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Viele offene Fragen
Vierte Corona-Impfung: wer, wann und womit?
Auch Apotheker und Apothekerinnen dürfen mittlerweile gegen COVID-19 impfen. Doch nicht nur sie dürften sich fragen, womit in Zukunft – oder genauer im kommenden Herbst – eigentlich geimpft werden soll. Sollte man sich vielleicht jetzt schon angesichts einer drohenden „Sommerwelle“ ein zweites Mal boostern und damit zum vierten Mal impfen lassen? Oder lohnt es sich, auf angepasste Impfstoffe zu warten?
Am 1. Juni 2022 twitterte der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD): „Wir nutzen die 4. Impfung zu wenig.“ Er bezog sich mit dieser Aussage auf eine Studie aus Israel, die gezeigt habe, dass die vierte Impfung mit dem Corona-Impfstoff von Biontech/Pfizer im Vergleich zur dritten Dosis das Risiko für eine schwere Erkrankung nochmals deutlich senkt – was gerade für ältere Menschen wichtig sei. Die Ständige Impfkommission STIKO empfiehlt besonders gefährdeten oder exponierten Personengruppen eine zweite Auffrischimpfung und damit vierte Corona-Impfdosis – dazu zählen auch Menschen ab 70 Jahren.
Wirft man einen Blick in die von Lauterbach verlinkte Studie, heißt es dort in der Schlussfolgerung der Autor:innen allerdings auch: Die Wirksamkeit der vierten Dosis gegen die Infektion scheint schneller nachzulassen als die der dritten Dosis.
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Dass hinsichtlich einer vierten Impfdosis noch gewisse Unsicherheiten bestehen, verdeutlicht auch eine vom Paul-Ehrlich-Institut (PEI) am 3. Juni veröffentlichte Mitteilung. Auch dort heißt es zwar: „Eine zweite Auffrischimpfung (4. Impfung) erhöht deutlich die Antikörperspiegel gegen Omikron.“ Diese Aussage stützt sich auf eine Studie, für die Forschende des PEI und der Main-Kinzig-Kliniken die Antikörperantwort nach Impfung mit dem Biontech/Pfizer-Impfstoff gegenüber verschiedenen SARS-CoV-2-Virusvarianten im zeitlichen Verlauf untersucht haben. Auch danach sollte die vierte Impfung entsprechend der aktuellen STIKO-Empfehlung also genutzt werden – ob bei der Grundimmunisierung homolog oder heterolog geimpft wurde, soll dabei keinen Unterschied machen. Wirft man jedoch auch in dieser Studie einen Blick auf die Schlussfolgerungen der Studienautor:innen, so weisen diese dort auf die dringende Notwendigkeit der Entwicklung einer variantenangepassten zweiten Generation von SARS-CoV-2-Impfstoffen hin. Denn ihre Daten deuteten darauf hin, dass selbst eine wiederholte Auffrischimpfung auf Basis des Wuhan-Isolats nur begrenzt in der Lage sei, eine langanhaltende humorale Immunantwort gegen eine entfernte Variante wie Omikron zu induzieren, heißt es.
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Die internationalen Arzneimittelbehörden hatten schon im Januar dieses Jahres Wissenschaft und Hersteller ermutigt, bi- oder multivalente Impfstoffvarianten zu untersuchen. An Lebendimpfstoffe könne man leider noch nicht denken, erklärte Prof. Dr. Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts im Januar, weil man das Coronavirus dazu noch nicht ausreichend verstehe. Auch multivalente Ansätze, die über bivalente hinausgehen, sah er noch skeptisch. Eine schnelle Umstellung der Produktion auf neue Varianten-Impfstoffe sei aber schnell möglich, hieß es, man müsse nur ein gemeinsames Signal finden, ab wann diese tatsächlich erfolgt. Ist jetzt der Zeitpunkt gekommen – angesichts einer möglicherweise drohenden „Sommerwelle“ aufgrund der sich ausbreitenden Omikron-Subtypen BA.5 und BA.4?
In „Science Immunology“ findet man, veröffentlicht am 2. Juni, eine Studie von Biontech, wonach eine Durchbruchinfektion mit dem Omikron-Subtyp BA.1 bei zwei- bis dreifach Geimpften zwar den Schutz gegen verschiedene SARS-CoV-2-Varianten zu erhöhen scheint – jedoch kaum gegen BA.4 und BA.5. „Anfang Mai hatten Experten noch vermutet, eine neue Welle wie in Südafrika könnte in Europa ausbleiben, weil die bislang hier dominierende BA.2-Variante ähnlicher zu BA.5 sei als die zuvor in Südafrika dominierende BA.1-Variante. Damit sei man in Europa eventuell etwas mehr immun gegen die neuen Subtypen. Der Anstieg der Zahlen in Portugal aktuell widerlegt das aber wohl“, erläuterte erst kürzlich DAZ-Autor Volker Budinger. Wie Lauterbach aber am 9. Juni twitterte, werde die Sommerwelle aus seiner Sicht „nicht wirklich gefährlich“, doch im Herbst müsse man vorbereitet sein.
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Wie die Deutsche Presse-Agentur (dpa) ebenfalls am 9. Juni berichtete, rechnet Lauterbach frühestens im September mit Corona-Impfstoffen, die an die Omikron-Variante angepasst sind. Neue Daten von Moderna bezeichnete er als vielversprechend: In einer Pressemitteilung vom 8. Juni hatte Moderna verkündet, dass ihr neu entwickelter bivalenter Booster-Kandidat mit dem Namen mRNA-1273.214 eine überlegene Antikörperreaktion gegen Omikron zeige. Der Booster enthält demnach den bisherigen Impfstoff Spikevax (mRNA-1273) und einen Impfstoffkandidaten, der auf Omikron abzielt (laut Science Media Center die Omikron-Variante BA.1).
Wie der Geschäftsführer von Moderna Stéphane Bancel erklärt, sei mRNA-1273.214 nun der führende Impfstoffkandidat von Moderna für den Herbst 2022. Denn man erwarte einen noch nachhaltigeren Schutz gegen Varianten als mit dem ersten bivalenten Booster-Kandidaten mRNA-1273.211. Dieser erste Kandidat enthält zu je gleichen Teilen mRNA-1273 und mRNA-1273.351. Letzteren hatte Moderna auf Basis der zuerst in Südafrika identifizierten Variante B.1.351 entwickelt, also der Beta-Variante.
Neuer Impfstoffkandidat mRNA-1273.351
Impfstoffvariante von Moderna erzeugt robuste Antikörper
Moderna hofft jetzt, dass der „omikronhaltige“ bivalente Booster im Spätsommer verfügbar sein wird. In einer Pressekonferenz teilte Moderna laut Science Media Center jedoch mit, dass man noch nicht sagen könne, ob der angepasste Impfstoff einen dauerhafteren Immunschutz gegen Infektion biete als der bisherige. Man sei aber optimistisch. Wie der aktualisierte Impfstoff von Moderna gegen die Virusvarianten BA.4 oder BA.5 wirkt, dazu wurden keine Daten veröffentlicht.
Welche praktische Empfehlung lässt sich nun aus all dem ableiten? Welcher Booster schützt wann und wen am besten? Mit solchen Fragen hat sich auch das Science Media Center (SMC) an vier verschiedene Expert:innen gewandt.
Angepasste Impfstoffe nicht optimal, aber besser
Professor Andreas Radbruch, Wissenschaftlicher Direktor am Deutschen Rheuma-Forschungszentrum Berlin (DRFZ), gibt sich weniger optimistisch als Moderna. Dennoch meint er: „Der Schutz vor schwerer Erkrankung wird weiterhin sehr gut sein, ob er bei dem binären Impfstoff besser sein wird, wird die Zeit zeigen“, es wäre nicht überraschend, wenn er auch nicht besser wäre – der Schutz vor Infektion werde ähnlich gering und kurzfristig sein, wagt er den Blick in die Zukunft.
Zum einen fehlt Radbruch noch die Veröffentlichung der Daten von Moderna, um genauere Aussagen zu treffen, zum anderen liege es an der Funktionsweise der mRNA Impfstoffe, dass sie auf den Schleimhäuten kaum vor einer Ansteckung schützen. Radbruch verweist auf eine Studie, die zeige, dass nach Infektion oder Impfung der Schutz vor Infektion nach sechs Monaten auf 50 Prozent sinkt. Bei geimpften Genesenen bleibe er dagegen auch nach einem Jahr noch bei 90 Prozent.
Dennoch hält er einen „Boost mit dem angepassten Impfstoff“ im Herbst für sinnvoll – zumindest für „diejenigen, die auf einen Boost überhaupt noch ansprechen, die also noch nicht so hohe Antikörperspiegel haben“. Kurzfristig könne so auch „der Schutz vor Infektion, für die Monate der nächsten Welle“ noch einmal erhöht werden. „Und da vermutlich der neue Impfstoff besser die Varianten abdeckenden, neutralisierenden Antikörper induziert, wäre dieser Schutz vor Infektion auch bei dem neuen Impfstoff noch effektiver“, meint er – auch wenn ein Impfstoff, der auch die Virusvariante BA.5 berücksichtigt, noch besser wäre.
Unterschied zwischen BA.1 und BA.5 relevant?
„Natürlich ist das Virus mal wieder schneller als die Impfstoffentwicklung. Aber der Unterschied zwischen BA.1 und BA.5 ist deutlich kleiner als der Unterschied zwischen dem Originalimpfstoff und BA.5. Daher macht auch ein an BA.1 angepasster Impfstoff noch viel Sinn“, meint auch Professor Carsten Watzl, Leiter des Forschungsbereichs Immunologie und wissenschaftlicher Direktor am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund (IfADo), sowie Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie (DGfI). Weil der Impfstoff gerade die Immunzellen, die sowohl die Ursprungsvarianten als auch Omikron erkennen können, stimuliere, werde durch angepasste Impfstoffe die Immunität Varianten-unabhängiger und könne auch vor zukünftigen Varianten einen Schutz bieten.
„Es ist grundsätzlich von Vorteil, wenn der Impfstoff dem zirkulierenden Virus möglichst gut entspricht. Die Technologie der mRNA-Impfstoffe ermöglicht die Anpassung an neue Virusvarianten, und daher sollte man das auch einsetzen, wenn es vom Aufwand her akzeptabel ist. Angesichts der vorläufigen Daten würde ich aber nicht erwarten, dass es mit diesem angepassten Booster zu einer wirklichen Kehrtwende in der Kontrolle der Pandemie kommt“, ordnet PD Dr. Sebastian Ulbert die Situation ein. Er ist Abteilungsleiter für Impfstoffe und Infektionsmodelle am Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie (IZI) in Leipzig.
Hybride oder Super-Immunität
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Watzl vermutet, dass „gerade die Kombination aus Impfung und Infektion (hybride Immunität genannt) langfristig den besten Schutz geben wird.“ Denn geimpfte Personen mit einer Durchbruchsinfektion, die die vierte Impfung mit dem an Omikron angepassten Impfstoff erhalten haben, sollen sehr hohe neutralisierende Antikörper gegen Omikron zeigen und seien daher auch wahrscheinlich sehr gut vor der Infektion und der Weitergabe des Virus geschützt.
Vierte Impfung ab 60 und für Risikogruppen?
Watzl sieht bei immun-gesunden Personen unter 60 „aktuell keine Veranlassung zu einer vierten Impfung“. Weil Personen mit Immunschwäche und alte Personen aber weiterhin ein relativ hohes Risiko für eine schwere Erkrankung haben können, „sollten diese ihre Immunität im Herbst mit einem angepassten Impfstoff so verbessern, dass sie ohne Infektion oder zumindest ohne schwere Erkrankung durch den Winter kommen.“
Dr. Christine Dahlke, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Medizinischen Klinik und Poliklinik des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) in der Sektion Infektiologie mit dem Schwerpunkt „Emerging Infections“, würde aktuell noch keine Empfehlungen aussprechen. Sie weist auf die zahlreichen offenen Fragen hin. Man könne die Entwicklung der neuen Varianten und des Infektionsgeschehens nicht vorhersehen.
Damit bleibt es wohl vorerst beim Fazit von Prof. Dr. Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, im Januar: Eine schnelle Umstellung der Produktion auf neue Varianten-Impfstoffe ist schnell möglich, man muss nun (rechtzeitig) ein gemeinsames Signal finden, ab wann diese erfolgt.
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