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Legalisierung
Wer erwartet das große Cannabis-Geschäft?
Der Druck auf Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach wächst. Demnächst soll er einen Entwurf für das Cannabiskontrollgesetz vorlegen. Im Koalitionsvertrag sprachen sich SPD, Grüne und FDP für die Legalisierung aus. Wer mit dem Gras zu Genusszwecken tatsächlich das große Geschäft machen könnte, wird in der aktuellen DAZ analysiert.
Die Entwicklung läuft in vielen Teilen der Erde nach einem ähnlichen Muster ab: Staaten legalisieren die Cannabis-Pflanze als Genussmittel, nachdem sie eine gewisse Zeit schon zur medizinischen Nutzung bereitstand. Vorreiter ist Kanada. „Cannabis als Medizin“ ist dort bereits seit 2011 erlaubt. Seit Oktober 2018 können Erwachsene auch „Recreational marihuana“, also Marihuana zur Entspannung, straffrei konsumieren. Dieser Schritt sorgte für einen Boom: Neue Cannabis-Unternehmen wurden gegründet, die Anbaukapazitäten schnellten hoch, zahlreiche Firmen gingen an die Börse.
In Deutschland wird noch in diesem Jahr das positive Votum der Politik für die Freigabe der Cannabis-Blüten zum Freizeitgenuss erwartet. Laut Vertrag der Ampel-Koalitionäre ist vorgesehen, „die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften“ einzuführen. Ein Gesetzentwurf soll, laut Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), in der zweiten Jahreshälfte folgen. Damit dies auch tatsächlich pünktlich gelingt, wird innerhalb der Koalition der Druck auf Lauterbach erhöht. Durch einen Beschluss des Haushaltsausschusses wird ihm ein Betrag von einer Million Euro für die Öffentlichkeitsarbeit seines Ministeriums so lange gesperrt, bis das im Koalitionsvertrag vereinbarte Cannabiskontrollgesetz vorgelegt wird. „Wir müssen als Ampel jetzt auch die Gesundheitsprojekte im Koalitionsvertrag neben der Corona-Bekämpfung angehen und zügig umsetzen“, erklärte Paula Piechotta (Grüne) gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Komme das Gesetz nicht im zweiten Halbjahr, verfielen die Gelder. Nach ihren Angaben wurde der Antrag für die Sperre gemeinsam mit den Abgeordneten Svenja Stadler (SPD) und Karsten Klein (FDP) gestellt.
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Bislang ist es hierzulande weiterhin verboten, Cannabis, Marihuana, Gras, Weed und Co. zu Genusszwecken zu verkaufen oder zu erwerben. Auch Anbau und Besitz sind verboten. Einzig zu medizinischen Zwecken dürfen Ärztinnen und Ärzte seit März 2017 Cannabinoid-basierte Arzneimittel basierend auf Blüten, Extrakten oder Inhaltsstoffen verordnen.
Sollte sich der Verkauf und der Konsum demnächst auf den Genuss- und Freizeitbereich ausweiten, ist nach aktuellem Stand noch völlig offen, inwieweit die Apotheken dabei involviert werden. Einzelne Gesundheitspolitikerinnen und -politiker aus der Ampel-Koalition äußerten sich zu dieser Frage bisher eher zurückhaltend. Man könne sich vorstellen, dass der Verkauf auch in Apotheken stattfindet, hieß es höchstens.
Auch die Position der Apothekerschaft ist noch nicht ganz klar. Man befinde sich in einem heilberuflichen Zielkonflikt, sei aber (gesprächs-)bereit, wenn die Politik auf die Apotheken zukommt. Anfang Mai sagte ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening gegenüber der „Lebensmittelzeitung“, dass die Apotheker wegen der Cannabis-Nebenwirkungen den Verkauf zu Genusszwecken grundsätzlich ablehnten. „Im Falle einer Legalisierung bieten wir aber unsere Hilfe an, um den Verbrauchern ein Höchstmaß an Sicherheit zu gewährleisten.“ Dies gelte allerdings nur, wenn die Abgabe ausschließlich in Apotheken erfolge.
Gesamtbedarf von 380 bis 420 Tonnen Cannabis pro Jahr
Allein die Tatsache, dass man sich hierzulande so nah an der Cannabis-Freigabe befindet wie noch nie zuvor, weckt die Fantasie von Unternehmen, die zum Teil bereits in vielen anderen Ländern auf ein Milliardengeschäft blicken können.
Das Marktforschungsinstitut Insight Health kommt für 2021 zu dem Ergebnis, dass Deutschlands Apotheken ihren Bedarf an Cannabis-Blüten zu medizinischen Zwecken vor allem bei den kanadischen Anbietern Aurora, Canopy Growth und Tilray decken. Mit Cannamedical befindet sich das einzig inländische Unternehmen an der Spitze der Top-Liste.
Zur Abschätzung des Marktvolumens nach der Legalisierung hat Prof. Dr. Justus Haucap vom Düsseldorf Institute for Competition Economics (DICE) eine Studie erstellt und im November 2021 gemeinsam mit dem Deutschen Hanfverband vorgestellt. Haucap, der frühere Vorsitzende der Monopolkommission, erwartet bei einer Freigabe aufgrund internationaler Erfahrungen und Schätzungen zum Konsum in Deutschland einen Gesamtbedarf von 380 bis 420 Tonnen Cannabis pro Jahr.
Da bei einem legalen Geschäft der Aufpreis für kriminelle Machenschaften entfällt, könnte der Preis niedriger als auf dem Schwarzmarkt sein, aber der Staat sollte keinen zusätzlichen Konsumanreiz schaffen. Darum geht Haucap von einem Preis auf unterem Schwarzmarktniveau aus – etwa 10 Euro pro Gramm. Daraus ermittelt das „Handelsblatt“ in einem Beitrag vom 14. März 2022 ein Marktvolumen, also einen zu erwartenden Gesamtumsatz von etwa 4 Milliarden Euro.
Das auf Cannabis spezialisierte britische Marktforschungsunternehmen mit dem dubiosen Namen „Prohibition Partners“ sieht in seinem „Germany Cannabis Report“ bis 2028 für Deutschland sogar ein Marktpotenzial von 7,7 Milliarden Euro. Dies meldete das „Hanf-Magazin“ bereits im November 2019.
4 Euro pro Gramm Cannabis
In Haucaps Studie geht es jedoch um „Fiskalische Auswirkungen einer Cannabis-Legalisierung in Deutschland“, wie der Titel verdeutlicht. Bei einem konservativ geschätzten Verkaufspreis vor Steuern in Deutschland in Höhe von 4 Euro pro Gramm könnten 6 Euro Steuern pro Gramm erhoben werden. Auf dieser Grundlage erwartet Haucap finanzielle Vorteile für den Staat in Höhe von 4,7 Milliarden Euro pro Jahr durch zusätzliche Steuern und Sozialabgaben sowie durch Einsparungen bei der Strafverfolgung. Es würden 27.000 neue legale Arbeitsplätze entstehen. Die größte Position in dieser Rechnung ist die Einnahme von 1,8 Milliarden Euro aus einer neuen Cannabis-Steuer. Hinzu kommen Unternehmens-, Lohn- und Mehrwertsteuer.
Haucap geht davon aus, dass 4 Euro pro Gramm sämtliche Kosten der Herstellung, des Vertriebs und des Einzelhandels sowie Gewinnzuschläge für alle Beteiligten abdecken. Auf die Höhe der Margen geht er nicht ein. Doch bei dieser Dimension dürfte im Einzelhandel als Rohertrag allenfalls ein mittlerer zweistelliger Centbetrag pro Gramm verbleiben. Das wäre eine viel geringere Größenordnung als bei den derzeitigen Apothekeneinkaufspreisen für medizinisches Cannabis und den Zuschlägen gemäß Arzneimittelpreisverordnung.
Daraus folgt: Der Staat würde einen erheblichen Teil der Einnahmen aus Cannabis zu Genusszwecken in Form von Steuern abschöpfen. Bei der Festlegung eines staatlich geregelten Preises wären scharf kalkulierte Margen gefragt. Die Preise und Margen für medizinisches Cannabis sind dafür kein Vorbild. Schlimmstenfalls kann es sogar Rückwirkungen auf die Kalkulationen beim medizinischen Cannabis geben oder die Krankenkassen könnten Patienten in den Markt für Genussware lenken. Dann würde den Apotheken sogar eine Einbuße an dieser Stelle drohen. Aus den berauschenden Ideen kann also eine bittere Ernüchterung werden.
Genuss-Cannabis zukünftig apothekenexklusiv?
Alle wirtschaftlichen Betrachtungen stehen unter der Prämisse einer politischen Entscheidung für die Freigabe von Cannabis zu Genusszwecken. Doch die gesundheitliche und ethische Debatte dauert an, und auch Kompromissvarianten mit einer eingeschränkten Freigabe sind möglich.
Selbst bei einer weitgehenden Freigabe hat die Politik viele Optionen für die wirtschaftliche Gestaltung in der Hand. Sie kann den Apotheken vielleicht rund 100 Millionen Euro zusätzlichen Rohertrag pro Jahr zukommen lassen, die aber nicht unbedingt bei den Apotheken ankommen würden, die es besonders nötig haben. Deutlich mehr ist allenfalls denkbar, wenn Genuss-Cannabis apothekenexklusiv wird und der Staat sich bei der Steuer sehr zurückhält – aber wer erwartet das?
In der aktuellen DAZ-Ausgabe Nr. 21 gibt unser Autor Thorsten Schüller in seinem Beitrag „Das Geschäft mit dem Gras“ einen Überblick über den Markt der Cannabis-Unternehmen. DAZ-Redakteur und Apothekenwirtschaftsexperte Dr. Thomas Müller-Bohn analysiert, inwiefern hohe finanzielle Erwartungen an die politisch beabsichtigte Legalisierung zu Ernüchterungen führen können.
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