Wettbewerbsrechtliches Musterverfahren

Kammer Nordrhein nimmt sich Lieferdienst Kurando vor

Stuttgart - 27.04.2022, 16:45 Uhr

Die AKNR klagt gegen Kurando: Aus ihrer Sicht verstößt der Arzneimittel-Schnelllieferdienst mehrfach gegen apothekenrechtliche Normen und damit gegen das Wettbewerbsrecht. (c / Screenshot: kurando.de)

Die AKNR klagt gegen Kurando: Aus ihrer Sicht verstößt der Arzneimittel-Schnelllieferdienst mehrfach gegen apothekenrechtliche Normen und damit gegen das Wettbewerbsrecht. (c / Screenshot: kurando.de)


Die Apothekerkammer Nordrhein geht gegen den Betreiber eines Arzneimittel-Schnelllieferdienstes vor: Sie hat Klage gegen das Berliner Unternehmen Kurando erhoben. Darin geht es unter anderen darum, dass der Plattformbetreiber aus Sicht der Kammer mit dem versprochenen Lieferfenster in Kauf nimmt, dass die Apotheke ihrer Beratungspflicht nicht nachkommt. Außerdem beanstandet die Kammer das provisionsbasierte Preismodell.

Die Apothekerkammer Nordrhein (AKNR) ist wohl bundesweit am engagiertesten, wenn es darum geht, der Aushöhlung und kreativen Auslegung apothekenrechtlicher Vorgaben einen Riegel vorzuschieben. Davon zeugen unter anderem die zahlreichen Verfahren gegen den niederländischen Versender DocMorris. Im vergangenen März hatte AKNR-Justiziarin Bettina Mecking beim ApothekenRechtTag berichtet, dass die Kammer ein wettbewerbsrechtliches Musterverfahren gegen Marktplatzplattformen anstrebt – sie hatte in ihrem Vortrag auf die Risiken durch apothekenfremde Plattformen und logistikorientierte Anbieter verwiesen. Besonders problematisch sei es, wenn die Plattform über eine preisabhängige Provision honoriert werde, erklärte sie.

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Diese Ankündigung hat die Kammer nun wahrgemacht und das Verfahren vor dem Landgericht Berlin auf den Weg gebracht. Wie die DAZ auf Nachfrage erfuhr, richtet sich die Klage gegen den Anbieter Kurando. Ihr vorausgegangen war eine erfolglose Abmahnung. Die AKNR beanstandet dabei im Wesentlichen drei Punkte und fordert deren Unterlassung.

Zum einen soll Kurando künftig unterlassen, eine Plattform zu betreiben, auf der Arzneimittellieferungen innerhalb von 30 Minuten angeboten werden, ohne dass durch den Plattformbetreiber gewährleistet wird, dass die Partnerapotheken die ihnen obliegende aktive Beratungspflicht einhalten. Ein Testkauf, bei dem Ibuprofen und ASS zugleich bestellt wurden, hatte nämlich gezeigt, dass keine Beratung stattfindet.

Keine Chance für pharmazeutische Bedenken

Der Blick in den Vertrag legt in den Augen von Rechtsanwalt Morton Douglas, der die Kammer vertritt, offen, dass das gesamte Konzept darauf ausgerichtet ist, Arzneimittel so schnell wie möglich zu liefern. Dabei werde billigend in Kauf genommen, dass die Beratungspflicht der Apotheke nicht eingehalten werden kann. So kann zwar laut Vertrag – in dem es abgesehen von einem pauschalen Hinweis auf die Einhaltung der Vorgaben des Apothekengesetzes sowie der Apothekenbetriebsordnung keinerlei Hinweise zur Beratung gibt – die Belieferung verweigert werden, etwa wenn die Arzneimittel nicht vorrätig sind. Jedoch fehlten jegliche Möglichkeiten der Apotheke, aus pharmazeutischen Bedenken die Arzneimittellieferung zu verweigern, heißt es in der Klageschrift. Damit werde letztlich gegen Sorgfaltspflichten verstoßen und damit ein wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsanspruch begründet.

Fragwürdiger Wechselwirkungscheck und kritische Provision

Außerdem stört sich die Kammer daran, dass Kurando auf der Plattform einen Risikocheck anbietet, bei dem Verbraucher die Wechselwirkung verschiedener apothekenpflichtiger Arzneimittel prüfen können. Auch wenn dieser aktuell gar nicht funktioniere (ein entsprechender Hinweis erschien bei der Eingabe zweiter Präparate), sei das Angebot eines solchen Risikochecks durch Kurando unzulässig, so der Vorwurf. Denn bei der Beratung hinsichtlich der Wechselwirkung von Arzneimitteln gemäß § 1a Abs. 3 Nr. 4 Apothekenbetriebsordnung (ApoBetrO) handele es sich um eine pharmazeutische Tätigkeit. Pharmazeutische Tätigkeiten dürften aber nur von pharmazeutischem Personal ausgeführt werden – dies ergebe sich unmittelbar aus § 3 Abs. 5 ApoBetrO. Soweit bei den pharmazeutischen Tätigkeiten PTA oder PhiP zum Einsatz kommen, seien diese vom Apothekenleiter zu beaufsichtigen oder von diesem durch einen Apotheker beaufsichtigen zu lassen. Apothekenleiter könne nur derjenige sein, der Inhaber einer Apothekenbetriebserlaubnis ist, also ein niedergelassener Apotheker. Somit kommt Douglas zu dem Schluss, dass es einem Unternehmen wie Kurando gar nicht möglich ist, pharmazeutische Dienstleistungen, wie etwa die Beratung im Zusammenhang mit Arzneimitteln, durchzuführen. Dies stelle daher ein unzulässiges und damit wettbewerbswidriges Verhalten dar.

Erhebliche Provisionen

Der dritte Punkt, der am Geschäftsmodell von Kurando beanstandet wird, ist, dass die Apotheken für die Vermittlung von Aufträgen über apothekenpflichtige Arzneimittel eine Provision in Höhe von 18 Prozent des tatsächlichen Verkaufspreises zu bezahlen haben. Hier sieht Douglas einen wettbewerbswidrigen Verstoß gegen § 8 Satz 2 Apothekengesetz.

§ 8 Satz 2 Apothekengesetz

Beteiligungen an einer Apotheke in Form einer Stillen Gesellschaft und Vereinbarungen, bei denen die Vergütung für dem Erlaubnisinhaber gewährte Darlehen oder sonst überlassene Vermögenswerte am Umsatz oder am Gewinn der Apotheke ausgerichtet ist, insbesondere auch am Umsatz oder Gewinn ausgerichtete Mietverträge sind unzulässig.

Gehe man davon aus, dass die Marge der Apotheke bei nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln je nach der Preisbildung zwischen 30 und 40 Prozent liege, führe eine Berechnung von 18 Prozent auf den Bruttoverkaufspreis dazu, dass in der Regel über 50 Prozent des Ertrages an Kurando zu zahlen seien. Da ein Aufkommen von 200 Bestellungen am Tag angestrebt werde, was bei einer durchschnittlichen Apotheke wohl dazu führe, dass 50 Prozent der Bestellungen über die Plattform vermittelt würden, handele es sich um einen erheblichen Beitrag zum Umsatz der Apotheke. Der Gesetzgeber wolle mit der Norm aber die Unabhängigkeit der Apotheke gewährleisten – daher seien Vertragsabreden wie die hier vorliegende unzulässig.

Sollte Kurando sein Geschäft weiter wie bisher betreiben, beantragt die Kammer die Festsetzung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 Euro – oder eine Ordnungshaft bis zu sechs Monate.

Nun muss sich zeigen, wie das Landgericht Berlin das Geschäftsmodell wertet.



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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