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Beratung
Testosteron auf Abwegen
Verfrühte Schambehaarung bei Kindern durch versehentlichen Kontakt mit Testosteron-Externa
Ein Zusammenhang zwischen Androgenisierungserscheinungen bei Frauen wie Hirsutismus und einer topischen Testosteron-Behandlung des Partners wurde schon vor 35 Jahren von französischen Wissenschaftlern beschrieben [1]. Vor 20 Jahren folgten dann erste Fallberichte zu Virilisierungserscheinungen bei Kleinkindern in Folge eines versehentlichen Testosteron-Transfers nach wiederholtem Hautkontakt [2]. In der jüngeren Vergangenheit häufen sich diese Beobachtungen [3], vermutlich aufgrund der zunehmenden Popularität illegaler Testosteron-Anwendungen in der Body-Builder-Szene, bei Antriebslosigkeit und zur Libido-Steigerung. Auch die legale Anwendung zur Substitutionstherapie beim männlichen Hypogonadismus wird immer häufiger genutzt [4], darf allerdings nur bei Männern mit klinisch relevantem Testosteron-Mangel und damit einhergehender persistierender Symptomatik verordnet werden. Cave, nicht jeder labormedizinisch festgestellte Testosteron-Mangel ist mit klinischen Merkmalen wie verminderter Libido, erektiler Dysfunktion, Antriebslosigkeit, depressiver Verstimmung, reduzierter Muskelmasse, viszeralem Übergewicht oder verminderter Körperbehaarung assoziiert! Über die Grenzwerte herrschte lange Zeit Uneinigkeit, mittlerweile gilt nach Ansicht einiger Fachgesellschaften 12,1 nmol/l Gesamttestosteron im Serum als unterer normaler Spiegel, 8 bis 12 nmol/l werden als unterer Normbereich und < 8 nmol/l als niedriger Testosteronspiegel angesehen. Man nimmt an, dass die Inzidenz dieser Erkrankung bis zu 6% bei Männern im mittleren bis fortgeschrittenen Alter (40 bis 79 Jahre) beträgt, aber auch jüngere Männer können betroffen sein [5], besonders dann, wenn ein metabolisches Syndrom vorliegt.
Verfügbare Darreichungsformen
Im Falle des illegalen wie legalen Testosteron-Gebrauchs ist die transdermale Applikation bequem und aus pharmakokinetischer Sicht sogar sinnvoll [6]: Aufgrund des hohen hepatischen First-pass-Effektes von Testosteron bedarf es bei oraler Anwendung wesentlich höherer Dosierungen und häufiger Einnahmefrequenzen, welche nicht erforderlich sind, wenn Testosteron über das Reservoir Haut in den systemischen Kreislauf gelangt. Die ebenfalls verfügbare intramuskuläre Anwendung von Testosteron-Estern als Depot-Zubereitung kann schmerzhaft sein, ist aufgrund langer Injektionsintervalle nicht gut steuerbar und führt bei Testosteronenanthat besonders in den Tagen nach der Injektion zu supraphysiologischen Spiegeln. Bei transdermaler Aufnahme sind hingegen keine Fluktuationen, sondern stabile Plasmaspiegel bei guter Steuerung zu erwarten, da die Haut Testosteron verzögert in den systemischen Kreislauf abgibt. In der Androgen-Behandlung (und auf dem Schwarzmarkt) erfreuen sich daher Testosteron-Gele seit ihrer Zulassung im Jahr 2000 in den USA großer Beliebtheit, in Deutschland erfolgte die Zulassung drei Jahre später. Zudem war Testosteron als 2%-ige Lösung verfügbar, welche mithilfe eines Applikators auf die Haut der Achselhöhle aufgetragen wurde (Axiron®). Transdermale Testosteron-Pflastersysteme verweilten ebenfalls nur für kurze Zeit auf dem deutschen Markt, ihnen wurden unter anderem Hautirritationen an den Applikationsstellen zum Verhängnis.
Anwendungsempfehlungen
Testosteron-Gel wird einmal täglich, vorzugsweise morgens (möglichst immer zur gleichen Zeit), in einer großflächigen dünnen Schicht auf die saubere, trockene und intakte Haut aufgetragen. Die Hersteller empfehlen unterschiedliche Hautstellen: Oberarme, Schultern, Innenseiten der Oberschenkel oder Abdomen (siehe Tabelle 1), aber keinesfalls die Genitalregion (Penis, Skrotum)! Während einige Präparate als einzeln dosierbare Beutel (Sachets) oder Tuben erhältlich sind, kann bei anderen Testosteron variabler dosiert und aus einem Mehrfach-Dosierspender entnommen oder mithilfe eines Applikatorsystems angewendet werden. Patienten, die sich morgens waschen, baden oder duschen, müssen ihr Testosteron-Präparat nach der Körperreinigung anwenden, um es nicht direkt wieder abzuwaschen. Während einige Hersteller aufgrund von Studiendaten zur Bioverfügbarkeit eine Wartezeit von zwei oder gar sechs Stunden vor dem nächsten Duschen, Baden oder Schwimmen empfehlen [7], punktet Testotop® mit der Aussage, dass der Patient die behandelte Hautstelle bereits nach zehn Minuten duschen oder abwaschen kann, ohne dass der Erfolg der Therapie gefährdet sei [8]. Um eine optimale Wirkstoffpenetration zu gewährleisten, empfehlen manche Hersteller ein sanftes Einmassieren, bis kein Gelrest mehr auf der Haut (sichtbar) zurückbleibt [9]. Bei anderen Präparaten wird darauf verwiesen, dass kein Einmassieren erforderlich ist. In jedem Fall sollte man sich aber erst nach ein paar Minuten ankleiden (unterschiedliche Herstellerangaben beachten, siehe Tabelle 1), um die transdermale Aufnahme nicht zu beeinträchtigen. Diese wird vornehmlich durch die den Gelen zugesetzten Penetrationsbeschleuniger wie Ethanol oder Propylenglykol gesteuert. Sie bewirken, dass Testosteron in Lösung ist, und erhöhen die Hautdurchlässigkeit, so dass es binnen weniger Minuten über die Haut aufgenommen werden kann [6]. Frühe pharmakokinetische Studien konnten zeigen, dass die stärkste perkutane Testosteron-Absorption innerhalb der ersten zehn Minuten stattfand, eine weitere Aufnahme erfolgte darüber hinaus kaum noch. Ein Großteil der aufgetragenen Testosteron-Menge verbleibt dann allerdings auf der Haut (sogenannte Abweisungsrate), penetriert nicht und birgt somit Gefahren für andere Personen durch Hautkontakt: Acht Stunden nach der Applikation verblieben immerhin noch 50% der applizierten Wirkstoffmenge auf der nicht gereinigten Hautoberfläche [6]. Es wurde allerdings von den gleichen Autoren infrage gestellt, inwiefern kristallisierte Testosteron-Rückstände auf der Haut von anderen Personen aufgenommen werden können – schließlich ist der Penetrationsverbesserer bereits verdampft. Sicherlich spielt die fragilere Hautbarriere bei Kindern hier eine Rolle, aber auch andere Begleitumstände wie Schwitzen und gesteigerte Hautdurchblutung könnten zu einer verbesserten Resorption bei Hautkontakt beitragen. Auch sollte beachtet werden, dass bereits geringe exogen zugeführte Testosteron-Mengen bei Frauen und Kindern zu Virilisierungen führen können, da eine höhere Androgensensitivität besteht und ihre natürlichen Testosteron-Spiegel signifikant niedriger als bei Männern sind.
Präparat | Applikationsstelle | Zusammensetzung | Trocknungszeit | Wartezeit (Duschen etc.) |
---|---|---|---|---|
Testavan® 20 mg/g transdermales Gel | Oberarm, Schulter | 1 Hub = 1,25 ml = 23 mg Testosteron | vollständig trocknen lassen | zwei Stunden |
Testim 50 mg transdermales Gel | Oberarm, Schulter | 1 Tube = 5 g = 50 mg Testosteron | ein paar Minuten | sechs Stunden |
Testogel® 50 mg Gel im Beutel | Oberarm, Schulter, Bauch | 1 Beutel = 5 g = 50 mg Testosteron | drei bis fünf Minuten | sechs Stunden |
Testogel® Dosiergel 16,2 mg/g Gel | Oberarm, Schulter | 1 Hub = 1,25 ml = 20,25 mg Testosteron | drei bis fünf Minuten | zwei Stunden |
Testotop® Gel 62,5 mg bzw. 125 mg | Oberarm, Schulter, Bauch | 1 Beutel = 2,5 g = 62,5 mg Testosteron 1 Beutel = 5 g = 125 mg Testosteron | drei bis fünf Minuten | zehn Minuten |
Tostran 2% Gel | Bauch, Innenseiten der Oberschenkel | 1 Hub = 0,5 g = 10 mg Testosteron | Einreiben, bis Gel eingetrocknet ist | zwei Stunden |
Vorsichtsmaßnahmen
Um Dritte vor einer versehentlichen Testosteron-Übertragung zu schützen, sollte Kleidung die Anwendungsstellen vollständig bedecken. Inwiefern dies gelingt, untersuchte eine Studie bei 24 Paaren mit kontrolliertem täglichem Hautkontakt von 15 Minuten (Bauch zu Bauch, Hände oder Arme zu Armen oder Schultern). Die Vorsichtsmaßnahme „Bekleidung“ konnte die Übertragung bei geringer Testosteron-Dosierung (2,5 g eines 1,62%-igen Gels) auf die Partnerin verhindern und bei höherer Dosierung (5 g eines 1,62%-igen Gels) minimieren [10]. Als eine der wichtigsten Maßnahmen gilt zudem das sofortige Händewaschen mit Wasser und Seife nach der Applikation (separates Handtuch empfehlenswert). Dies ist dringend geboten, um das Risiko einer Testosteron-Übertragung von den Händen auf andere Personen zu minimieren. Sinnvoll ist auch das Tragen von Einweghandschuhen bei der Anwendung (außer bei Applikatorsystemen) und die sichere Entsorgung derselben. Diese sollen auf jeden Fall dann verwendet werden, wenn eine andere Person, zum Beispiel die Partnerin oder eine Pflegekraft das Gel aufträgt. Man sollte dabei darauf achten, dass die Einweghandschuhe alkoholbeständig sind, da in den Präparaten Ethanol, Propylenglykol und/oder Isopropanol enthalten sind [9]. Keinesfalls dürfen Schwangere in Kontakt mit dem Testosteron-Präparat oder den Applikationsstellen kommen, da eine erhöhte Testosteron-Exposition in utero unerwünschte, virilisierende Auswirkungen auf den Fötus hat. Bei akzidentiellem Kontakt mit behandelter Haut sollten Schwangere den bei ihnen betroffenen Bereich so bald wie möglich gründlich mit Wasser und Seife waschen. Einige Hersteller weisen darauf hin, dass vor einem voraussichtlichen engen Körperkontakt mit einer anderen Person (gemeint ist hier unter anderem der Geschlechtsverkehr, aber auch der enge Hautkontakt mit Kindern) die Applikationsstelle gründlich mit Wasser und Seife gereinigt werden soll. Zum Schutz des Sexualpartners vor einer versehentlichen Testosteron-Übertragung findet sich in der Tostran® Fachinformation gar die Empfehlung, erst vier Stunden nach der Testosteron-Applikation Geschlechtsverkehr zu haben, die Applikationsstellen während des engen Körperkontaktes mit Kleidung bedeckt zu halten oder vorher zu duschen oder zu baden [9].
Testosteron für Frauen?
Seit Jahren wird versucht, die Testosteron-Anwendung bei Frauen mit vermindertem sexuellem Verlangen (hypoactive sexual desire disorder, HSDD) zu etablieren. Bisher überzeugten die erzielbaren Effekte nicht, und man befürchtete kardio-metabolische Nachteile bei Langzeitanwendung. Nun veröffentlichte das Fachjournal Lancet Diabetes Endocrinology eine umfangreiche Metaanalyse zur Sicherheit und Wirksamkeit der Testosteron-Anwendung bei postmenopausalen Frauen und berücksichtigte dabei randomisierte kontrollierte Studien und Zulassungsanträge der letzten drei Jahrzehnte. Den Ergebnissen zufolge kann die topische Anwendung von Testosteron in vielen Belangen des beeinträchtigten sexuellen Antriebs der Frau punkten, allerdings mit mäßigem Erfolg. Bezüglich der Langzeitsicherheit konnten - da die eingeschlossenen Studien meist nur eine Dauer von 12 bis 24 Wochen aufwiesen - hingegen keine Aussagen getroffen werden. Beobachtet wurden typische androgene Effekte wie Akne und Haarwachstum sowie bei oraler, aber nicht bei transdermaler Anwendung, ein verändertes Lipidprofil. Es bleibt daher abzuwarten, ob Firmen erneut eine Testosteron-Zulassung speziell für Frauen anstreben werden (nach der Marktrücknahme des Testosteron-Pflasters Intrinsa®). Sollte dies der Fall sein, müssen auch Frauen für die Risiken einer versehentlichen Testosteron-Übertragung auf andere sensibilisiert werden [15].
Pubertas praecox
Welche Auswirkungen können nun exogen zugeführte Androgene bei präpubertären Kindern haben? Die Veränderungen im kindlichen Körper sind bei vorzeitiger Pubertätsentwicklung gravierend mit zum Teil irreversiblen Folgen. Am Auffälligsten ist die Ausbildung von sekundären Geschlechtsmerkmalen, aber auch eine starke Zunahme der Körpergröße, Akne und altersuntypischer Körpergeruch können beobachtet werden. Daneben sind negative psychosoziale Effekte und aggressives Verhalten bekannt. Eine Störung des Beginns der Pubertät (Pubertas praecox) liegt im Allgemeinen vor, wenn die sexuelle Reifung bei Mädchen vor dem achten Lebensjahr und bei Jungen vor dem neunten Lebensjahr einsetzt. Klassischerweise sind hierfür idiopathische Ursachen, intrakranielle Tumore, Nebennierenenzymdefekte, seltene genetisch bedingte Störungen oder andere Anomalien verantwortlich. Ätiologisch unterscheidet man GnRH(Gonadotropin-freisetzendes Hormon)-abhängige (zentrale) von den selteneren GnRH-unabhängigen (peripheren) Verläufen. Bei exogen zugeführten Androgenen trifft Letzteres zu. Es lässt sich labormedizinisch ein isolierter Testosteron-Wert feststellen, während die Gonadotropin-Spiegel präpubertäres Niveau aufweisen. Eine Aktivierung der Hypothalamus-Hypophysen-Achse mit einhergehender Vergrößerung und Reifung der Gonaden liegt als Ursache dieser Pubertas praecox somit nicht vor, und man spricht von einer Pseudopubertas praecox (PPP).
Längenwachstum und Skelettreife
Die Skelettreifung bei Kindern steht vorrangig unter dem Einfluss von Östrogen, welches aber durch Aromatisierung aus Androgenen entsteht. Somit kann Testosteron das Längenwachstum bei Kindern beschleunigen und eine nicht altersadäquate verfrühte Knochenreifung hervorrufen. Dies zeigte unter anderem der Fall eines Jungen, der im Alter von zwei Jahren und sieben Monaten deutliche Virilisierungserscheinungen aufgrund eines versehentlichen Testosteron-Transfers vom Vater aufwies [11]. Das Längenwachstum des Kindes hatte einen auffälligen Sprung zur über 95. Perzentile vollzogen, bei vorherigen Messungen lag er innerhalb der 50. bis 75. Perzentile. Seine Knochenreifung war fortgeschritten und wurde auf vier Jahre und sechs Monate geschätzt. Nachdem der Vater die Therapie absetzte, normalisierten sich die stark erhöhten Testosteron-Spiegel des Kindes von 371 ng/dl (Referenzbereich < 3 bis 10 ng/dl für präpubertäre Jungen) auf 10 ng/dl wieder. Die Pubertätsentwicklung schritt nicht weiter fort und das Knochenalter war stabil. Bei fortwährendem Androgeneinfluss bestünde die Gefahr des vorzeitigen Epiphysenschlusses, was zum Ende des normalen Wachstumsprozesses und verminderter Endgröße im Erwachsenenalter oder Kleinwuchs führen kann.
Schambehaarung (Pubes)
Am häufigsten finden sich Berichte zur verfrühten Schambehaarung (Pubarche) bei Kindern infolge einer Testosteron-Übertragung durch einen behandelten Erwachsenen, meist den Vater [3, 12]. Es handelt sich um ein Merkmal, welches nach Androgen-Exposition früh einsetzt und Eltern vermutlich am ehesten stutzig macht. Zur Klassifikation der Pubertätsentwicklung wird die körperliche Entwicklung der äußeren Geschlechtsmerkmale (Schambehaarung, Brust bei Mädchen und Hoden und Penis bei Jungen) in fünf sogenannte Tanner-Stadien eingeteilt, benannt nach dem britischen Kinderarzt Prof. Dr. James M. Tanner (siehe Abb.). Bei den meisten Fallberichten zur verfrühten Schambehaarung bei Kindern durch Testosteron-Transfer wird ein Tanner-II- oder Tanner-III-Stadium diagnostiziert. Die Schambehaarung war in den meisten Fällen nach Absetzen der Medikation des Vaters binnen weniger Monate reversibel.
Vergrößerte Genitalien
Eine auffällige Virilisierungserscheinung betrifft das vorzeitige Wachstum der Genitalien, wie eine Vergrößerung der Klitoris (Klitorishypertrophie) bei Mädchen und eine Vergrößerung von Penis und Hoden bei Jungen. Hierzu finden sich diverse Fallberichte [3, 12], wie der eines 18 Monate alten Mädchens, deren Klitoris eine für ihr Alter abnorme Größe von 3 × 1,2 cm aufwies [13]. Zudem wurde eine Schambehaarung mit Tanner-Stadium III festgestellt. Der Stiefvater des Mädchens, welcher die primäre Betreuungsperson war, erhielt eine Testosteron-Zubereitung bei testikulärer Unterfunktion. Leider beachtete er diverse Vorsichtsmaßnahmen nicht. Seines Zeichens Rollstuhlfahrer beförderte und versorgte er das Mädchen häufig auf seinem Schoß. Er applizierte das Testosteron jedoch auf seinen Oberschenkeln und trug für gewöhnlich kurze Hosen. Zudem wusch er sich nach der Anwendung meist nicht die Hände. Nachdem man der Ursache für die vorzeitige Pubertätsentwicklung des Kleinkindes auf die Spur gekommen war, applizierte die Mutter die Testosteron-Creme auf dem Rücken des Vaters, unter Verwendung von Einweghandschuhen. Zehn Tage nach dieser Umstellung sanken die Testosteron-Spiegel des Mädchens auf ein normales Niveau ab. [12] Erwähnenswert ist auch der Fall eines 16 Monate alten Jungen, dessen Penis eine beachtliche Länge von acht cm und die Genitalregion eine Schambehaarung mit Tanner-Stadium II aufwies [14]. Leider verheimlichte der Vater bei Erstuntersuchung des Kindes, dass er zur Libidosteigerung zweimal täglich Testosteron-Gel anwendete, und verursachte dadurch unnötige Untersuchungen bei seinem Kind. Da das Kleinkind mit seinen Eltern in einem Familienbett schlief, zum Teil auf dem nackten Oberkörper des Vaters, kann von einer erhöhten Exposition ausgegangen werden. Andere Eltern waren über die Penisgröße ihres Sohnes nicht weiter verwundert, da ihr Kind bereits bei der Geburt über einen auffällig langen Penis verfügte [16]. In der Retrospektive konnte festgestellt werden, dass der Vater des Kindes bereits während der Schwangerschaft seiner Partnerin mit Testosteron behandelt wurde und somit bereits von einer Androgen-Exposition in utero auszugehen war.
Auf einen Blick
- Testosteron-Externa bergen ein erhebliches Übertragungsrisiko auf Frauen, Kinder und Ungeborene.
- Bei Kindern sind Virilisierungserscheinungen wie Schambehaarung, Akne, Vergrößerung der Genitalien und vorzeitige Knochenreifung durch Hautkontakt mit Personen beschrieben, die Testosteron-Externa angewendet haben.
- Patienten sind sich der Risiken oft nicht bewusst und dementsprechend zu sensibilisieren.
- Vorsichtsmaßnahmen hinsichtlich Applikation, Abdeckung und Reinigung müssen gewissenhaft beachtet werden!
Ausblick
Aufgrund dieser und weiterer eindeutiger Fallberichte gab die FDA im Jahr 2009 eine Warnung heraus und veranlasste umfangreiche Änderungen der Fach- und Gebrauchsinformationen, um Betroffene für das Risiko einer akzidentiellen Testosteron-Übertragung zu sensibilisieren und Vorsichtsmaßnahmen zu empfehlen. Trotz der Warnhinweise wird immer wieder über Fälle betroffener Kinder oder Frauen berichtet. Eine Möglichkeit, die potenziellen Risiken des Testosteron-Transfers weiter einzugrenzen, wäre, eine Testosteron-Modifikation oder galenische Formulierung zu entwickeln, die eine schnellere und vollständigere Überquerung der Hautbarriere ermöglichen würde. Um das potenzielle Übertragungsrisiko zu senken, wurden bereits Applikatoren entwickelt, die ein Auftragen des Gels ohne Kontamination der Hände erlauben (Testavan®). Alternativ könnten behandelte Personen, in deren Haushalt (kleine) Kinder leben, beziehungsweise die oft engen Kontakt zu ihnen haben, den Applikationsweg wechseln und Testosteron als intramuskuläre Injektion erhalten. |
Literatur
[1] Delanoe D et al. Androgenisation of female partners of men on medroxyprogesterone acetate/percutaneoustestosterone contraception. Lancet 1984;1(8371):276
[2] Yu YM et al. Sexual development in a two-year-old boy induced by topical exposure to testosterone. Pediatrics 1999;104(2):e23
[3] Ramos CO et al. Premature Pubarche due to Exogenous Testosterone Gel or Intense Diaper Rash Prevention Cream Use: A Case Series. Horm Res Paediatr 2019;24:1–5
[4] Arver S et al. A new 2% testosterone gel formulation: a comparison with currently available topical preparations. Andrology 2018;6(3):396-407
[5] Dohle GR et al. Guidelines on Male Hypogonadism. European Association of Urology 2015. https://uroweb.org/wp-content/uploads/EAU-Guidelines-Male-Hypogonadism-2015.pdf, Abruf 30. Juli 2019
[6] Rolf C et al. Interpersonal testosterone transfer after topical application of a newly developed testosterone gel preparation. Clinical Endocrinology 2002;56:637–641
[7] Stahlman J et al. Effects of skin washing on systemic absorption of testosterone in hypogonadal males after administration of 1,62% testosterone gel. Curr Med Res Opin 2012;28(2):271–279
[8] Fachinformation Testotop® Gel. Dr. August Wolff GmbH & Co. KG / Galenpharma GmbH. Stand der Information: November 2016
[9] Fachinformation Tostran® 2% Gel. Kyowa Kirin Ltd. Stand der Information: Februar 2017
[10] Stahlman J et al. Effect of application site, clothing barrier, and application site washing on testosterone transfer with a 1,62% testosterone gel. Curr Med Res Opin 2012;28(2):281–290
[11] Stephen MD et al. Sexual Precocity in a 2-Year-Old Boy Caused by Indirect Exposure to Testosterone Cream. Endocrine Pract 2008;14(8):1027–1030
[12] Martinez-Pajares JD et al. Peripheral precocious puberty due to inadvertent exposure to testosterone: case report and review of the literature. Pediatr Endocr Met 2012;25(9-10):1007–1012
[13] Kunz GJ et al. Virilization of Young Children After Topical Androgen Use by Their Parents. Pediatrics 2004;114(1):282–284
[14] Bowmick SK et al. Sexual Precocity in a 16-Month-Old Boy Induced by Indirect Topical Exposure to Testosterone. Clin Pediatr (Phila) 2007;46(6):540–543
[15] Islam RM et al. Safety and efficacy of testosterone for women: a systematic review and meta-analysis of randomised controlled trial data. Lancet Diabetes Endocrinol 25. Juli 2019, pii: S2213-8587(19)30189-5, doi: 10.1016/S2213-8587(19)30189-5
[16] Brachet C und Heinrichs C. Central precocious puberty after interpersonal transfer of testosterone gel: just a coincidence? J Pediatr Endocr Met 2012;25(7-8):757–760
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