Forderungskatalog

Was versteht die ABDA unter dem „sachlich gebotenen Maß“ bei Retaxationen?

Berlin - 20.03.2023, 07:01 Uhr

Apotheken wollen nicht länger Retaxationen ausgesetzt sein, die letztlich eine ungerechtfertigte Bereicherung für die Krankenkassen sind. (Foto: Schelbert / DAZ)

Apotheken wollen nicht länger Retaxationen ausgesetzt sein, die letztlich eine ungerechtfertigte Bereicherung für die Krankenkassen sind. (Foto: Schelbert / DAZ)


Ende Februar legte der ABDA-Gesamtvorstand einen Forderungskatalog an die Politik vor. Demnach sollen Retaxationen durch die Krankenkassen auf das „sachlich gebotene Maß“ beschränkt werden. Doch was ist darunter konkret zu verstehen? Hinweise finden sich in einem Leitantrag, den die Hauptversammlung beim Deutschen Apothekertag 2022 in München beschlossen hat.

Am Valentinstag war er endlich da: der Referentenentwurf für ein sogenanntes Lieferengpass-Gesetz. Doch um die Beziehung zwischen Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und der Apothekerschaft zu kitten, eignet sich die Vorlage sicher nicht – der Berufsstand fühlt sich durch die Vergütung in Höhe von 50 Cent, die Apotheken demnach für das Management bestimmter Lieferengpässe erhalten sollen, zutiefst beleidigt. Zudem stößt das Vorhaben des Ministers, die Befugnisse der Apothekerinnen und Apotheker bei der Rezeptbelieferung wieder deutlich einzuschränken, auf Widerstand.

ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening platzte sogleich der Kragen – und mit den leisen Tönen war schnell Schluss. Zunächst in einer Pressemitteilung, später auch in einer Videobotschaft wetterte sie gegen die Pläne Lauterbachs. Und in einem offenen Brief an den Minister nannte sie den 50-Cent-Vorschlag „schamlos“. Was der Berufsstand stattdessen von der Politik erwartet, stellte der ABDA-Gesamtvorstand zwei Wochen später bei einem Treffen in Berlin klar. Der am 28. Februar beschlossene Forderungskatalog enthält zehn konkrete Anliegen, auf deren Umsetzung man nun pocht.

Einige Punkte dürften aufmerksamen DAZ-Leserinnen und -Lesern bekannt vorkommen. So auch der fünfte von ihnen, der da lautet:


5. Reduzierung von Retaxationsverfahren auf das sachlich gebotene Maß

Vollständige Verweigerung der Bezahlung des Preises des abgegebenen Arzneimittels müssen verboten werden, wenn der/die Versicherte entsprechend der ärztlichen Verordnung versorgt wurde. Teiltretaxationen sind nicht ausgeschlossen, müssen aber auf den Betrag beschränkt werden, der sich aus dem Zuschlag (Fixum + 3 Prozent auf den Apothekeneinkaufspreis) ergibt. Formfehler, die der verordnende Arzt / die verordnende Ärztin verursacht hat, berechtigen nicht zu einer Retaxation. 


Forderungskatalog der ABDA auf Beschluss des Gesamtvorstands vom 28. Februar 2023

Diese Forderung erinnert – wie auch einige andere der zehn Punkte – an einen Leitantrag, den die Hauptversammlung der deutschen Apothekerinnen und Apotheker Ende September 2022 beim Deutschen Apothekertag in München beschlossen hat. Darin markieren die antragstellenden Kammern aus Westfalen-Lippe und dem Saarland sowie die Verbände aus Thüringen, Berlin und Westfalen-Lippe fünf Handlungsfelder, um Retaxationen wirksam zu beschränken.

So sollen Kassen etwa bei Abgabe- oder Abrechnungsfehlern der Apotheke, die zu „keiner Beeinträchtigung der berechtigten Interessen des Versicherten“ geführt haben, nur in jener Höhe die Rechnung kürzen dürfen, in der ihnen ein nachzuweisender wirtschaftlicher Schaden entstanden ist. Dabei rücken insbesondere die Rabattverträge in den Fokus: Denn bei der Rezeptbelieferung ist die Apotheke angehalten, vorrangig ein Rabattarzneimittel abzugeben – Verstöße führen zu einem wirtschaftlichen Schaden für die Kasse. „Im Rahmen des Nachteilsausgleichs ist der Gesetzlichen Krankenkasse aber nur der tatsächlich entstandene Schaden zu ersetzen“, schreiben Kammern und Verbände. „Eine Nullretaxation führt insoweit zu einer unberechtigten Bereicherung der Gesetzlichen Krankenkasse.“

Das Problem: Um die Höhe des entstandenen Schadens zu belegen, müsste die betroffene Kasse gemäß der Formulierung im DAT-Antrag offenlegen, in welcher Höhe das pharmazeutische Unternehmen, mit dem sie den Rabattvertrag geschlossen hat, ihr einen Preisnachlass gewährt – ein von den Krankenkassen wohlgehütetes Geheimnis. Diesen Stolperstein umschifft die ABDA in ihrem Forderungskatalog, indem sie den zulässigen Retax-Betrag auf das Apothekenhonorar begrenzt, also das Fixum plus die 3-Prozent-Marge. Bei Verstößen gegen die Rabattverträge bekäme die Apotheke demnach die Materialkosten in voller Höhe ersetzt, müsste aber auf ihre Vergütung verzichten.

Der zweite Teil der Katalogforderung bezieht sich auf formale Fehler am Rezept, die durch die Verordnerin oder den Verordner verursacht sind. Sie sollen nicht zur Retaxation berechtigen – und auch dazu finden sich Hinweise im Antrag, was konkret gemeint sein könnte. „Es kommt auch vermehrt zu Nullretaxationen durch Kassen wegen fehlender Dosierungsangaben auf dem Rezept – obwohl die Apotheken ihre öffentlich-rechtliche Leistungspflicht vollumfänglich erfüllt haben und den Kassen keinerlei Vermögensnachteile entstanden sind“, konstatieren Kammern und Verbände. „Durch diese unrechtmäßigen Nullretaxationen demoralisieren die Kassen die Apothekerinnen und Apotheker. Solche Retaxationen verunsichern massiv und machen den Berufsstand zunehmend mürbe, sodass letztlich die flächendeckende Arzneimittelversorgung gefährdet wird.“

Fehlende Dosierangaben sind ein Beispiel, das im Antrag genannt wird. Ein zweites taucht in einer Passage auf, in der es um das Entlassmanagement geht. Danach sollen Krankenkassen formale Fehler, etwa eine fehlende Arztnummer, auf einem Entlassrezept bei der Abrechnung mit der Apotheke nicht beanstanden dürfen. Denn: „Die Rezeptprüfpflicht ist von der Apotheke teilweise auch inhaltlich nicht erfüllbar (korrekte Arztnummer/Betriebsstättennummer)“, argumentieren die Antragstellenden. Vor allem am Freitagnachmittag oder Samstag sei die adäquate Versorgung der Patientin oder des Patienten dann nicht möglich, wenn sowohl die verordnende Ärztin oder der verordnende Arzt im Krankenhaus als auch die Hausärztin oder der Hausarzt telefonisch nicht mehr erreichbar ist. Die Betroffenen erneut in die Klinik zu schicken, um das Rezept korrigieren zu lassen, halten sie für nicht zumutbar.

Übrigens: Dass bei formalen Fehlern am Rezept dennoch ein Vergütungsanspruch der Apotheke gegenüber der Krankenkasse entsteht, ist eigentlich bereits in § 6 Absatz 1 Satz 2 (Punkt d) des Rahmenvertrags geregelt. Darin heißt es: „Der Vergütungsanspruch der Apothekerin / des Apothekers entsteht trotz nicht ordnungsgemäßer vertragsärztlicher Verordnung oder Belieferung dann, wenn (…) es sich um einen unbedeutenden, die Arzneimittelsicherheit und die Wirtschaftlichkeit der Versorgung nicht wesentlich tangierenden, insbesondere formalen Fehler handelt.“ Eine solche Konstellation könnte man auch bei den genannten Beispielen annehmen. Doch bekanntermaßen testen die Kassen gern ihre Grenzen aus. Nun bleibt zu hoffen, dass die Politik diesem Gebaren alsbald einen Riegel vorschiebt – zumindest den SPD-Gesundheitsexperten Dirk Heidenblut haben die Apotheken dabei sicher auf ihrer Seite.


Christina Grünberg, Apothekerin, Redakteurin DAZ (gbg)
cgruenberg@daz.online


Diesen Artikel teilen:


1 Kommentar

Null-Retax

von Dr. Radman am 20.03.2023 um 8:51 Uhr

Erst selbst verhandeln und unterschreiben, dann Verbot von der Politik fordern!!!. Wenn es nach mir ginge, muss die DAV für Null-Retax haften.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.