Interview mit SPD-Apothekenexperte Dirk Heidenblut (Teil 1)

„Nullretax gehört abgeschafft“

Berlin - 15.02.2023, 07:00 Uhr

Dirk Heidenblut. (Foto: IMAGO / Christian Spicker)

Dirk Heidenblut. (Foto: IMAGO / Christian Spicker)


Was dürfen die Apothekerinnen und Apotheker vom Jahr 2023 erwarten? Ein Entwurf für ein Lieferengpass-Gesetz liegt inzwischen vor und auch gegen die Bürokratie im Gesundheitswesen will die Politik etwas tun. Zudem ist im Koalitionsvertrag eine Novelle des VOASG vorgesehen – ist vielleicht auch eine Honoraranpassung drin? Die DAZ sprach darüber mit Dirk Heidenblut, SPD-Berichterstatter für Apothekenthemen.

DAZ: Herr Heidenblut, beim letzten Gespräch mit der DAZ im April 2022 haben Sie noch gesagt, Sie hoffen, dass die Erhöhung des Kassenabschlags nicht kommt. Jetzt ist sie da, zusätzlich rund 10 Prozent Inflation und explodierende Kosten, etwa für Energie und Dienstleister. Lässt die Politik die Apotheken im Stich?

Heidenblut: Es macht wohl aktuell den Eindruck, als wäre das so. Ich bedaure es persönlich sehr, dass sich die Erhöhung des Kassenabschlags nicht verhindern ließ. Aber über die Gemengelage beim GKV-Finanzstabilisierungsgesetz ist ja viel geschrieben und gesprochen worden, da gab es leider keinen Spielraum. 

Ich gehe davon aus, dass wir diesen Spielraum jetzt in anderer Form bekommen: Wir haben uns in den Koalitionsvertrag geschrieben, die pharmazeutischen Dienstleistungen besser vergüten zu wollen als bisher. Darunter verstehe ich nicht nur die neuen Angebote, sondern die Leistungen der Apotheken insgesamt. Ziel muss es sein, auch den Teil des Apothekenhonorars anzupassen, der seit vielen Jahren eingefroren ist.

Das heißt also, sie wollen auch das Fixum nach oben korrigieren. Haben Sie eine konkrete Zahl im Kopf, was angemessen wäre?

Nein, da müsste man nochmals in die Tiefe gehen und alle Beteiligten mit einbeziehen, um sowas auszuloten. Klar ist für mich allerdings: Wenn sich Kostenstrukturen und Aufgabenfelder weiterentwickeln, die Apotheken aber seit Jahren das gleiche Fixum bekommen, kann das nicht richtig sein. Da müssen wir ran.

Wie stehen die Chancen, dass Sie das bei den Koalitionspartnern durchbringen können?

Ganz einig sind wir uns da noch nicht, wobei das übrigens auch innerhalb der einzelnen Fraktionen gilt. Von daher ist es auf jeden Fall positiv, dass die Apothekerinnen und Apotheker aktuell auf viele Bundestagsabgeordnete zugehen und informieren, welche Bedeutung Apotheke eigentlich hat.

Was nehmen Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen aus solchen Gesprächen mit?

Wir nehmen zunächst einmal wahr, dass die Apothekerschaft derzeit sehr deutlich ihre Anliegen formuliert. Das ist eine gute Ergänzung zur Arbeit der ABDA und anderer Verbände aus dem Apothekenbereich auf Bundesebene. Viele Menschen wissen gar nicht, was hinter den HV-Tischen alles passiert und wie viel die Apothekenmitarbeitenden leisten. Davon bekommen Abgeordnete ein recht klares Bild, wenn sie mal eine Apotheke in ihrem Wahlkreis besuchen und sich einige Abläufe erklären lassen. Natürlich kann der oder die Abgeordnete allein noch nicht viel bewegen, aber es ist am Ende die Summe derjenigen, die für die Probleme der Apothekerinnen und Apotheker sensibilisiert sind, die den Ausschlag geben kann. Es kommt häufig vor, dass die SPD-Abgeordneten, die eine Apotheke besucht haben, hinterher bei mir anrufen und nochmals nachhaken – das ist ein Zeichen dafür, dass die Kolleginnen und Kollegen wirklich mit dem Thema Apotheke befassen und ihre Eindrücke aus dem Wahlkreis mitnehmen nach Berlin.

Welche Themen sind nach Ihrem Eindruck – abgesehen von der Honorarfrage – für die Apothekerinnen und Apotheker besonders wichtig und wo sehen Sie Potenzial, kurz- bis mittelfristig Erleichterungen auf den Weg zu bringen?

Nullretax ist ein ganz besonders wunder Punkt bei den Apothekerinnen und Apothekern. Es ärgert mich sehr, dass man das nicht schon längst gelöst hat. Diese völlig fehlgeleitete Form der Retaxation gehört abgeschafft. Was die Anpassung des Honorars betrifft, wird sich der Berufsstand wohl noch etwas gedulden müssen, aber ein Nullretax-Verbot bei belanglosen Formfehlern könnte man zum Beispiel in das Lieferengpass-Gesetz einfließen lassen, an dem das BMG derzeit arbeitet. Ich halte es für wichtig, dass wir das jetzt umsetzen und damit das Signal senden, dass wir die Sorgen der Apothekerinnen und Apotheker sehen. Daneben sind auch der Fachkräftemangel und Cannabis als Medizin wichtige Themen, die Apothekerinnen und Apotheker mir gegenüber immer wieder ansprechen, ebenso die Lieferengpässe und alles, was damit zusammenhängt.

Bleiben wir gleich beim letzten Punkt. Lieferengpässe verursachen enorm viel Arbeit und damit Kosten in den Apotheken. Den 50-Cent-Vorschlag aus dem BMG, der sich seit gestern auch in einem ersten Referentenentwurf für ein Lieferengpass-Gesetz wiederfindet, empfinden die Kolleginnen und Kollegen als Affront. Wird hier noch nachgebessert?

Ich will es mal freundlich formulieren: Es ist schön, dass in den Eckpunkten ein Platzhalter dafür vorgesehen ist, dass dieser Aufwand bezahlt wird. (Anm. d. Red.: Das Interview fand bereits vor dem Bekanntwerden des Referentenentwurfs statt.) Über das, was honoriert wird und über die Höhe müssen wir allerdings nochmals nachdenken. Einerseits müssen wir dafür sorgen, dass das Management von Lieferengpässen für Apotheken generell bürokratieärmer wird, andererseits muss der Aufwand da, wo er nötig ist, auch vernünftig vergütet werden. 50 Cent sind da ganz sicher zu wenig.

Referentenentwurf für EnGpass-GEsetz

BMG hält an 50 Cent Engpass-Zuschlag für Apotheken fest

Apropos Lieferengpässe und Bürokratie: Werden die erleichterten Abgaberegeln für die Apotheken verstetigt oder vielleicht sogar ausgeweitet, um Lieferengpässen bestmöglich begegnen zu können?

Erste Ansätze finden sich in den Eckpunkten zum geplanten Lieferengpass-Gesetz. Aus meiner Sicht reicht das nicht, wir brauchen weit mehr Beinfreiheit für die Apotheken, wenn es um das Lieferengpass-Management geht, aber grundsätzlich hat das BMG diese Frage auf dem Schirm.

Dirk Heidenblut
MdB & Verantwortlicher für Apothekenfragen im Gesundheitsausschuss, 

Cosima Bauer, May und Bauer GbR, Rheinbreitbach, 

Apotheker Prof. Reinhard Herzog, Tübingen, 

Dr. Kai Christiansen, Apothekerkammer Schleswig-Holstein, 

Dr. Hubert Ortner, Chefredakteur AWA — APOTHEKE & WIRTSCHAFT, Stuttgart


Christina Grünberg, Apothekerin, Redakteurin DAZ (gbg)
cgruenberg@daz.online


Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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3 Kommentare

Wer‘s glaubt…

von Linda F. am 15.02.2023 um 8:16 Uhr

Wie einem Esel wird uns die Karotte vor die Nase gehalten. Null-Retax, Verstetigung der erleichterten Abgaberegeln, Honorarerhöhung. Klingt gut, macht im Hinblick auf die Aufrechterhaltung der Arzneimittelversorgung absolut Sinn. Wer aber glaubt, dass die Politik bei diesen Themen in unserem Sinne und im Sinne der Patientenversorgung entscheidet, wird enttäuscht sein. Herr Heidenblut spielt den „Good Guy“, damit wir immer schön weitermachen und ja nicht gegen diese unhaltbaren Zustände rebellieren. Im Hintergrund werden - wie bisher - all diese Themen abgeräumt und stattdessen Honorarkürzungen etc. beschlossen. Na schönen Dank!

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Wer‘s glaubt

von Torben Schreiner am 15.02.2023 um 9:39 Uhr

gut durchschaut, bloß nicht weiter blenden lassen! Taten zählen, nicht die Worte

Gedulden müssen…

von Ulrich Ströh am 15.02.2023 um 8:10 Uhr

Kernsatz dieses Interviews:

„Was die Anpassung des Honorars betrifft,wird sich der Berufsstand wohl noch etwas gedulden müssen“

Damit ist alles gesagt.

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