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Arzneimittel und Therapie
Heparin-Rückruf auch in Deutschland
Wie schon in der letzten Ausgabe der Deutschen Apotheker Zeitung berichtet (DAZ 2008; 148 (10) 43 - 44), waren in den USA seit Ende Dezember 2007 die Meldungen zu schweren allergischen Reaktionen nach Gabe von Standardheparinen der Firma Baxter Healthcare Corporation sprunghaft angestiegen. Inzwischen sollen in den USA über 700 Patienten von solchen schweren Zwischenfällen betroffen sein. Mindestens 19 Patienten sind an den Folgen gestorben. Dem BfArM lagen bezüglich des Heparin-Rotexmedica drei Berichte über Verdachtsfälle von schweren allergischen Schockreaktionen vor. Parallel dazu sollen dem Landesamt für soziale Dienste Schleswig-Holstein als für Rotexmedica zuständiger Überwachungsbehörde Informationen von einem Verbund von Dialysezentren zugegangen sein, nach denen es möglicherweise in etwa 35 weiteren Fällen zu allergischen Reaktionen nach Injektion von Heparin-Rotexmedica gekommen sein soll. Todesfälle wurden nicht gemeldet.
China: Wichtigster Lieferant für Rohheparin
Heparin wird sowohl in unfraktionierter (Standardheparin) als auch in fraktionierter Form (niedermolekulare Heparine) zur Thromboseprophylaxe eingesetzt. Als Ausgangsstoff dient sogenanntes Rohheparin, das überwiegend aus Schweinedärmen gewonnen wird. Weltweit wichtigster Lieferant für dieses Rohheparin ist China. So hat die Firma Baxter Healthcare ihr Rohheparin von der chinesischen Firma Changzhou SPL bezogen. Diese Firma bezeichnet sich selbst als Weltmarktführer im Bereich Heparin und Pankreasenzyme. Auch die jetzt vom Rückruf betroffene Firma Rotexmedica hat Rohheparin aus China bezogen, laut Auskunft des BfArM jedoch nicht von Changzhou SPL, aber von einem Lieferanten aus der gleichen Region.
Seit Bekanntwerden der Problematik in den USA wird sowohl von Seiten der Behörden als auch der Firma Baxter Healthcare Corporation intensiv nach der Ursache geforscht. Mit einem Schreiben vom 6. März 2008 informiert nun die FDA darüber, dass sie in Proben, die mit den fatalen Nebenwirkungen in Verbindung gebracht wurden, eine Verunreinigung mit Heparin-ähnlichen Eigenschaften gefunden habe. Sie wurde in Konzentrationen von 5 bis 20% nachgewiesen. Die Verunreinigung soll mit den Routinetestverfahren nicht zu finden gewesen sein. Nachgewiesen wurde sie jetzt mit Kapillar-Elektrophorese und 1 H-NMR-Spektroskopie. Die FDA empfiehlt allen Herstellern, vor Freigabe ihrer Heparine mit Hilfe dieser Screeningmethoden auszuschließen, dass solche Verunreinigungen enthalten sind. Heparin-Natrium darf nur einen einzigen Peak bei 2,1 ppm in der NMR-Spektroskopie und einen Peak bei der Kapillarelektrophorese aufweisen. Verunreinigungen sind an einem Doppelpeak bei 2,1 ppm in der NMR-Spektroskopie und an einem Peak mit Schulter in der Kapillarelektrophorese zu erkennen.
Die FDA betont, dass bislang nicht überprüft wurde, ob diese Verunreinigungen tatsächlich für die Zwischenfälle verantwortlich sind. Momentan bestehe zwar eine Assoziation, aber keine direkte kausale Beziehung. Nach wie vor ist auch unklar, wie und wo diese Verunreinigungen in die Produkte gelangt sind. Denkbar sind Fehler im Produktionsprozess, aber auch eine bewusste Verfälschung ist nicht auszuschließen.
Die DAZ hatte schon mit Bekanntwerden der Problematik in den USA bei für die Versorgung mit Standardheparinen in Deutschland zuständigen Firmen nachgefragt, woher sie ihr Heparin beziehen und ob hier ähnliche Probleme aufgetreten sind. Angeschrieben wurden die Firmen Ratiopharm, Sanofi Aventis und B. Braun-Melsungen, Leo und Rotexmedica. Geantwortet hatten Ratiopharm, Sanofi Aventis und B. Braun-Melsungen. Lediglich Ratiopharm gab an, sein Rohheparin aus China zu beziehen. Verwiesen wurde jedoch darauf, dass der Hersteller von Ratiopharm über ein European Pharmacopoeia Certificate of Suitability verfügt und durch das European Directorate for the Quality of Medicines and Healthcare inspiziert worden sei. Alle drei Firmen hatten keine Hinweise auf eine Häufung von allergischen Zwischenfällen.
Quelle
BfArM informiert über Rückruf des Arzneimittels Heparin-Rotexmedica. Mitteilung vom 7. März 2008
FDA-Information on Heparin Sodium Injection (Baxter) vom 6. März 2008.
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KOMMENTAR Ein hoher Preis
Seit Ende Dezember häufen sich in den USA Meldungen über schwere allergische Komplikationen und Todesfälle nach Gabe von Standardheparin. Jetzt ist auch ein deutsches Präparat betroffen: Heparin-Rotexmedica. Zunächst waren in den USA nur einige Chargen des Standardheparins der Firma Baxter Healthcare Corporation in Verdacht, doch die Eingrenzung gelang nicht, so dass alle Standardheparine zurückgerufen werden mussten. Auch bei uns traf zunächst ein Rote-Hand-Brief der Firma Rotexmedica mit einem Rückruf von drei Chargen ein, gefolgt von einem, bei dem schon zehn betroffen waren. Das Landesamt für soziale Dienste in Schleswig-Holstein als zuständige Überwachungsbehörde war jedoch nicht davon überzeugt, dass sich das Problem an einzelnen Chargen festmachen lässt. Es ordnete in Absprache mit dem BfArM den Rückruf aller Chargen an. Parallelen zu dem Fall in den USA deuten sich an. So soll die Firma Rotexmedica zumindest Rohheparin aus China bezogen haben, allerdings nicht von dem Baxter-Lieferanten. Eindeutige Informationen zu Lieferanten und Hersteller von Heparin-Rotexmedica konnten bzw. wollten uns weder die Firma Rotexmedica noch die Überwachungsbehörden geben. Das ist unbefriedigend. Es ist nach wie vor nicht einzusehen, dass den bei uns im Handel befindlichen Arzneimitteln nicht zu entnehmen ist, von welchem Lohnhersteller sie produziert worden sind und woher die Ausgangsstoffe stammen. Soviel Transparenz gebietet allein schon die Arzneimittelsicherheit. Bei Bekanntwerden von Problemen wie in den USA könnte man hier wesentlich schneller reagieren, wenn gleich offenkundig ist, dass das fragliche Arzneimittel oder seine Ausgangsstoffe vom gleichen Hersteller oder Lieferanten bezogen worden sind. Doch zur entscheidenden Frage: Wodurch wurden die fatalen Nebenwirkungen ausgelöst? Inzwischen hat man in den Baxter-Heparinen eine Verunreinigung nachweisen können, die möglicherweise für das Desaster verantwortlich sein könnte. Doch ob diese Heparin-ähnliche Substanz tatsächlich die Ursache ist und wie sie überhaupt in die Präparate gelangen konnte, ist immer noch nicht geklärt. Im Verdacht steht der chinesische Zulieferer, der jetzt erstmals von den amerikanischen Behörden kontrolliert wird. Hat er bewusst oder unbewusst verunreinigtes Material geliefert? Oder gelangte die Verunreinigung bei der weiteren Aufarbeitung durch die Firma Baxter in das Präparat? Was ist mit dem Heparin von Rotexmedica? Lassen sich auch hier die gleichen Verunreinigungen nachweisen oder liegen die Ursachen ganz woanders? Fragen, die teilweise schon lange auf Klärung warten und die dringend beantwortet werden müssen. Bis dahin kann nur Schadensbegrenzung betrieben werden. Die FDA hat die Hersteller aufgefordert, jedes Heparin vor jeder Chargenfreigabe auf die Heparin-ähnliche Verunreinigung hin zu untersuchen, ein Vorgehen, das auch bei in Deutschland angebotenen Heparinen bis zur Klärung der offenen Fragen empfehlenswert sein könnte. Der ganze Fall offenbart ein großes Dilemma. Um trotz gesundheitspolitisch gewollter radikaler Preissenkung auf dem Markt mithalten zu können und dennoch befriedigende Gewinne zu realisieren, beziehen immer mehr Firmen ihre Ausgangsstoffe aus Billiglohnländern wie Indien und China. Viele lassen ihre Produkte gleich dort produzieren. Aber wer kontrolliert die Zulieferer und Produzenten in diesen Ländern? Deutsche Überwachungsbehörden überprüfen zwar diese Betriebe, wenn dort Wirkstoffe für den deutschen Markt hergestellt werden. Doch man muss sich keinen Illusionen hingeben. Die Überwachungsbehörden aller Länder sind zunehmend mit der Überprüfung der immer komplexer werdenden Warenströme überfordert. Eine allumfassende Kontrolle bis in den letzten indischen oder chinesischen Kleinstbetrieb ist sicher schon aufgrund unzureichender finanzieller und personeller Ausstattung nicht zu leis-ten. Das macht es gerade denen leicht, die sich skrupellos durch Herstellung und Vertrieb von ge- und verfälschten Produkten bereichern. Den Preis für die immer mehr unter nicht zu kontrollierenden Bedingungen her-gestellten und vertriebenen Arznei-mittel zahlen die Patienten - im schlimmsten Fall mit ihrem Leben. Beispiel Panama: Dort starben im Jahr 2006 über 100 Menschen nach Einnahme eines Hustensaftes, der das Frostschutzmittel Diethylenglycol enthalten hatte. Er stammte aus China. Bleibt zu hoffen, dass die von den schweren Heparin-Nebenwirkungen betroffenen Patienten nicht auch ein Opfer solcher skrupellosen Machenschaften geworden sind.
Dr. Doris Uhl, |
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