Aus Tabletten oder Reinstoff

Ibuprofensaft-Engpass mit Suspensionen aus der Rezeptur überbrücken

Stuttgart - 11.07.2022, 13:45 Uhr

Fiebersäfte für Kinder sind derzeit knapp. (x / Foto: Schelbert) 

Fiebersäfte für Kinder sind derzeit knapp. (x / Foto: Schelbert) 


Es wird immer enger bei den Fiebersäften für Kinder. Während Paracetamol in der flüssigen Darreichungsform schon eine Weile Mangelware ist, bleiben nun auch die Fächer und Schubladen mit den Ibuprofensäften leer. Wie so oft bei Lieferengpässen von Fertigarzneimitteln bleibt nur die Rezeptur.

Laut Arzneimittelreport der Techniker Krankenkasse war Ibuprofen der am häufigsten verordnete Arzneistoff bei Kindern im Jahr 2020. Aber auch in der Selbstmedikation sind Nurofen und Co. hoch im Kurs. Ibuprofen ist neben Zäpfchen und Tabletten als Suspension zum Einnehmen in einer Konzentration von 2 oder 4 Prozent erhältlich, darf ab einem Alter von drei Monaten angewendet werden und kommt typischerweise bei Schmerzen und Fieber zum Einsatz – wenn man es denn bekommt. 

Denn nun gibt es neben den schon seit einer Weile bestehenden Engpässen bei Paracetamol-Säften auch verstärkt auch eine Knappheit bei Ibuprofen-Fertigarzneimitteln in flüssiger Form. Und das, obwohl im Gegensatz zu Paracetamol, wo es kaum mehr Anbieter gibt, durchaus noch einige Firmen ihre Präparate im Markt haben.

Besonders betroffen von den Lieferschwierigkeiten sind Kinder und Patienten mit Schluckstörungen, da diese nicht ohne weiteres auf feste Darreichungsformen wie Tabletten ausweichen können. Durch Herstellung passender Zubereitungen können Apotheken die Patienten weiterhin mit den benötigten Arzneimitteln versorgen. 

Praktisch unlöslich in Wasser: die Galenik von Ibuprofen

Ibuprofen ist als Rezeptursubstanz erhältlich. Da die Substanz praktisch unlöslich in Wasser ist, müssen wie bei Paracetamol auch flüssige Zubereitungen als Suspension hergestellt werden. Bei Suspensionen ist ein unlöslicher Feststoff in einer flüssigen Phase homogen verteilt.  

Um diese gleichmäßige Verteilung des Arzneistoffs zu erreichen, muss die feste Rezeptursubstanz fein gepulvert in die Flüssigkeit eingearbeitet werden. Dazu muss der Feststoff zunächst mit einem kleinen Teil der Flüssigkeit angerieben werden, dann kann der Rest anteilig eingearbeitet werden.  

Zum Zeitpunkt der Entnahme der jeweiligen Dosis muss bei der fertigen Suspension eine homogene Wirkstoffverteilung gewährleistet werden. Wässrige Suspensionen werden daher meist durch Zugabe von Quellstoffen angedickt. Dadurch wird die Viskosität erhöht und ein Absinken des Feststoffs verlangsamt. Geeignet ist dabei die Zugabe von Hydroxyethylcellulose oder Tragant, auch die Zugabe von Zuckern wie Glucose oder Saccharose zur Geschmacksverbesserung erhöhen die Viskosität. Der optimale pH-Wert hinsichtlich der Stabilität des Wirkstoffs liegt für eine Ibuprofen-Suspension im leicht sauren Bereich zwischen pH 3,6 und 4,6.  

Rezeptursubstanz nicht lieferbar: Was tun? 

Ist Ibuprofen nicht als Rezepturgrundstoff erhältlich, kann die Suspension auch aus Tabletten hergestellt werden. Zur Herstellung wird dazu die benötigte Menge an Tabletten in einer Fantaschale mit wenig Grundlage gequollen und dann mit dem Pistill zu einer gleichmäßigen Paste angeteigt. Der Ansatz kann dann in kleinen Anteilen mit weiterer Grundlage bis zur gewünschten Endmasse verrührt und ergänzt werden. Eine Zugabe von hochdispersem Siliciumdioxid ist dabei nicht nötig, da enthaltene Hilfsstoffe in den Tabletten wie Maisstärke, Hypromellose oder eben auch hochdisperses Siliciumdioxid die Aufschüttelbarkeit der Suspension unterstützen.

NRF-Stammzubereitung geeignet

Zur Herstellung einer flüssigen Zubereitung mit Ibuprofen kann die Stammzubereitung „Grundlage für Suspensionen zum Einnehmen“ NRF S.52. eingesetzt werden. Das NRF schlägt in seinem Rezepturhinweis zu Ibuprofen diese Grundlage als Möglichkeit vor, weist aber darauf hin, dass Untersuchungen zur Stabilität bisher nicht durchgeführt worden sind. 

Grundlage für Suspensionen zum Einnehmen NRF S.52.

Hydroxyethylcellulose 10.0000,5 g
Glucose-Monohydrat11,0 g
Kaliumsorbat0,14 g
Citronensäure0,07 g
Gereinigtes Wasserzu 100,0 g

Diese Suspensionsgrundlage ist zur Herstellung von Arzneimitteln speziell für Kinder entwickelt worden und enthält keine für pädiatrische Patienten kritischen Bestandteile. Zur Herstellung werden in ein mit Glasstab tariertes Becherglas zunächst Hydroxyethylcellulose und Glucose-Monohydrat eingewogen, dann das getrennt abgewogene Kaliumsorbat ergänzt und die Substanzen trocken gemischt. Anschließend kann gereinigtes Wasser zur Pulvermischung hinzugefügt, der Ansatz verrührt und Citronensäure ebenfalls unter Rühren dazugegeben werden. 

Zum Quellen wird der Ansatz unter gelegentlichem Rühren rund zwei Stunden lang stehen gelassen, mögliche Verdunstungsverluste müssen mit gereinigtem Wasser ergänzt werden. Auch wenn der Quellvorgang noch nicht ganz abgeschlossen ist, kann die Zubereitung verwendet oder in eine Braunglasflasche abgefüllt werden. 

Hochdisperses Siliciumdioxid für leichteres Aufschütteln

Um die Aufschüttelbarkeit der fertigen Ibuprofen-Suspension zu verbessern, kann ein Zusatz von hochdispersem Siliciumdioxid sinnvoll sein. Die beiden Wirkstoffe Spironolacton und Sildenafilcitrat werden in den NRF-Vorschriften 26.5. und 10.7. auf diese Weise zusammen mit der Grundlage für Suspensionen zum Einnehmen verarbeitet, daran kann sich bei der Herstellung der flüssigen Ibuprofen-Zubereitung orientiert werden. Eine entsprechende Rezepturvorschrift könnte folgendermaßen aussehen: 

100 ml Ibuprofen-Suspension 40 mg/ml
Ibuprofen (mikrofein oder sehr fein gepulvert)4,0 g
Hochdisperses Siliciumdioxid (200 m2/g)0,1 g
Grundlage für Suspensionen zum Einnehmen (NRF S.52.)zu 105,0 g

Um die Bildung von Pulveragglomeraten zu verhindern, werden Ibuprofen und der Hilfsstoff hochdisperses Siliciumdioxid zunächst getrennt mit der Suspensionsgrundlage in zwei verschiedenen Fantaschalen angerieben. 

In der einen mit Pistill tarierten Schale aus Glas oder Edelstahl wird also das hochdisperse Siliciumdioxid mit etwa der zehnfachen Menge an Grundlage angerieben. Die erhaltene Anreibung kann dann mit jeweils etwa der fünffachen Menge an Grundlage unter Abschaben so lange weiter verrührt werden, bis rund 20 Prozent der gewünschten Ansatzmenge erreicht sind. 

In der zweiten Fantaschale wird das Ibuprofen mit etwa der eineinhalbfachen Menge an Grundlage unter Abschaben angerieben, danach wird die Wirkstoffanreibung noch zweimal jeweils mit der gleichen Menge an Grundlage verrührt. Dazu kann dann die Mischung aus der ersten Fantaschale dazugegeben werden und die restliche Grundlage unter Rühren und Abschaben in zwei Portionen ergänzt werden. Am Ende der Herstellung soll eine dickflüssige, weiße Suspension vorliegen. 

Profitipp für größere Ansätze: der Stabmixer

Bei manueller Anreibung steigt mit zunehmender Ansatzgröße das Risiko der Entstehung von Pulveragglomeraten. Aus diesem Grund sollen Ansätze von mehr als 200 ml nach Möglichkeit mit einem elektrischen Stabmixer angefertigt werden. Die Suspension kann dabei im Ein-Topf-Ansatz in einem Becherglas zubereitet werden, die beiden Feststoffe und die Suspensions-Grundlage können nacheinander in das Gefäß gegeben werden. Normalerweise reichen zwei Minuten Rührzeit bei niedriger Geschwindigkeitsstufe aus. Nach kurzer Standzeit soll zur Inprozessprüfung auf eine ausreichende Verteilung des Wirkstoffs der Boden des Becherglases auf verbliebene Pulverklümpchen untersucht werden. 

Verpacken und Kennzeichnen

Unmittelbar nach der Herstellung wird die Ibuprofen-Suspension abgefüllt. Als Packmittel ist eine Braunglasflasche mit Kolbenpipette und Steckeinsatz geeignet. Da die Zubereitung vor der Entnahme der Einzeldosis kräftig geschüttelt werden soll, muss das Volumen der Flasche zur Abgabe mindestens doppelt so groß sein wie die Abgabemenge. Bei der Kennzeichnung darf auf dem Etikett der Hinweis an den Patienten „Vor Gebrauch kräftig schütteln“ nicht fehlen. 

Als Aufbrauchfrist für die Zubereitung können vier Wochen angegeben werden. Weiterhin muss bei rezeptfreien Schmerzmitteln, zu denen auch die Ibuprofen-Suspension gehört, die Analgetika-Warnhinweisverordnung beachtet werden. Rezepturen müssen dabei mit folgendem Hinweis versehen werden: „Bei Schmerzen oder Fieber ohne ärztlichen Rat nicht länger anwenden als vom Apotheker oder von der Apothekerin empfohlen.“ Dieser Warnhinweis soll verhindern, dass das Arzneimittel über die empfohlene Höchstdauer hinaus eingenommen wird.

Erdbeer- oder Orangen-Aroma gegen bitteren Geschmack 

Die Substanz Ibuprofen hat einen sehr bitteren Geschmack. Aus diesem Grund kann es daher bei Kindern zu Problemen mit der Compliance kommen. Eine Möglichkeit, um das Problem zu beheben, wäre den Anteil an Glucose-Monohydrat in der Suspensionsgrundlage zu erhöhen. Auch kann überlegt werden, zusätzlich noch ein Aroma einzusetzen. Erdbeer- oder Orangen-Aroma wird dabei in einer Konzentration von 0,05 bis 0,2 Prozent verwendet. 

Fertige Suspensionsgrundlage SyrSpend ist auch eine Option

Zur Herstellung einer Suspension mit Ibuprofen kann auch die fertig erhältliche Suspensionsgrundlage SyrSpend® eingesetzt werden. Für Kinder ab zwei Jahren kann der Wirkstoff dabei direkt mit der flüssigen Grundlage verarbeitet werden. Diese hat einen für Ibuprofen optimalen pH-Wert von 4,0 bis 4,4. 

Die flüssige SyrSpend-Grundlage enthält als Schutz vor mikrobiellem Befall zur Konservierung Natriumbenzoat, das für jüngere Kinder als kritischer Hilfsstoff gilt. Für Kinder unter zwei Jahren muss daher das SyrSpend-Pulver ohne Konservierung verwendet und die benötigte Suspension erst daraus hergestellt werden. 

Bisher gibt es für die Verarbeitung von Ibuprofen in SyrSpend-Produkten noch keine Daten zur physikalischen und chemischen Stabilität. Die Firma Fagron gab aber auf Rückfrage an, dass aufgrund vergleichbarer Wirkstoffe von einer Aufbrauchfrist der Zubereitung von 14 Tagen bei Aufbewahrung im Kühlschrank ausgegangen werden kann. 


Dr. Annina Bergner, Apothekerin, Autorin PTAheute.de
redaktion@daz.online


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6 Kommentare

Ibuprofen Direktgranulat

von An Kir am 18.07.2022 um 18:45 Uhr

Gäbe es im Notfall nicht auch die Möglichkeit ein Granulat in kleinere Einzeldosen zu packen?

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

große Chance

von norbert brand am 12.07.2022 um 8:23 Uhr

Solche Lieferschwierigkeiten bei Fertigarzneimitteln werden zunehmen, kein Wunder bei den heutigen internationalen Verflechtungen und regulatorischen Zwängen. Schlaue vor-Ort-Kollegen, die schon immer ihre Kompetenz zum Herstellen von Arzneimitteln strategisch und aus Freude am Beruf eingesetzt haben, werden sich auf diesem Feld auch in Zukunft profilieren können ohne Ende. Der Rest wird Jammern oder weiter (vergeblich?) versuchen, mit den Ärzten auf Augenhöhe zu verkehren.

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: große Chance

von Rezeptur-Fan am 12.07.2022 um 18:42 Uhr

Genau so ist es. Die Rezeptur ist eines der letzten Alleinstellungsmerkmale der Apotheken. Beratung und Verkauf sind längst im Internet.
Wir haben Ibuprofen API bekommen und legen los.
Auch alle möglichen anderen „unbeliebten“ Rezepturen ziehen wir gerne an Land. Die Kundschaft dankt es.

Ibuprofen-Engpass

von Inge Deufert am 12.07.2022 um 7:54 Uhr

Tja, leider ist die Substanz Ibuprofen nicht zu bekommen. Ich fürchte, Deutschland muss sich auf Mangel einstellen und die Diskussionen mit den Kunden machen keinen spaß.

» Auf diesen Kommentar antworten | 2 Antworten

AW: Ibuprofen-Engpass

von DAZ-Redaktion am 12.07.2022 um 10:11 Uhr

Liebe Frau Deufert,

deswegen haben wir extra ergänzt, wie man die Suspension aus dem FAM herstellt.

Grüße
Ihre Redaktion

AW: Ibuprofen-Engpass

von Karl Friedrich Müller am 12.07.2022 um 14:21 Uhr

Liebe Redaktion,
alles gut und schön. Aber wer bezahlt das? Wie immer steht Aufwand und Ertrag in keiner Relation.
Apotheken verrichten ihre Arbeit für Luft und Liebe, Gemeinwohlzwang und so? Aus der Ecke müssen wir raus.

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