Apothekerinnen sollten zur Vorsicht raten

Topische Hormontherapien – ein Risiko für Kinder und Haustiere

Stuttgart - 28.06.2022, 13:45 Uhr

Tierärzt:innen berichten immer wieder von Fällen von Östrogenübertragung auf Haustiere, dabei sorgt sie auch die Vorstellung der Östrogenübertragung auf andere Menschen, z.B. auf das mit der Großmutter kuschelnde Enkelkind. (c / Foto: anoushkatoronto / AdobeStock)

Tierärzt:innen berichten immer wieder von Fällen von Östrogenübertragung auf Haustiere, dabei sorgt sie auch die Vorstellung der Östrogenübertragung auf andere Menschen, z.B. auf das mit der Großmutter kuschelnde Enkelkind. (c / Foto: anoushkatoronto / AdobeStock)


Erst vor Kurzem gab die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker Hinweise, wie die Hände nach der Anwendung von Diclofenac-Gel zu reinigen sind, damit möglichst wenig Arzneistoff ins Abwasser gelangt. Auch bei topischen Hormontherapien spielt die Reinigung der Hände in der Fachinformation eine große Rolle – allerdings (zunächst) nicht aus Umweltgründen. Das aktuelle „Bulletin zur Arzneimittelsicherheit“ macht derzeit auf die Übertragung von Hormon-Cremes auf Haushaltsangehörige aufmerksam, die klinische Konsequenzen haben kann – gerade bei Kindern, Hunden und Katzen.

„Laut WHO sind nahezu 800 Substanzen bekannt, die nachweislich oder in Verdacht stehend Einfluss auf Hormonrezeptoren, Hormonsynthese oder Hormonumbau nehmen und somit endokrin aktiv sind. Darunter fallen beispielsweise Industriechemikalien und Wirkstoffe in Bioziden oder Pflanzenschutzmitteln, aber auch Inhaltsstoffe von Kosmetika und Pflegeprodukten“. Die Sorge dabei: Könnten diese Substanzen – durch unfreiwillige Aufnahme – Krankheiten beim Menschen auslösen? Und was ist dann erst mit Arzneimitteln, die gezielt das Hormonsystem beeinflussen? Welche Wirkungen, außer den gewünschten, könnten die noch haben? Dieser Frage ging zuletzt die DAZ 38/2019 nach. 

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Ihr widmet sich aktuell auch das Bulletin zur Arzneimittelsicherheit (Ausgabe 2/2022). Konkret geht es dabei um „akzidentelle Übertragungen topisch angewandter Hormonpräparate auf weitere im Haushalt lebende Personen, insbesondere auf Kinder“ – aber auch Haustiere. Schon seit 1960 soll es Publikationen über entsprechende Risiken geben. In neueren veterinärmedizinischen Fachbüchern soll die exogene Östrogenexposition von Hunden aufgrund der topischen Hormonersatztherapie der Besitzerin sogar bereits als Differenzialdiagnose bei Symptomen aufgeführt sein, die auf Hyperöstrogenismus schließen lassen.

Applikationsstellen mit Kleidung bedecken?

Wie die Autor:innen im Bulletin erklären, besitzen u.a. Estradiol, Progesteron und Testosteron aufgrund ihrer C18-Steroidhormonstruktur gute Voraussetzungen für eine topische Applikation, entsprechende Arzneimittel sind zugelassen. Zudem werden solche Präparate zunehmend verordnet, wie die Arznei-Verordnungsreport 2021 zeigt (Testosteron: Anstieg von 6,0 Millionen definierten Tagesdosen im Jahr 2004 auf 27,6 Millionen definierte Tagesdosen im Jahr 2019, transdermale Östrogene für 2020 gegenüber 2019: Steigerung um 8,1 Prozent auf 48,3 Millionen definierte Tagesdosen). Das Risiko der unbeabsichtigten Übertragung solcher Präparate auf Haustiere und Kinder ist somit nicht nur ein theoretisches, vor allem, wenn die Dermatika auf unbedeckte Körperstellen aufgetragen werden. Kinder und Haustiere sind dabei nicht nur wegen eines potenziell engen Körperkontakts besonders gefährdet, sondern auch aufgrund ihrer Hautbeschaffenheit und des Verhältnisses von Körperoberfläche zu Körpervolumen, wird im Bulletin geschildert.

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Zudem habe eine Studie von 2002 gezeigt, dass selbst acht Stunden nach dem Auftragen eines Testosteron-Gels noch circa 50 Prozent der Wirkstoffmenge auf der Haut vorhanden war. „Da nach Antrocknen des alkoholischen Testosteron-Gels keine weitere perkutane Resorption des Wirkstoffes zu erwarten sei, könne den Anwendern ein Abwaschen nach zehn Minuten empfohlen werden, um eine unbeabsichtigte Übertragung zu verhindern“, heißt es. Zu denken ist – neben Kindern und Haustieren – auch an eine mögliche Übertragung auf Partner:innen (Schwangere!), wozu das Bulletin diverse Studien zitiert, allerdings hatten die dort beobachteten Übertragungen scheinbar keine schwerwiegenden Auswirkungen.

Fallberichte von vorzeitiger Pubertät oder Hypertrophie der Mamillen 

Anders ist das offenbar bei den Kindern: „Die ersten Fallberichte von vorzeitiger Pubertät bzw. Hypertrophie der Mamillen nach Anwendung topischer Östrogentherapie einer Angehörigen wurden bereits 1969 und in der Folge zahlreiche weitere Kasuistiken veröffentlicht“, heißt es. Stephen et al. habe bereits 2008 bei allen Fällen einer sexuellen Frühreife empfohlen, an eine exogene Exposition mit topischen Sexualhormonen zu denken. „Eltern, die diese anwendeten, sollten über das Risiko einer unerwünschten Übertragung auf ihre Kinder aufgeklärt und Therapiealternativen angeboten werden“, heißt es.

Welche Haustiere sind gefährdet?

Was Haustiere angeht, sollen Fleischfresser wie Katzen, Hunde und Frettchen empfindlicher als Nagetiere auf exogene Östrogene reagieren. 

Bei Hunden kann ein Hyperöstrogenismus sich beispielsweise in einer bilateral symmetrischen Alopezie äußern, Rüden können Anzeichen einer Feminisierung aufweisen, Junghündinnen vorzeitig in die Pubertät eintreten. Es gibt viele weitere Beobachtungen beim Hund, die auch schwerwiegender sein können, wie eine östrogeninduzierte Knochenmarkssuppression. Bei Katzen wird hingegen keine Alopezie beobachtet, sie sollen als Reaktion auf Östrogene (lebensgefährlich) insbesondere mit Leberschäden reagieren.

Ob Haustier oder Kind, klar scheint: klinische Symptome sind möglich. Werden diese beobachtet, sollten Angehörige der Gesundheitsberufe also an eine gründliche Anamnese denken – eine aufwendige Hormondiagnostik ist dann vielleicht gar nicht mehr notwendig. Die Autor:innen des Beitrags im Bulletin empfehlen, das Risiko einer Übertragung solcher topischen Präparate und Therapiealternativen mit den Anwendenden zu besprechen. Die Fachinformationen enthalten entsprechende Hinweise: 

„Potenzielle Estradiolübertragung

Wenn keine Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden, kann das Estradiol-Gel durch engen Hautkontakt auf andere Personen übertragen werden.

Die folgenden Vorsichtsmaßnahmen werden empfohlen:

Für die Patientin:

  • Händewaschen mit Wasser und Seife nach Anwendung des Gels.
  • Bedecken der behandelten Hautfläche mit Kleidung nach dem Trocknen des Gels.
  • Waschen der Anwendungsfläche vor jeder Gelegenheit, bei der ein enger Hautkontakt zu erwarten ist.

Für nicht mit Gynokadin Dosiergel behandelte Kontaktpersonen:

  • Im Falle eines zufälligen Kontakts mit Gynokadin Dosiergel sollte die betroffene Person die betroffene Hautfläche unverzüglich mit Wasser und Seife waschen.“

Quelle: Fachinformation zu Gynokadin® Dosiergel, Stand Dezember 2021

Potenzielle Testosteronübertragung

Testosterongel kann durch engen Hautkontakt auf andere Personen übertragen werden und nach wiederholtem Kontakt bei diesen Personen zu erhöhten Testosteronkonzentrationen im Serum sowie zu Nebenwirkungen (unbeabsichtigte Androgenisierung) führen (z. B. verstärkte Gesichts- und/oder Körperbehaarung, tiefere Stimme, Unregelmäßigkeiten des Menstruationszyklus bei Frauen und vorzeitige Pubertät und Genitalvergrößerung bei Kindern). Wenn eine Virilisierung auftritt, sollte die Testosterontherapie sofort abgebrochen werden, bis die Ursache geklärt ist.

Der Arzt sollte den Patienten sorgfältig über das Risiko der Testosteronübertragung, beispielsweise bei engem Körperkontakt zwischen Personen einschließlich Kindern, und über entsprechende Sicherheitsmaßnahmen informieren (siehe unten). […]“

Quelle: Fachinformation zu Testogel® Dosiergel 16,2 mg/g Gel, November 2021

Angesichts der Umweltdiskussion rund um Diclofenac, ist es sicherlich ratsam, auch nach der Anwendung von Hormon-Topika die Hände nicht nur zu waschen – und so die Hormone ins Abwasser einzutragen –, sondern sie davor mit einem Papiertuch zu reinigen. Immerhin hat eine Gewässeruntersuchung in NRW gezeigt, dass von 151 analysierten Spurenstoffen 51 Stoffe über Kläranlagen in Gewässer gelangen. Dabei sollen auf die Top-Ten-Spurenstoffe mehr als 95 Prozent der relativen Schädlichkeit entfallen – mit dabei auf Platz vier: Estradiol.


Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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