Die schwierige Beziehung von Apotheken und Krankenkassen

Rahmenvertrag kündigen – was wären die Folgen?

Berlin - 01.12.2023, 17:50 Uhr

Wäre die Kündigung des Rahmenvertrags mit den Kassen wirklich eine Lösung? (Foto: Stockfotos-MG / AdobeStock)

Wäre die Kündigung des Rahmenvertrags mit den Kassen wirklich eine Lösung? (Foto: Stockfotos-MG / AdobeStock)


Apotheker*innen haben immer wieder Anlass, sich über Krankenkassen zu ärgern. Sie fühlen sich gegängelt durch deren unbedingten Sparwillen, der sich auch in bürokratischen Auflagen, Rabattverträgen und nicht nachvollziehbaren Retaxationen ausdrückt. Und so wird häufig der Ruf laut, der Rahmenvertrag solle gekündigt werden. Doch was für Folgen hätte eine solche Kündigung? Und wäre den Apotheken damit wirklich gedient?

Ob in persönlichen Gesprächen, den sozialen Medien, den Kommentarspalten der Fachportale oder auch in Pressemitteilungen: Aus der Apothekerschaft ist immer dann, wenn der Ärger über die Krankenkassen besonders groß ist, die Forderung zu hören, den Rahmenvertrag oder auch andere, überschaubarere Lieferverträge mit Krankenkassen zu kündigen. Aber was genau verspricht man sich davon? Das ist nicht immer klar. Der gesetzliche Versorgungsauftrag (§ 1 Abs. 1 ApoG) bleibt schließlich bestehen. Die Apotheken müssen die Menschen also weiterhin mit den nötigen Arzneimitteln versorgen – und § 129 Sozialgesetzbuch V macht dazu mit Blick auf die Wirtschaftlichkeit einige Vorgaben, die der Rahmenvertrag dann detaillierter ausführt. Der Verband innovativer Apotheken (via) setzt bei seiner Forderung nach eine Kündigung darauf, dass der Vertrag grundlegend neu verhandelt wird – in der Hoffnung auf bessere Regelungen.

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Aber ist das realistisch? Was würde passieren, wenn der Deutsche Apothekerverband (DAV) den Rahmenvertrag kündigen würde? Klar ist: Damit entsteht kein Zustand ohne Regeln, der die Apotheken „befreien“ würde. Vieles, wogegen die Apotheken Sturm laufen, ist nämlich gesetzlich geregelt oder ergibt sich aus der Rechtsprechung der Sozialgerichte. Preise und Abschläge zugunsten der Kassen sind zum Beispiel (abgesehen von Zubereitungen) vom Gesetz- bzw. Verordnungsgeber festgelegt. Und dass (Null-)Retaxationen möglich sind, haben die Gerichte abgesegnet. Schon ein kleiner Fehler bei der Abgabe lässt nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts grundsätzlich den gesamten Vergütungsanspruch entfallen, das ist eine sehr spezielle sozialrechtliche Logik, die dem Zivilrecht unbekannt ist. Dahinter steckt auch der Gedanke, dass die wirtschaftliche Arzneimittelversorgung einfach laufen muss und man nicht jeden Einzelfall neuerlich bewerten will. 

Gesetzgeber erkennt Nullretax als Problem

Der Gesetzgeber hat bereits vor einer Weile erkannt, dass die Rechtsprechung zu völlig unverhältnismäßigen Absetzungen führen kann. Schließlich werden die Versicherten mit einem Arzneimittel versorgt – und dafür soll die Apotheke am Ende gar nichts bekommen? 2015 wurden DAV und GKV-Spitzenverband daher per Gesetz aufgefordert, im Rahmenvertrag zu regeln, „in welchen Fällen einer Beanstandung der Abrechnung durch Krankenkassen, insbesondere bei Formfehlern, eine Retaxation vollständig oder teilweise unterbleibt“. Funktioniert hat das nicht. Die Schiedsstelle musste angerufen werden; sie legte am Ende fest, welche Fehler als exemplarisch „unbedeutend“ und die Arzneimittelsicherheit und die Wirtschaftlichkeit der Versorgung nicht wesentlich tangierend gelten. Seitdem gibt es im Rahmenvertrag einen Katalog von Retax-Verboten, der den Apotheken tatsächlich sehr viel weitergehenden Schutz gibt, als die Rechtsprechung ihnen gemeinhin zugestehen würde. Mit dem Lieferengpass-Gesetz (ALBVVG) folgten in diesem Sommer dann auch noch ausdrücklich gesetzlich festgeschriebene Retax-Einschränkungen für einige wesentliche Abweichungen von den rechtlichen Vorgaben (§ 129 Abs. 4d SGB V). Welche Auslegungsmethoden den Kassen dazu noch einfallen werden, wird sich zeigen. Was den Schutz vor Retaxationen betrifft, stünden Apotheken ohne den Rahmenvertrag also aller Wahrscheinlichkeit weitaus schlechter da als mit. Gäbe es die detaillierten Retax-Ausschlüsse nicht, müssten sie sich ganz auf eine geänderte Rechtsprechung zu ihren Gunsten verlassen – ein gewagtes Unterfangen. 

Denken wir dennoch weiter: Kündigt der DAV in der Hoffnung auf bessere Regelungen, werden Fristen in Gang gesetzt: Der Vertrag gibt eine Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Ende eines Kalendervierteljahres vor. Anders als teilweise in der Hilfstaxe, gibt es keine Bestimmung, dass die Regeln fortgelten bis eine Nachfolgeregelung gefunden ist. Nach den Erfahrungen, die man in den vergangenen Jahren zu den Verhandlungen zwischen DAV und GKV-Spitzenverband machen durfte, ist kaum zu erwarten, dass die Rahmenvertragspartner innerhalb eines halben Jahres einvernehmlich zu einem neuen Vertrag kommen werden. Und ganz ohne Vertrag wird es nicht laufen. Denn wenn DAV und GKV ihn nicht zeitnah vereinbaren, wird das Bundesgesundheitsministerium intervenieren und eine Frist setzen – dafür muss es nicht einmal die sechs Monate abwarten. 

Wenn dieser Druck nicht fruchtet, muss die Schiedsstelle den Vertragsinhalt festlegen. Diese ist paritätisch mit je fünf Vertretern der Apotheken- und Kassenseite besetzt sowie einem unparteiischen Vorsitzenden und zwei weiteren unparteiischen Mitgliedern. Der Vorsitzende, seit Jahren ist dies der frühere Chef des Gemeinsamen Bundesausschusses, Rainer Hess, ist am Ende das Zünglein in der Waage. 

Ob der Schiedsstellen-Vertrag am Ende günstiger für die Apotheken ausfällt, ist jedenfalls keine ausgemachte Sache. Schon jetzt ist auch die GKV-Seite keinesfalls rundum glücklich mit dem Vertrag. Und sicher dürfte sein: Hat es aus Kassensicht auch nur den Anschein, dass die Apotheken nach einem Schiedsstellen-Beschluss günstig wegkommen, wird der GKV-Spitzenverband dagegen vor Gericht ziehen. Das hat er in jüngster Zeit immer wieder getan. Umgekehrt würde sich auch der DAV zur Wehr setzen, wenn er den Vertrag für nicht haltbar hält. Anhängig sind etwa noch die Klagen der Kassenseite gegen die Schiedssprüche zu den Zytostatika-Preisen – die festgesetzten Arbeitspreise hält der GKV-Spitzenverband sogar für „rechtswidrig“ – sowie den pharmazeutischen Dienstleistungen. Solche Klagen haben keine aufschiebende Wirkung, sodass die festgesetzten Regelungen vorerst fortbestehen. Und letztlich gilt auch hier das zu den Retaxationen Gesagte: Die Entscheidungen der Sozialgerichte bergen stets eine nicht unbeachtliche Gefahr für Apotheken.

Ein kritisches Machtgefälle

Apothekenrechtsexperte Professor Elmar Mand gibt gegenüber der DAZ zudem einen weiteren wesentlichen Punkt zu bedenken: Was macht eine einzelne Apotheke, die ohne Vertrag der riesigen Marktmacht der GKV gegenübersteht? Ihren gesetzlichen Verpflichtungen muss sie weiterhin nachkommen. Mand hält es für nicht unwahrscheinlich, dass die Kassen die Apotheken gegeneinander auszuspielen versuchen und noch mehr Druck ausüben werden. Dieses Machtgefälle ist aus seiner Sicht nicht zu unterschätzen. Die Geschlossenheit im Rahmenvertrag gebe vielmehr Schutz. Er sieht in den Kündigungsforderungen einen verständlichen, letztlich aber nur „symbolischen Verzweiflungsschrei“. Dieser werde in der Politik wahrgenommen, aber dass am Ende etwas Positives für die Apotheken herauskommt, hält Mand für eine trügerische Hoffnung.


Kirsten Sucker-Sket
redaktion@daz.online


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6 Kommentare

Fehler in der Ausführung

von Stefan Haydn am 05.12.2023 um 13:23 Uhr

Ich denke es geht bei der Forderung um Kündigung der Rahmenverträge darum die Patienten erst mal zu Selbstzahlern zu machen. Und diese sollen dann die Kassen mit Erstattungsanfragen zum Einlenken bringen.
Warum sollten die Apotheken denn überhaupt noch mit irgendeiner GKV abrechnen wollen, Wenn Sie durch den Patienten als Selbstzahler erst mal keiner bzgl. Zwangsrabatt belangen kann. Und 2€ mehr sind immerhin ein Viertel des Honorares.

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Nebenaspekt

von Stefan Haydn am 05.12.2023 um 13:41 Uhr

Interessant wäre die Frage der Kündigung eher bzgl. Klage vor Gericht.
Da Klagen zur Anpaßung des Honorares deutlich Zeit und Instanzen in Anspruch nehmen werden, wäre die Kündigung und Selbstzahlung durch Patienten eventuell eine Möglichkeit eine Betrachtung vor Gericht zu beschleunigen.
Dies könnte dann allerdings dafür sorgen, daß ein Richter die Pflichten der Apotheken für nichtig erklärt, da Staat und Krankenkassen einseitig keine einzelne gesetzliche Regelung zur Überprüfung und Berücksichtigung apothekerlicher Interessen eingehalten haben.
Es gibt Pflichten nur in Kombination mit Rechten. Richter wissen das durchaus noch und können auch mit dem Begriff Rechtsanspruch etwas anfangen.
Bei den Anwälten und deren Honorarordnung ist Verglaichbares schon geschehen.

Eine andere Möglichkeit Klagen schneller vor Gericht zu bringen wäre auch die Verweigerung des Notdienstes oder die Anfertigung von Rezepturen oder Belieferung von Hochpreiser zu verweigern.

Kündigung der Verträge mit den Krankenkassen

von Dorf-Apothekerin am 05.12.2023 um 12:39 Uhr

Geschätzte 600 geschlossene Apotheken in diesem Jahr sind 600 Kündigungen von Krankenkassenverträgen. Wenn inzwischen 6000 Apotheken mit ihrer Existenz auf der Kippe stehen, werden in absehbarer Zeit auch diese kündigen. Ob die Politik das will?
Es ist endlich an der Zeit die Umsetzung der Aussage von Herrn Bundeskanzler Schröder bei seinem Amtsantritt: Die Kassen müssen endlich mehr Macht bekommen, rückgängig zu machen.
Sozialismus und Demokratie sind Gegensätze, die die Wirtschaft ruinieren. Das sollte man aus der Vergangenheit gelernt haben. Nur wird die seit der Jahrtausendwende überwiegend das BMG führende SPD ihren Kurs nicht ändern. Also werden die Apotheken weiter 'einzeln kündigen' müssen.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Danke

von Michael Mischer am 04.12.2023 um 9:22 Uhr

Danke für diesen Artikel.

Wann immer man, auch ich, in Foren darauf hinweist, dass der Rückfall auf die gesetzlichen Regelungen nach Kündigung des Rahmenvertrags hart wäre (bspw. auch in Bezug auf die dann noch härtere aut idem Regelung ohne Auswahlfenster und Abgabekaskade), löst man einen kleinen Shit-Storm aus.

Interessant wäre nun noch die ergänzende Betrachtung, was eine Kündigung der Regelungen zur Abrechnung bedeuten würde. Auch diese Forderung kommt immer wieder und scheint mit der Annahme verbunden, dass die Apotheken dann GKV-Versicherte als Selbstzahler behandeln könnten und es den Versicherten obliegen würde, ihre Apothekenrechnungen mit der Krankenkasse zu klären. Ich habe da schon aufgrund des Sachleistungsprinzips der GKV, der Zuzahlungsregeln und diverser Rabatt-Paragraphen gewisse Zweifel...

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AW: AW: Danke

von FB am 05.12.2023 um 14:43 Uhr

Ich verstehe Ihre Argumentation nicht ganz. Meine Gedanke dazu wie folgt:

Ein aut-idem Austausch sollte auch ohne Hinweise des Kassensystems im Rahmen der pharmazeutischen Kompetenz liegen. Dann würde man die Zeit investieren und pharmazeutisch prüfen, ob das vorrätige Präparat ein gängiger Austausch ist. Aktuell investiert man Zeit um zu prüfen, ob das Präparat den Wünschen der KVen entspricht. Ich würde lieber Ersteres prüfen, denn dafür hat man das Studium absolviert.

Die von Ihnen genannten Zweifel zur Behandlung der Patienten als Selbstzahler beziehen sich auf Reglungen der GKVen, mit denen dann ja kein Vertrag mehr bestehen würde. Mich interessieren ja keine Reglungen mit Parteien/Leuten, mit denen ich nicht vertraglich gebunden bin.

?

von Dr. Radman am 01.12.2023 um 19:04 Uhr

Wenn die Kassen mit den Verträgen unglücklich sind, werden sie sie kündigen. Sie haben aber kein Grund dazu, denn sie deuten sie immer zu ihren Gunsten und die Apothekers können dagegen nichts tun. Moderne Sklaverei.

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