Erfolg für Bayerischen Apothekerverband

Urteil bestätigt Rx-Preisbindung für EU-Versender

Berlin - 14.05.2024, 17:50 Uhr

Das OLG München hat sich eingehend mit der Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel befasst. (Foto: IMAGO / Sven Simon)

Das OLG München hat sich eingehend mit der Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel befasst. (Foto: IMAGO / Sven Simon)


Das Oberlandesgericht München hat in einem seit mehr als einem Jahrzehnt anhängigen Rechtsstreit zu Rx-Boni eines niederländischen Arzneimittelversenders ein Urteil gesprochen. Darin räumt es auf mit dem 2016 ergangenen EuGH-Urteil, wonach sich EU-Versender nicht an die Rx-Preisbindung halten müssen, und macht klar: Die entsprechende deutsche Regelung war weder in ihrer früheren Form unionsrechtswidrig, noch ist sie es heute, da sie im Sozialrecht verankert ist.

Bereits am 7. März dieses Jahres hat das Oberlandesgericht München ein Urteil gefällt, das sich mit Rx-Boni eines niederländischen Arzneimittelversenders aus dem Jahr 2012 beschäftigt. Jetzt liegen die Urteilsgründe vor – und die Apothekerschaft hat allen Grund zur Freude. Denn die Münchener Richter haben die Gelegenheit zur Korrektur des 2016 ergangenen Urteils des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Rx-Preisbindung genutzt, ganz im Sinne des klagenden Bayerischen Apothekerverbands (BAV) entschieden und die beanstandete Boni-Werbung für unzulässig befunden.

Zunächst nochmal ein Blick zurück: Das Urteil aus Luxemburg hatte seinerzeit die Apothekenwelt erschüttert. Es gab EU-Versendern wie DocMorris und Shop Apotheke einen Freibrief für Boni auf Rezepte, indem es die auch für sie geltende deutsche Rx-Preisbindung für unionsrechtswidrig befand. Diese Freiheit des Preiswettbewerbs müsse sein, weil sich die Unternehmen sonst kaum auf dem deutschen Markt behaupten könnten, argumentierte der EuGH. Schließlich hätten sie keine Möglichkeit, vor Ort individuell zu beraten und eine Notfallversorgung mit Arzneimitteln sicherzustellen.

Die Begründung stieß die Fachwelt vor den Kopf. Doch sie bot auch einen kleinen Lichtblick: Der EuGH hatte bemängelt, dass weder die damals klagende Wettbewerbszentrale noch die beteiligte Bundesrepublik mit Beweisen untermauert hätten, weshalb die Preisbindung zur Sicherung der ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung geeignet und erforderlich sei. Diesen Nachweis nachträglich beizubringen, sahen Kritiker als Chance.

Schnell fand man das anhängige wettbewerbsrechtliche Verfahren, das der BAV ursprünglich gegen Wellsana, einen niederländischen Arzneimittelversender und Ableger aus dem DocMorris-Imperium, führte. Das Landgericht München hatte 2014 entschieden: Der 2012 von Wellsana beworbene direkt verrechenbare Bonus von drei Euro pro bestelltes verschreibungspflichtiges Arzneimittel, bzw. von bis zu neun Euro für die Teilnahme an einem „Arzneimittelcheck“, verstieß gegen die damals im Arzneimittelgesetz auch für EU-Versender verankerte Preisbindung und war damit wettbewerbswidrig. Dass die Regelung europarechtskonform war, daran zweifelte das Gericht nicht – schließlich hatte der Gemeinsame Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes dies 2012 so befunden.

Wellsana, bzw. deren Nachfolger Tanimis/DocMorris, ließ das Urteil selbstverständlich nicht auf sich sitzen und ging in Berufung. Das Oberlandesgericht München I setzte seine Entscheidung jedoch zunächst einmal aus, als feststand, dass der EuGH das Urteil im Verfahren der Wettbewerbszentrale gegen die Deutsche Parkinsonvereinigung fällen wird. Nach dem Urteil aus Luxemburg machten sich die Münchener Richter auf den Weg, die vom EuGH vermissten Beweise einzuholen. Anfang des Jahres 2018 baten sie die Bundesregierung um Auskunft, ob und gegebenenfalls welche tatsächlichen Umstände die Annahme rechtfertigen, dass die Preisbindungsregelung erforderlich ist, um eine flächendeckende, sichere und qualitativ hochwertige Arzneimittelversorgung zu gewährleisten.

BMG verteidigt Preisbindung

Eine Antwort gab das Bundesgesundheitsministerium erst Ende 2021. Da war die vom EuGH bemängelte Regelung im Arzneimittelgesetz längst gestrichen und eine neue sozialrechtliche gefunden: Die große Koalition hatte die Rx-Preisbindung für EU-Versender ins Sozialgesetzbuch V verpflanzt – dort steht seitdem, dass sich alle Apotheken, für die der Rahmenvertrag nach § 129 Abs. 2 SGB V wirkt, an die Preisspannen der Arzneimittelpreisverordnung halten müssen. Das BMG erklärte aber noch mehr: Für verschreibungspflichtige Arzneimittel gewährte Rabatte könnten zu einem Verdrängungswettbewerb führen und in der Folge die wirtschaftliche Situation von Apotheken gefährden und damit die sichere und qualitativ hochwertige flächendeckende Versorgung mit Arzneimitteln einschränken. Auch das Sachleistungs- und das Solidaritätsprinzip werde durch die Preisbindung gestützt – Rabatte kämen schließlich nicht der Solidargemeinschaft zugute. Darüber hinaus würden mit der Einführung des E-Rezepts eventuell bestehende Nachteile für Versandapotheken wegfallen. 

Ausführliche Urteilsgründe

Auch der BAV nutzte im weiteren Verfahren die Gelegenheit, seine Argumente zu bestärken – Unterstützung gab es seitens der ABDA und des Deutschen Apothekerverbands (DAV). Und nun hat das Oberlandesgericht endlich entschieden und die Berufung nahezu umfassend zurückgewiesen. Das 64-seitige Urteil hat es in sich. Die entscheidenden Aussagen finden sich aber schon am Anfang der Entscheidungsgründe: „Die bundesdeutschen Regelungen zur Arzneimittelpreisbindung sind weder nach der zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Werbeaktion maßgeblichen noch auf der Grundlage der zum Zeitpunkt der Entscheidung geltenden Rechtslage wegen Verstoßes gegen die gemäß Art. 28 ff. AEUV gewährleistete Warenverkehrsfreiheit unionsrechtswidrig.“ Infolge des besagten EuGH-Urteils bestehende Zweifel an der europarechtlichen Wirksamkeit der deutschen Arzneimittelpreisvorschriften seien unter Berücksichtigung des im Rahmen des vorliegenden Verfahrens erfolgten Parteivortrags und der Stellungnahme der Bundesregierung im Hinblick auf die dem Gesetzgeber zustehende, weite Einschätzungsprärogative ausgeräumt. 

„Wir begrüßen das Urteil des Oberlandesgerichtes München, denn es stärkt den Verbraucherschutz für Millionen Patientinnen und Patienten“, kommentiert der BAV- und DAV-Vorsitzende Hans-Peter Hubmann die Entscheidung. Die Arzneimittelpreisbindung bei rezeptpflichtigen Medikamenten sei „eine tragende Säule des deutschen Gesundheitswesens“. Kranke Menschen seien zu einem Preisvergleich oft nicht in der Lage und müssten sich bei bundeseinheitlichen Apothekenabgabepreisen jedenfalls keine Sorgen machen, ausgenutzt oder übervorteilt zu werden. 

Tatsächliche Anhaltspunkte reichen zur Begründung

Hubmann erklärt zu den weiteren Entscheidungsgründen: „Das Oberlandesgericht München hebt den Wertungsspielraum des Gesetzgebers hervor und führt eine umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung durch. Für den deutschen Verbraucherschutzeingriff in den europäischen Preiswettbewerb ist es demnach nicht erforderlich, wissenschaftlich eindeutige Beweise auf der Grundlage umfassender empirischer Daten zu finden. Ausreichend ist vielmehr die Feststellung, dass tatsächliche Anhaltspunkte die gesetzliche Maßnahme rechtfertigen und damit nicht willkürlich erfolgt sind. Ausländische Versandapotheken müssen endlich akzeptieren, dass deutsches Recht auch für sie gilt, wenn sie hierzulande agieren wollen.“

Beendet ist das Verfahren damit aber noch nicht: Das Oberlandesgericht München hat die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen. Und die wird sich der DocMorris-Konzern nicht nehmen lassen. Verzichtet haben die Richter angesichts der bisherigen Prozessdauer allerdings auf eine neuerliche Vorlage an den EuGH.


Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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