GKV-Finanzstabilisierungsgesetz

Kann der Bundesrat das Spargesetz stoppen?

Berlin - 20.09.2022, 17:50 Uhr

Wie viel Einfluss hat der Bundesrat auf das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz? (Foto: Bundesrat)

Wie viel Einfluss hat der Bundesrat auf das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz? (Foto: Bundesrat)


Am kommenden Freitag steht die erste Beratung des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes auf der Tagesordnung des Bundestags. Bereits am vergangenen Freitag hat der Bundesrat eine lange und kritische Stellungnahme zu den Sparplänen der Regierung vorgelegt. Unter anderem fordert er, auf die Erhöhung des Kassenabschlags zu verzichten. Könnten die Länder die Regierungspläne ausbremsen?

Der Bundesrat hat am 16. September eine 30-seitige Stellungnahme zum von der Bundesregierung vorgelegten GKV-Finanzstabilisierungsgesetz beschlossen. Darin begrüßt er zwar „die Bemühungen, die Finanzierung des GKV-Systems stabil und verlässlich aufzustellen“ sowie die Absicht, die seit dem Jahr 2020 aufwachsende GKV-Finanzierungslücke zu begrenzen. Allerdings wird aus Sicht der Länder die Chance auf eine echte Strukturreform verpasst – Vorschläge für eine solche hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach erst für das kommende Frühjahr angekündigt. Die Länder wollen aber nicht so lange warten. „Ein systematisches Umdenken bei den Vergütungs- und Versorgungsstrukturen ist notwendig, um die Zukunftsfähigkeit des Systems zu sichern“, heißt es in der Stellungnahme. Dabei ist dem Bundesrat auch klar, dass „zeitnah Maßnahmen zur finanziellen Konsolidierung ergriffen werden müssen“. Die Sparansätze der Bundesregierung laufen den Vorstellungen der Länder dann allerdings deutlich zuwider.

Sie fordern nicht nur, den geplanten Passus zur Erhöhung des Apothekenabschlags von 1,77 Euro auf 2 Euro in den Jahren 2023 und 2024 zu streichen. Die Länder halten auch nichts davon, die außerbudgetäre Vergütung von Leistungen für Neupatienten zu streichen. Dasselbe gilt für die vorgesehenen Einschnitte bei Kliniken, die Doppelfinanzierungen bei der Pflege vermeiden sollen. Verzichtet werden sollte aus ihrer Sicht zudem auf Regelungen, die zu einem Abschöpfen von Vermögenswerten der gesetzlichen Krankenversicherung führen, sowie auf die Absenkung der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds. Der für das Jahr 2023 vorgesehene Bundeszuschuss an den Gesundheitsfonds soll nach Auffassung des Bundesrats 5 Milliarden Euro statt nur 2 Milliarden Euro betragen. Als „wesentlichen Lösungsbaustein“ für die Finanzierungsprobleme der GKV sehen die Länder die regelhafte Dynamisierung des Bundeszuschusses. Zudem sollte der Bund nicht länger warten, der GKV auskömmliche Beiträge für ALG-II-Bezieher zukommen zu lassen.

Preisfindungsregeln ausnehmen

Die von der Bundesregierung vorgesehenen Änderungen am Verfahren zur Preisfindung für Arzneimittel sollten aus Ländersicht ganz aus dem aktuellen Gesetzgebungsprozess herausgenommen werden. Sie sollten einer sorgfältigen Folgenabschätzung unterzogen und gegebenenfalls in einem separaten Gesetz geregelt werden. Die Belastungen für die Pharmaindustrie und die möglichen Folgen nehmen in den Empfehlungen einen besonders breiten Raum ein. Der Bundesrat hält die Fortführung des Pharmadialogs auf Bundesebene für erforderlich.

Was kann der Bundesrat bewirken?

Welche Wirkung die Kritik der Länder an dem Gesetzentwurf haben wird, muss sich nun im parlamentarischen Verfahren zeigen. Es handelt sich schließlich „nur“ um ein Einspruchsgesetz, die Zustimmung des Bundesrats ist also nicht notwendig. Jetzt ist die Bundesregierung zunächst aufgefordert, eine Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrats zu verfassen und diese dann an den Bundestag weiterzuleiten. Bereits am kommenden Freitag, dem 23. September, steht die erste Lesung im Bundestagsplenum an – 70 Minuten Aussprache sind vorgesehen, dann wird der Entwurf in die zuständigen Ausschüsse überwiesen. Dort kann dann nochmal Hand angelegt werden. Und nach dem Struckschen Gesetz verlässt kein Gesetz den Bundestag so, wie es hineinkommt. Doch welche Änderungen vorgenommen werden, bleibt Sache des Parlaments.

Der mögliche Weg eines Einspruchsgesetzes

Verabschiedet der Bundestag dann das Gesetz, beraten die Länder in einer Plenarsitzung noch einmal darüber – im besten Fall abschließend. Wollen sie es noch immer nicht billigen, können sie den Vermittlungsausschuss anrufen. Dort sucht man eine Einigung. Es kann zu einem Änderungsvorschlag kommen, dann ist wieder der Bundestag an der Reihe und fasst erneut einen Gesetzesbeschluss.

Im Anschluss kann der Bundesrat diesen neuen Gesetzesbeschluss entweder billigen oder Einspruch einlegen (das Gleiche gilt, wenn es im Vermittlungsausschuss keine Einigung gibt und der Gesetzentwurf direkt wieder im Bundesrat landet). Erhebt er Einspruch mit der absoluten Mehrheit seiner Stimmen, kann dieser nur mit der absoluten Mehrheit im Bundestag (Kanzlermehrheit) überstimmt werden. Legt der Bundesrat den Einspruch mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit ein, müssen für die Zurückweisung des Einspruchs im Bundestag zwei Drittel der abgegebenen Stimmen zusammen kommen, mindestens jedoch die Stimmen der Hälfte aller Mitglieder.

Dieses Einspruchsverfahren ist allerdings alles andere als die Regel. Die Erfahrung zeigt: Bei den gesundheitspolitischen Gesetzgebungsverfahren der vergangenen Jahre wurde bereits der Vermittlungsausschuss selten angerufen. Geschehen ist dies etwa beim 2013 gescheiterten Präventionsgesetz und den daran angefügten Anti-Korruptions-Regelungen für das Gesundheitswesen. Allerdings standen kurz darauf Bundestagswahlen an und das ganze Verfahren versandete (dieses Schicksal ereilte das Präventionsgesetz übrigens auch 2005 schon einmal). Im Jahr 2006 stoppte der Bundesrat das Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung (AVWG) und schickte es in die Vermittlung. Obwohl man sich nicht einigen konnte, billigte der Bundesrat das Gesetz – im Übrigen ebenfalls ein Spargesetz – am Ende dennoch. 2005 kam es bei einer Änderung des Apothekengesetzes einmal zu einer Einigung im Vermittlungsausschuss. Hier ging es um die Abschaffung des Regionalprinzips in der Krankenhausversorgung – die Länder konnten sich in weiten Teilen nicht durchsetzen, obwohl das Gesetz sogar zustimmungspflichtig war. In jüngerer Vergangenheit hatte der Gesundheitsausschuss zwar gelegentlich die Anrufung des Vermittlungsausschusses empfohlen, doch das Plenum folgte dieser Empfehlung dann nicht. So war es etwa beim GSAV (Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung). 

Importförderung, Apothekenkontrollen, Arzneimittelskandale

Bundesrat beschließt GSAV – und verzichtet auf Vermittlungsausschuss

Was heißt das nun fürs Spargesetz? Die Länder können theoretisch erheblichen Druck machen und insbesondere für eine Verzögerung sorgen. Sie haben zuweilen auch bei nicht zustimmungspflichtigen Gesetzgebungsverfahren in gewissen Punkten Erfolg gehabt. Oft aber auch nicht. Beispielsweise hatten die Länder beim Vor-Ort-Apothekenstärkungsgesetz die Wiedereinführung des Rx-Versandverbots eingefordert – vergeblich.

Im konkreten Fall ist es nicht unwahrscheinlich, dass es noch einige Nachjustierungen durch das Parlament geben wird – möglicherweise auch angeregt durch den Bundesrat. Doch ob es gerade der Kassenabschlag sein wird, bei dem die Abgeordneten nachgeben, ist zumindest fraglich. Wenn man bei einem der Leistungserbringer auf die vorgesehene Belastung verzichtet, wird es schwer, die Einsparungen für die anderen zu rechtfertigen. Das hat vergangene Woche auch Bundesgesundheitsminister Lauterbach beim Deutschen Apothekertag deutlich gemacht. Möglicherweise gibt es eher Spielraum bei den diversen geplanten Belastungen für die Industrie. Zudem ist zu bedenken, dass die Länder den akuten Handlungsbedarf durchaus erkennen. Verzögerungen dürften auch sie schwer vertreten können. Dass die Länder das Gesetz stoppen, ist jedenfalls nicht anzunehmen.


Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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