der Kosten-Effektivität des Vorgehens auf: Rechtfertigen die zu erwartenden Einsparungen durch Höchstbeträge den Aufwand für ihre Festlegung?

POLITISCHER HINTERGRUND

 

Höchstbetrag – der neue Schrecken der Pharmaindustrie?

Die Ausgaben für Generika gehen zurück – und das bei steigenden Absatzmengen. Doch steigen die gesamten Arzneimittelausgaben der Krankenkassen – insbesondere wegen der hohen Preise für patentgeschützte Arzneimittel. Die teilweise polemisch geführte Diskussion über angebliche oder tatsächliche "Me-too"-Arzneimittel oder Scheininnovationen hat bereits dazu geführt, dass Innovationen ohne ausreichend gesicherten Zusatznutzen in Festbetragsgruppen eingeordnet werden. Die jetzt anstehenden Sparbemühungen richten sich auf solche Innovationen, die anerkanntermaßen zusätzlichen Nutzen bieten, aber keine ganz neue Behandlung für eine bisher nicht therapierbare Krankheit darstellen. Für diese große Mehrzahl der typischen Schrittinnovationen soll der neue Spitzenverband Bund der Krankenkassen künftig Erstattungshöchstbeträge auf der Grundlage von Kosten-Nutzen-Bewertungen des IQWiG festgelegen. Die nun vorgeschlagene Methodik für solche Kosten-Nutzen-Bewertungen bildet dafür nur eine erste Voraussetzung. Sie lässt noch viele Fragen offen, wie eine kritische Analyse zeigt. Wie das IQWiG mit der zu erwartenden Methodendiskussion umgehen wird, bleibt spannend.

Unabhängig von der pharmakoökonomischen Methodik wirft das Konzept viele politische Fragen auf. So bleibt offen, wie sich der Spitzenverband Bund der Krankenkassen verhalten wird, solange das Ergebnis der Kosten-Nutzen-Bewertung noch nicht vorliegt. Die Bewertung wird viele pharmakoökonomische Daten erfordern, die teilweise erst sinnvoll im Versorgungsalltag gewonnen werden können. Gibt es so lange keinen Höchstbetrag? Oder legt der neue Spitzenverband ihn erst einmal willkürlich fest? Was wird aus den vielen schon existierenden jüngeren Schrittinnovationen, die nicht in das Festbetragssystem gehören? Sie alle nach den Regeln der neuen IQWiG-Methodik zu bearbeiten, würde die Hersteller und das IQWiG sicherlich hoffnungslos überfordern. Wird der neue Spitzenverband solche "Altfälle" großzügig übergehen oder wird er Höchstbeträge dann auch ohne IQWiG-Votum nach eigenem Gutdünken festlegen? Der neue Spitzenverband Bund der Krankenkassen soll im Juli seine Arbeit aufnehmen und dürfte mit der Einführung des Gesundheitsfonds 2009 zu einem mächtigen Player im Gesundheitswesen werden. Dann wird dies auch in Apotheken an den Preisen für neue Arzneimittel zu bemerken sein.

Höchstbeträge aufgrund der Zahlungsbereitschaft

Eine Alternative zur Festlegung eines Höchstbetrags ohne Berücksichtigung einer Effizienzgrenze wird im Methodenvorschlag des IQWiG nur in wenigen Zeilen erwähnt. Demnach könnte ein Höchstbetrag auch aus den Werteinschätzungen der Versicherten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) hergeleitet werden. Durch Befragungen oder andere Erhebungen wäre zu ermitteln, welchen Betrag sie für den Nutzen zahlen würden, den eine bestimmte Behandlung bietet. Bei einer solchen in der Pharmakoökonomie etablierten Zahlungsbereitschaftsanalyse geht es nicht darum, dass die Befragten den angegebenen Betrag tatsächlich zahlen sollen, sondern es soll ihre subjektive Werteinschätzung abgefragt werden, um diese bei der Planung der Ausgaben zu berücksichtigen.

Methodische Vorgaben – kritisch betrachtet

Die IQWiG-Veröffentlichung enthält außer der Methodik für die Konstruktion der Effizienzgrenze viele Vorgaben für Kosten-Nutzen-Bewertungen. Dabei wird im Unterschied zu den sehr reservierten früheren Äußerungen aus dem IQWiG die Notwendigkeit der Modellbildung in der Pharmakoökonomie klar anerkannt. Es wird akzeptiert, dass die Ergebnisse von Modellrechnungen stark von den eingehenden Annahmen abhängen. Doch sind Modelle insbesondere dann unverzichtbar, wenn der erforderliche Zeithorizont der ökonomischen Betrachtung erheblich länger als die Dauer klinischer Studien ist.

Für die Kosten-Nutzen-Bewertung, insbesondere für die Ermittlung der Kosten, ist die Perspektive der Versichertengemeinschaft der GKV vorgesehen. Dieser Vorschlag dürfte zum Anlass für erhebliche Kritik werden. Denn die GKV sollte nicht nur als Sachwalter der Interessen der Versicherten, sondern der Gesellschaft insgesamt handeln, was durch die beabsichtigte künftige teilweise Steuerfinanzierung des Gesundheitsfonds unterstrichen wird. Daher sollte die GKV nicht ihre Ausgaben zu Lasten anderer Sozialversicherungszweige minimieren. Es sollte zumindest die Perspektive der gesamten Sozialversicherung einschließlich Renten- und Pflegeversicherung eingenommen werden. Angesichts der Beteiligung der Arbeitgeber an der Finanzierung der GKV sollten auch deren Interessen berücksichtigt werden, sodass eine gesamtgesellschaftliche Perspektive nahe läge. Auch in der pharmakoökonomischen Fachliteratur wird zumeist gefordert, alle wichtigen Kosten und Konsequenzen und alle relevanten Perspektiven zu berücksichtigen. Eine Beschränkung auf die GKV-Perspektive könnte dagegen die vielfach kritisierte Zersplitterung des deutschen Gesundheitswesens zementieren.

Eingehende Nutzendaten

Bei der Bewertung der vorgeschlagenen Konstruktion einer Effizienzgrenze und der Herleitung eines Höchstbetrags muss berücksichtigt werden, dass diese Berechnungen stets nur so aussagekräftig und auch nur so genau bestimmt sein können wie die dabei verwendeten Nutzen- und Kostendaten. Ungeachtet aller Vor- oder Nachteile der Methode begrenzt die Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit dieser Daten den weiteren Umgang mit ihnen.

Die konsequente Ausrichtung des IQWiG an den Maßstäben der evidenzbasierten Medizin (EbM) wird damit die nachfolgende Kosten-Nutzen-Bewertung erheblich beeinflussen. Dazu heißt es in der Präambel der veröffentlichten Methoden: "…, dass der in der Kosten-Nutzen-Bewertung zu berücksichtigende therapeutische Zusatznutzen dem entspricht, der vom IQWiG gemäß seinen veröffentlichten Methoden (basierend auf den Prinzipien der EbM) ermittelt wurde. (…) Zusätzlich bedeutet es auch, dass die eingehenden Nutzenparameter die vom IQWiG vorgeschaltete Nutzenbewertung widerspiegeln – es dürfen keine zusätzlichen Nutzenparameter, selbst wenn solche indirekt aus der EbM-basierten Nutzenbewertung und den verwendeten Endpunkten abgeleitet werden könnten, mit einbezogen werden".

Die bisher bereits kontrovers geführte Diskussion über die Nutzenbewertungen des IQWiG und die daraus abgeleiteten Konsequenzen dürften damit eine neue Dimension erreichen. Im IQWiG-Vorschlag wird allerdings ausdrücklich erwähnt, dass nicht nur im engeren Sinne klinische Maße, sondern auch Ergebnisse von Befragungen nach dem Konzept des standard gambles und des time-trade-offs, multiattributive Lebensqualitätsscores und Responderraten, also Wahrscheinlichkeitsangaben zum Ansprechen einer Therapie, als Ergebnismaße dienen können.

Eingehende Kostendaten

Während die Nutzenbewertung in den allgemeinen Methoden des IQWiG beschrieben wird, sind die Vorschläge zur Ermittlung der Kosten im Methodenvorschlag für die Kosten-Nutzen-Bewertung zu finden. Als Hauptkostenart werden die erstattungsfähigen Kosten genannt. Diese "reflektieren den Geldwert der Ressourcen, die während der Bereitstellung einer bestimmten Gesundheitsleistung verbraucht und von der Versicherung abgedeckt werden". Außerdem wird empfohlen: "Direkte nicht medizinische Kosten, die nicht von der GKV abgedeckt werden, können mit einbezogen werden, wenn sie eine Hauptkomponente in einer bestimmten Indikation darstellen". In diesem Zusammenhang wird allerdings auch auf direkte medizinische Kosten der Versicherten verwiesen, zu denen die Ausgaben für nicht erstattungsfähige Arzneimittel zählen.

Es wird im Einklang mit den Regelungen in Australien, Finnland und Italien abgeraten, indirekte Kosten zu berücksichtigen. Angesichts der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung der GKV dürfte dies kontrovers zu diskutieren sein. Es wird empfohlen, den Zeitrahmen für die Kostenabschätzung "dem Krankheitsbild angemessen und ausreichend langfristig" zu wählen. Eine Empfehlung lautet: "Der Zeithorizont sollte ausreichend groß gewählt werden, um den Großteil der relevanten Kosten abzudecken." Außerdem heißt es: "Der Zeithorizont für die Kostenabschätzung muss nicht auf die Zeiträume beschränkt werden, für die eine Evidenz für den Nutzen der Gesundheitstechnologien vorliegt". Für die Kostenermittlung werden Simulationsmodelle auf Patientenebene empfohlen und Anforderungen an die Modelle formuliert. Im Einklang mit internationalen Standards wird die Diskontierung künftiger Nutzen- und Kostendaten gefordert. Für Kostendaten soll ein Abzinsungssatz von 5 Prozent mit Sensitivitätsanalysen für 0, 3, 7 und 10 Prozent gewählt werden. Unabhängig davon wird eine mögliche Inflationsbereinigung angesprochen.

Budget-Impact-Analyse als weitere Hürde

Die vorgestellte Fortschreibung von Effizienzgrenzen ist nur ein erster Schritt auf dem Weg zur Festlegung von Höchstgrenzen für erstattungsfähige Arzneimittelpreise. Dazu heißt es im IQWiG-Vorschlag: "Selbst nachdem eine neue Gesundheitstechnologie eine positive Bewertung in Bezug auf ihren Nutzen erhalten und eine Position auf oder oberhalb der Effizienzgrenze eingenommen hat, muss sie dennoch weiterhin für die deutschen Kostenträger bezahlbar bleiben. Um diesen Aspekt bewerten zu können, ist eine ökonomische Evaluation erforderlich, die den Einfluss auf die Budgets prüft". Demnach soll im Anschluss an die eigentliche Kosten-Nutzen-Bewertung eine Budget-Impact-Analyse folgen. In dem Methodenvorschlag wird empfohlen, dabei nicht einzelne Gesundheitstechnologien, sondern Versorgungsszenarien zu vergleichen.

Mit einer solchen Analyse wird untersucht, welche Ausgaben die GKV zu leisten hätte, wenn eine bestimmte Innovation zu einem bestimmten Preis erstattungsfähig würde. So wird unabhängig vom Kosten-Nutzen-Verhältnis geprüft, ob sie überhaupt bezahlbar ist. Dafür ist insbesondere zu ermitteln, bei wie vielen Patienten das Arzneimittel eingesetzt werden würde. Das Ergebnis soll als "Ausgaben pro Budgetperiode" ohne Diskontierung dargestellt werden.

Eine solche Betrachtung widerspricht der Orientierung an einem Kosten-Nutzen-Verhältnis. Dennoch ist diese Vorgehensweise international verbreitet und auch begründbar, weil die im Gesundheitswesen verfügbaren Mittel typischerweise durch übergeordnete Vorgaben begrenzt werden. Im IQWiG-Vorschlag wird die Methodik einer Budget-Impact-Analyse beschrieben, aber es werden keine Angaben gemacht, wie deren Ergebnisse in die Bildung eines Höchstbetrags eingehen sollen. Auch hier besteht noch Klärungsbedarf. Allerdings wird vom IQWiG angemerkt, dass die Entscheidung darüber, wie viel Mittel zur Verfügung gestellt werden sollen, außerhalb des Mandats des IQWiG liegt.

Fazit

Die Bildung von Höchstbeträgen auf der Grundlage von Kosten-Nutzen-Bewertungen wird das etablierte Preisbildungssystem für patentgeschützte Arzneimittel maßgeblich verändern.

Das vom IQWiG vorgeschlagene Verfahren erscheint methodisch anspruchsvoll. Doch sind noch viele Fragen zu klären, die sowohl die Methodik selbst als auch die zu ihrer Anwendung erforderlichen Daten betreffen.

Als Fachleute zu allen Themen rund um das Arzneimittel sind auch die Apotheker gefordert, an dieser Diskussion mitzuwirken.

 

Literatur

Veröffentlichungen des IQWiG, im Internet unter www.iqwig.de:

Methodik für die Bewertung von Verhältnissen zwischen Nutzen und Kosten im System der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung. Version 1.0 vom 24. Januar 2008.

Kosten und Nutzen in der Medizin. Die Analyse von "Effizienzgrenzen": Ein Vorschlag zur Bewertung von Verhältnissen zwischen Kosten und Nutzen einer medizinischen Intervention. 24. Januar 2008. Im Internet als "allgemeinverständliche Zusammenfassung" bezeichnet.

Allgemeine Methoden. Entwurf für Version 3.0 vom 15. November 2007.

Weitere Literatur beim Verfasser

 


Anschrift des Verfassers: 

Dr. Thomas Müller-Bohn, Seeweg 5a, 23701 Süsel

 

 

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