G-BA

Kein Zusatznutzen für Vazkepa belegt

Stuttgart - 26.04.2022, 09:15 Uhr

In den USA schreibt man den Namen des hochdosierten und chemisch modifizierten Omega-3-Fettsäure-Präparats Vazkepa mit einem „s“: Vascepa. (x / Foto: picture alliance/AP Photo | Uncredited)

In den USA schreibt man den Namen des hochdosierten und chemisch modifizierten Omega-3-Fettsäure-Präparats Vazkepa mit einem „s“: Vascepa. (x / Foto: picture alliance/AP Photo | Uncredited)


Die Markteinführung des chemisch modifizierten und hoch dosierten Omega-3-Fettsäure-Präparats Vazkepa war von viel Hoffnung, aber auch vielen Zweifeln begleitet worden. Nun war der Gemeinsame Bundesausschuss am Zug. Sein Urteil: Ein Zusatznutzen ist nicht belegbar – vor allem, weil in der viel besprochenen REDUCE-IT-Studie die Möglichkeiten einer Therapie-Eskalation nicht ausgenutzt wurden.

Im September 2021 ist Vazkepa neu auf den Markt gekommen. Als Wirkstoff enthalten die Weichkapseln je 998 mg Icosapent-Ethyl. Eingenommen werden sie hoch dosiert: Die empfohlene orale Tagesdosis beträgt zweimal täglich zwei Kapseln, zu einer Mahlzeit oder danach. 

Von Interesse war diese Neueinführung vor allem, weil die sogenannte REDUCE-IT-Studie gezeigt hatte, dass die sekundärpräventive Anwendung eines hoch dosierten Eicosapentaensäure-Ethylesters schwere kardiovaskuläre Ereignisse einschließlich des kardiovaskulären Todes bei Risikopatienten signifikant reduzieren kann. Sonst war über (nicht chemisch modifizierte und nicht hoch dosierte) Omega-3-Fettsäuren zuletzt wenig Positives berichtet worden. Im März 2019 erneuerte die Europäische Arzneimittelbehörde EMA beispielsweise ihr Urteil, dass Arzneimittel, die Omega-3-Fettsäuren enthalten, keine weiteren Herzerkrankungen nach einem Herzinfarkt verhindern können – betroffene Arzneimittel sollten nicht mehr in der Sekundärprävention eingesetzt werden, hieß es. 

Doch auch mit der Neueinführung des hoch dosierten „Fischöl“-Präparats Vazkepa blieben Zweifel am Nutzen von Omega-3-Fettsäuren. 

Anfang 2021 berichtete die DAZ beispielsweise auch über die sogenannte STRENGTH-Studie. Auch darin war ein hochdosiertes Präparat zum Einsatz gekommen (Epanova), allerdings enthielt dieses eine Mischung aus EPA (Eicosapentaensäure) und DHA (Docosahexaensäure): „Die Studie wurde wegen Wirkungslosigkeit im Januar 2020 vorzeitig gestoppt“, war in der DAZ zu lesen. 

Angesichts solcher Ergebnisse und der kritisierten Placebo-Wahl in der REDUCE-IT-Studie (Mineralöl, in STRENGTH Maisöl), sowie möglicher Nebenwirkungen von Vazkepa wie Vorhofflimmern kann man nicht gerade behaupten, dass die Zweifel am Nutzen von Vazkepa ausgeräumt wurden. Auch eine Metaanalyse brachte im Juli 2021 schließlich keine echte Klarheit: „Eine klinische Studie mit Vergleich von hoch dosierter Monotherapie mit EPA und hoch dosiertem Gemisch von EPA und DHA würde eine direkte abschließende Bewertung ermöglichen“, erklärte Professor Dietmar Trenk zur Metaanalyse (Universitätsklinikum Freiburg, Universitäts-Herzzentrum Campus Bad Krozingen) in der DAZ 48/2021. Doch Trenk war nicht zuversichtlich, dass solche Studien in Zukunft durchgeführt werden. 

Mittlerweile hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) das Nutzenbewertungsverfahren zum Wirkstoff Icosapent-Ethyl abgeschlossen. Circa 844.000 bis 878.000 Patientinnen und Patienten sollen geschätzt für eine Behandlung entsprechend der Indikation infrage kommen (Zielpopulation in der gesetzlichen Krankenversicherung).

Die genaue Indikation für Vazkepa lautet: 

„Zur Reduzierung des Risikos für kardiovaskuläre Ereignisse bei mit Statinen behandelten erwachsenen Patienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko und erhöhten Triglyceridwerten (≥ 150 mg/dl [≥ 1,7 mmol/l]) sowie:

·       nachgewiesener kardiovaskulärer Erkrankung oder

·       Diabetes und mindestens einem weiteren kardiovaskulären Risikofaktor.“

Als Vergleichstherapie diente dem G-BA eine „Therapie nach ärztlicher Maßgabe unter Berücksichtigung von Statinen und Cholesterinresorptionshemmern“. Dabei wurde für „Icosapent-Ethyl in Kombination mit Statin gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie“ aus Sicht des G-BA kein Zusatznutzen belegt. 

Für die Nutzenbewertung hat der pharmazeutische Unternehmer laut G-BA die randomisierte, doppelblinde, multizentrische Studie REDUCE-IT vorgelegt. Sie untersuchte die Gabe von Icosapent-Ethyl gegenüber Placebo jeweils zusätzlich zu einer Therapie aus Statin und ggf. Ezetimib. Die Studie sei „auch aufgrund ihrer Dauer und Größe mit ca. 8.200 eingeschlossenen Patientinnen und Patienten sowie der Erhebung von patientenrelevanten kardiovaskulären Endpunkten für die Nutzenbewertung berücksichtigt“ worden, heißt es. Allerdings weise die Studie Unsicherheiten auf, die insbesondere fehlende Therapieanpassungsmöglichkeiten während des Studienverlaufs betreffen sollen. Aber auch aus der Verwendung von Mineralöl als Placebo sollen sich weitere Unsicherheiten ergeben. 

„Zusammengenommen führen die Unsicherheiten dazu, dass das Ausmaß der nur geringen positiven Effekte von Icosapent-Ethyl infrage gestellt wird und nicht abschließend beurteilt werden kann“, heißt es in den tragenden Gründen zum Beschluss. 

Wäre eine Therapie-Eskalation besser gewesen?

Unter einer Therapieanpassung versteht der G-BA etwa eine Erhöhung der Statin-Dosis oder eine zusätzliche Gabe von Ezetimib. Dies war im Studienverlauf von REDUCE-IT bei Überschreiten eines LDL-C-Werts von 130 mg/dl (LDL-Cholesterol = LDL-C) in zwei aufeinanderfolgenden Messungen im Abstand von mindestens einer Woche zwar möglich. Vor dem Hintergrund der langen Behandlungsdauer von etwa fünf Jahren entspreche dieses Vorgehen jedoch weder dem Versorgungsstandard noch den Leitlinienempfehlungen für Patientinnen und Patienten mit (sehr) hohem Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse, heißt es. Damit bleibe unklar, ob bei einem Teil der Patientinnen und Patienten eine weitere Therapieeskalation vorgenommen hätte werden können oder müssen. 

Tatsächlich seien die Prüfärztinnen und -ärzte im Studienverlauf gegenüber den LDL-C-Werten der Patientinnen und Patienten verblindet gewesen. Erst bei LDL-C-Werten > 130 mg/dl in zwei aufeinanderfolgenden Messungen erfolgte eine Entblindung der Prüfärztinnen und Prüfärzte hinsichtlich der LDL-C-Werte. „Es bestand dann die Möglichkeit, im Sinne einer Notfalltherapie entweder die Dosis des bestehenden Statins zu erhöhen oder die zusätzliche Gabe von Ezetimib zu erwägen“, heißt es. Laut der aktuellen ESC/EAS Leitlinie sei für Menschen mit hohem und sehr hohem Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen neben einer Gewichtsreduktion und Änderung des Lebensstils die Absenkung des LDL-C-Werts von zentraler Bedeutung für die Reduzierung dieses Risikos. Dabei würden für Patientinnen und Patienten mit hohem Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse LDL-C-Zielwerte < 70 mg/dl bzw. mit sehr hohem Risiko LDL-C-Zielwerte < 55 mg/dl empfohlen. 

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Auch aus der Nationalen Versorgungsleitlinie gehe hervor, dass eine weitere Eskalation mit Ezetimib optional erwogen werden kann, insbesondere wenn keine hohen Statindosen vertragen werden oder wenn die Zielwerte < 70 mg/dl unter der maximal verträglichen Statindosis nicht erreicht werden. 

In der Studie sollen die Patient:innen jedoch schon zu Studienbeginn LDL-C-Werte im Median von 74 bis 75 mg/dl aufgewiesen haben. Diese sollen in jeweils beiden Studienarmen über den Studienverlauf weitgehend unverändert geblieben sein. „Eine weitere Reduktion bis < 70 mg/dl bzw. < 55 mg/dl hätte in der Studie REDUCE-IT beispielsweise noch durch eine Eskalation mit Ezetimib erreicht werden können“, erklärt der G-BA. Daten des pharmazeutischen Unternehmers zeigten, dass der Anteil von Personen mit LDL-C-Werten < 55 mg/dl zu Studienbeginn etwa 13 Prozent betrug.

Beim Stellungnahmeverfahren soll der pharmazeutische Unternehmer dann zwar nach der mündlichen Anhörung weitere Daten zu den Anteilen derjenigen Patientinnen und Patienten der REDUCE-IT Studie vorgelegt haben, die einen LDL-C-Wert 

  • unter 40 mg/dl,
  • über 100 mg/dl (bzw. 100 bis 130 mg/dl) und
  • über 130 mg/dl im Studienverlauf aufweisen.

Die vom pharmazeutischen Unternehmer dargestellten prozentualen Anteile seien jedoch unterschätzt, „da die Beobachtungszeiten in der Studie patientenindividuell unterschiedlich war und die Anzahl der Patientinnen und Patienten unter Risiko bereits ein Jahr nach Randomisierung sowie auch im weiteren Studienverlauf deutlich abnahm“. Den Daten sei zu entnehmen, dass etwa ein Jahr nach Studienbeginn ca. 19 Prozent der Patientinnen und Patienten im Icosapent-Ethyl-Arm und ca. 26 Prozent im Kontrollarm LDL-C-Werte > 100 mg/dl aufwiesen. Diese Anteile sollen im Studienverlauf weitgehend unverändert geblieben sein.

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Damit – „auch wenn davon ausgegangen wird, dass eine maximal tolerierte medikamentöse Therapie nicht für alle Patientinnen und Patienten angezeigt ist“ – geht aus den vorgelegten Unterlagen des pharmazeutischen Unternehmers für den G-BA nicht hervor, inwieweit für die Patientinnen und Patienten die noch bestehenden Therapieoptionen (Eskalation der Statintherapie oder Zugabe von Ezetimib) nicht geeignet oder ausgeschöpft waren. Insgesamt sollen so große Unsicherheiten bestehen bleiben darüber, ob bei einem Teil der Patientinnen und Patienten eine weitere Therapieeskalation vorgenommen hätte werden können oder müssen – insbesondere unter Berücksichtigung der langen Studiendauer, heißt es.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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