Nach dem G-BA-Beschluss

Medizinalcannabis: Fachverbände sehen weiteren Reformbedarf

Berlin - 22.03.2023, 16:00 Uhr

Der G-BA hat nun Näheres zur Verordnung von Cannabisblüten, -extrakten und -arzneimitteln geregelt. (Foto: openrangestock / AdobeStock)

Der G-BA hat nun Näheres zur Verordnung von Cannabisblüten, -extrakten und -arzneimitteln geregelt. (Foto: openrangestock / AdobeStock)


Vergangene Woche hat der G-BA seinen Beschluss zur Aufnahme von Medizinalcannabis in die Arzneimittel-Richtlinie getroffen. Er fiel moderater aus als einige Fachverbände, darunter der Verband der Cannabis versorgenden Apotheken, befürchtet hatten. Vom Tisch ist etwa die Idee, nur noch Fachärzte sollten Medizinalcannabis verordnen dürfen. Das sorgt zwar für eine gewisse Erleichterung. Nachbesserungsbedarf und vor allem die Notwendigkeit weiterer Reformen sehen die Verbände dennoch.

Auch wenn Medizinalcannabis seit nunmehr sechs Jahren Kassenleistung ist – das Thema sorgt nach wie vor für kontroverse Diskussionen. Das zeigte sich zuletzt in einem Stellungnahmeverfahren des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), bei dem es um die Detailregelungen zur Verordnung von Medizinalcannabis in der Arzneimittel-Richtlinie ging. Die vom G-BA vorgelegte Beschlussvorlage rief bei Fachverbänden einigen Widerspruch hervor. Acht von ihnen, darunter der Verband der Cannabis versorgenden Apotheken (VCA), der Bund Deutscher Cannabis-Patienten (BDCan), die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM), und der Branchenverband Cannabiswirtschaft (BvCW), machten ihre Kritikpunkte in einer gemeinsamen Stellungnahme deutlich.

Vor allem die Vorschläge der Kassenseite ließen sie fürchten, dass sich die Patientenversorgung mit den neuen Regelungen verschlechtern würde. So fand sich in der Beschlussvorlage der Vorstoß, dass nur noch bestimmte Fachärzte Medizinalcannabis verordnen können sollten. Zudem sollte für Blüten eine Nachrangigkeit gegenüber „Cannabisarzneimitteln“ formuliert werden („Vor einer Verordnung von Cannabis in Form von getrockneten Blüten ist zu prüfen, ob andere Cannabisarzneimittel zur Verfügung stehen, die zur Behandlung geeignet sind“). Überdies sollte die Verordnung von Blüten „besonders zu begründen“ sein. 

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Vergangene Woche fiel nun nach einer weiteren Diskussion im Plenum die Entscheidung des G-BA – einstimmig sowie mit Zustimmung der Patientenvertretung. Der G-BA-Vorsitzende Josef Hecken betonte, dass man sich damit exakt im vorgegeben gesetzlichen Rahmen halte und keine zusätzlichen Anforderungen stelle. Damit hatte auch der vorgeschlagene Facharztvorbehalt keine Überlebenschance – er lässt sich aus dem Gesetz nicht herleiten.

Blüten versus Fertigarzneimittel

Gerungen wurde in der Plenumssitzung noch um die Frage, ob Cannabisblüten tatsächlich nur nachrangig zum Zuge kommen sollten. Antje Haas vom GKV-Spitzenverband verwies erneut auf einen Mangel an Standardisierung bei diesen Produkten. Festgelegt habe man nun zwar einen THC-Mindestgehalt für getrocknete Blüten und Extrakte. In der Begleiterhebung des BfArM habe man jedoch festgestellt, dass die Blüten oftmals in Dosierungen Anwendung fänden, die jenseits dessen seien, was man ärztlich verordnen würde. Es gebe nur wenige Vorteile, die für die Verordnung der Blüte als Alternative zum Fertigarzneimittel sprechen, meint Haas. Daher solle den Blüten eine Nachrangigkeit gegenüber den Fertigarzneimitteln eingeräumt werden. Sibylle Steiner von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) erklärte hingegen, den gesetzlichen Vorschriften sei keine Nachrangigkeit zu entnehmen.

Hecken vermittelte: Ein Fertigarzneimittel sei Blüten und Extrakten sicher immer vorzuziehen, wenn es zur Verfügung stehe. Er schlug eine Kompromissformulierung vor, die akzeptiert wurde und nun lautet:


Vor einer Verordnung von Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten ist zu prüfen, ob andere cannabishaltige Fertigarzneimittel zur Verfügung stehen, die zur Behandlung geeignet sind. Die Verordnung von Cannabis in Form von getrockneten Blüten ist zu begründen.“ 

§ 44 Abs. 2 Sätze 4 und 5 der Arzneimittel-Richlinie (G-BA-Beschluss vom 16. März)


Verbände: Gesetz noch dieses Jahr überarbeiten

Die acht Fachverbände, die sich schon im Stellungnahmeverfahren zusammengetan hatten, kommentieren auch den nun gefassten Beschluss gemeinsam. In einer Pressemitteilung würdigen sie, dass sich der G-BA intensiv mit dem wichtigen und komplexen Thema befasst und sich explizit am Gesetzestext orientiert hat. „Der Willen des Gesetzgebers war es, mit dem 'Cannabis als Medizin'-Gesetz von 2017 den Zugang zu Medizinalcannabis für Patient:innen mit schwerwiegenden Erkrankungen möglichst unbürokratisch und gleichzeitig sicher zu gestalten. Dem hat der G-BA aus Sicht der Fachverbände Rechnung getragen“.

Mit der oben genannten Formulierung sind sie allerdings nicht zufrieden, da sie unklar bleibe. Die Verbände sehen darin nach wie vor eine generelle Nachrangigkeit der Blüten. Dies werde zusätzlich dadurch verschärft, dass der letzte Satz nur auf die Begründung für die Verordnung der Blüte abziele. „Eine Klarstellung ist hier notwendig, um in der Praxis keine zusätzlichen Hürden zu schaffen“, fordern die Verbände.

Überdies sollte aus ihrer Sicht der gesamte rechtliche Rahmen noch in diesem Jahr vom Gesetzgeber überarbeitet werden, um „für Rechts- und Versorgungssicherheit für die Patient:innen zu sorgen“. Dies sei nach sechs Jahren Erfahrung angebracht. Denn es gebe noch „großen Optimierungsbedarf“. So führe zum Beispiel der Genehmigungsvorbehalt weiterhin zu Ablehnungsquoten von 30 bis 40 Prozent – dabei soll die Ablehnungen laut Gesetz der Ausnahmefall sein. 

Die Verbände kündigten an, innerhalb der nächsten Wochen ein Positionspapier mit konkreten Vorschlägen für eine Gesetzesnovellierung zu veröffentlichen.

Der Beschluss des G-BA macht derzeit noch eine Runde im Bundesgesundheitsministerium. Wird er dort nicht beanstandet, tritt er nach Veröffentlichung im Bundesanzeiger in Kraft.

Welche Cannabisprodukte können verordnet werden?

Verordnungsfähig ist medizinisches Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten, sofern sie einen THC-Gehalt von mindestens 0,2 Prozent besitzen. THC (Tetrahydrocannabinol) ist neben Cannabidiol einer der beiden Hauptwirkstoffe der Cannabispflanze. Auch (Rezeptur-)Arzneimittel mit synthetisch hergestellten THC-Derivaten (Wirkstoffe Dronabinol und Nabilon) können verordnet werden.

Für die in Deutschland zugelassenen cannabishaltigen Fertigarzneimittel wie Sativex® und Canemes® greifen die G-BA-Regelungen zu Cannabisprodukten hingegen nur dann, wenn sie außerhalb ihrer zugelassenen Anwendungsgebiete verordnet werden sollen. Bei Verordnung innerhalb ihrer Zulassung sind sie Teil der regulären Arzneimittelversorgung.

(aus den FAQ des G-BA zu seinem Beschluss vom 16. März 2023)


Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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