Arzneimittel und Therapie

Fischöl ist nicht gleich Fischöl

Wegweisende Studien zu Omega-3-Supplementen mit scheinbar widersprüchlichen Ergebnissen

Nach zahlreichen negativen Berichten zu Omega-3-Fettsäuren in der Kardioprävention schienen die Tage der Supplemente zuletzt gezählt. Nun sind zeitgleich zwei große Studien erschienen: Eine davon lässt das Potenzial der Omega-3-Fettsäuren in neuem Licht erscheinen.

In keinem anderen Bereich wird die Supplementation mit Omega-3-Fettsäuren derartig postuliert wie zur Prävention und ergänzenden Therapie kardiovaskulärer Erkrankungen. Hintergrund sind epidemiologische Studien, die einen protektiven Effekt einer erhöhten Zufuhr an Omega-3-Fettsäuren suggerieren.

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Große Enttäuschung: Handelsübliche Fischölkapseln können nicht überzeugen.

Bislang keine Evidenz in der Kardioprävention

Obwohl die Einnahme von Omega-3-Fettsäure-Supplementen von vielen Fachgesellschaften empfohlen wird, liefert die aktuelle Studienlage hierfür keine Evidenz. Erst vor wenigen Monaten wurde in einem Cochrane-Review mit moderater bis sehr guter Evidenz gezeigt, dass die erhöhte Zufuhr von Omega-3-Fettsäuren aus Fischöl keinen oder einen allenfalls geringen Effekt auf die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität sowie die Gesamtmortalität besitzt [1] (s. DAZ 2018, Nr. 36, S. 23). Bei Diabetikern ohne kardiovaskuläre Erkrankungen sind Omega-3-Fettsäure-Supplemente zur Prävention vaskulärer Ereignisse nicht wirksamer als Placebo, wie die Ergebnisse der ASCEND-Studie belegen [2]. Und auch die Anfang 2018 von der Omega-3 Treatment Trialist’s Collaboration publizierte Metaanalyse über die zehn größten randomisiert-kontrollierten Studien mit Omega-3-Fettsäure-Supplementen konnte ­keinerlei Wirksamkeitsnachweis hinsichtlich tödlicher und nicht tödlicher kardiovaskulärer Ereignisse finden [3] (s. DAZ 2018, Nr. 10, S. 28).

Endlich neue Erkenntnisse

Vor diesem Hintergrund haben zwei Studien für großes Aufsehen gesorgt, die zeitgleich im „New England Journal of Medicine“ publiziert wurden und die scheinbar komplett gegensätzliche Ergebnisse liefern: Im Rahmen der VITAL-Studie wurde die Wirksamkeit eines handelsüblichen Fischöl-Supplements (1 g/Tag, mit 460 mg Eicosapentaensäure und 380 mg Docosa­hexaensäure) zur Primärprävention von kardiovaskulären Erkrankungen und Krebs in randomisiertem, placebokontrolliertem Design untersucht [4]. In die Studie eingeschlossen waren 25.871 Männer und Frauen im Alter von mindestens 50 bzw. 55 Jahren. Primärer Endpunkt waren schwere kardiovaskuläre Ereignisse (Herzinfarkt, Schlaganfall oder kardiovaskulärer Tod) sowie invasive Krebserkrankungen.

Kein Nutzen in VITAL

Während einer medianen Beobachtungszeit von 5,3 Jahren kam es bei 386 (3,0%) Teilnehmern der Fischöl-Gruppe und bei 419 (3,3%) Teilnehmern der Placebo-Gruppe zu schweren kardiovaskulären Ereignissen (Hazard Ratio [HR] 0,92; 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,8 bis 1,06; p = 0,24). Die Diagnose einer invasiven Krebserkrankung wurde bei 820 (6,3%) Teilnehmern der Fischöl-Gruppe und 797 (6,2%) Teilnehmern der Placebo-Gruppe gestellt (HR 1,03; 95%-KI 0,93 bis 1,13; p = 0,56). Damit gab es zwischen beiden Gruppen keinen signifikanten Unterschied hinsichtlich kardiovaskulärer Ereignisse und Krebsinzidenz; auch die Gesamtsterblichkeit zwischen beiden Gruppen unterschied sich nicht.

Die Ergebnisse der VITAL-Studie zeigen, dass die primärpräventive Anwendung von üblich dosierten Fischölkapseln ohne signifikanten Effekt auf die kardiovaskuläre, Krebs- und Gesamtmortalität ist.

Was VITAL sonst noch zeigte ...

Die VITAL-Studie untersuchte nicht nur den Effekt von Omega-3-Fettsäuren, sondern anhand eines 2 × 2-faktoriellen Studiendesigns auch die Gabe von Vitamin D3 in einer Dosierung von 2000 Einheiten pro Tag. Von knapp 13.000 Studienteilnehmern, bei denen Vitamin D3 – mit oder ohne Omega-3-Fett­säuren – supplementiert wurde, entwickelten 793 (6,1%) Studienteilnehmer eine invasive Krebserkrankung. In der Placebo-Gruppe waren es 824 (6,4%) Probanden (HR 0,96; 95%-KI 0,88 bis 1,06; p = 0,47). Zwischen den Gruppen war somit kein Unterschied zu erkennen. Auch auf schwere kardiovaskuläre Ereignisse hatte die Vit­amin-D3-Gabe keinerlei Einfluss: Unter Vitamin D3 erlitten 396 (3,1%) Probanden ein Ereignis, unter Placebo trat der Endpunkt bei 409 (3,2%) Teilnehmern ein (HR 0,97; 95%-KI, 0,85 bis 1,12; p = 0,69).

Positiver Effekt in REDUCE-IT

Dem scheinen die Ergebnisse der REDUCE-IT-Studie zu widersprechen: In dieser Studie wurde die Wirksamkeit eines chemisch modifizierten Omega-3-Fettsäure-Supplements (Eicosapentaensäure-Ethylester) in sehr hoher Dosierung (4 g/Tag) zur Sekundärprävention bei Patienten mit manifester kardiovaskulärer Erkrankung oder Diabetes sowie Fettstoffwechselstörungen untersucht, auch hier in randomisiertem, placebokon­trolliertem Design [5]. In die Studie eingeschlossen waren 8179 Männer und Frauen älter als 45 Jahre (bei bestehender Herz-Kreislauf-Erkrankung) bzw. 50 Jahre (bei Diabetes und mindestens einem weiteren Risikofaktor). Primärer Endpunkt war ein Komposit-Endpunkt aus nichttödlichem Herzinfarkt oder Schlaganfall, instabiler Angina pectoris, koronarer Revaskularisierung oder kardiovaskulärem Tod.

Während einer medianen Beobachtungszeit von 4,9 Jahren trat der primäre Endpunkt bei 705 (17,2%) Patienten der Interventionsgruppe und bei 901 (22%) Patienten der Placebo-Gruppe auf (HR 0,75; 95%-KI 0,68 bis 0,83; p < 0,001). Daten für die Gesamtmortalität wurden nicht publiziert.

Die Ergebnisse der REDUCE-IT-Studie zeigen, dass die sekundärpräventive Anwendung eines hochdosierten Eicosapentaensäure-Ethylesters schwere kardiovaskuläre Ereignisse einschließlich des kardiovaskulären Todes bei Risikopatienten signifikant reduzieren kann.

Was heißt das für die Praxis?

Die Ergebnisse der VITAL- und der REDUCE-IT-Studie sind nur auf den ersten Blick widersprüchlich: Während die Daten der VITAL-Studie einmal mehr die Unwirksamkeit der üblichen Anwendung von Omega-3-Fettsäure-Supplementen widerspiegeln (Primärprävention mit niedrig dosierten, chemisch unveränderten – „natürlichen“ – Omega-3-Fettsäuren), liefern die Daten der REDUCE-IT-Studie Indizien für die Wirksamkeit innovativer Ansätze (Sekundärprävention mit hochdosierten, chemisch modifizierten Omega-3-Fettsäuren). Hier darf nicht der Fehler gemacht werden, die Wirksamkeitshinweise aus der REDUCE-IT-Studie auf die marktüblichen Omega-3-Fettsäure-Supplemente zu übertragen. Deren Empfehlung sollte sich spätestens mit den VITAL-Studiendaten erledigt haben.

Offensichtlich besitzen die Omega-3-­Fettsäuren jedoch ein therapeutisches Potenzial, das mit den bisher verfügbaren Supplementen klinisch noch nicht genutzt werden kann. Neben der Identifizierung prädiktiver Faktoren könnten perspektivisch insbesondere die biochemische Modifizierung der Omega-3-Fettsäuren (wie in Form der Eicosapentaensäure-Ethylester geschehen) und die deutliche Höherdosierung zielführend sein. Die derzeit auf dem Markt befindlichen Fischöl-Supplemente dagegen sind erwiesenermaßen unwirksam. |

Quelle

[1] Abdelhamid AS et al. Polyunsaturated fatty acids for the primary and secondary prevention of cardiovascular disease. Cochrane Database Syst Rev 2018;7:CD012345

[2] Bowman L et al. Effects of Aspirin for Primary Prevention in Persons with Diabetes Mellitus. N Engl J Med 2018; 379(16):1529-1539

[3] Aung T et al. Associations of omega-3 fatty acid supplement use with cardiovascular disease risks. Meta-analysis of 10 trials involving 77 917 individuals. JAMA Cardiol 2018;3(3):225-234

[4] Manson JE et al. Marine n-3 fatty acids and prevention of cardiovascular disease and cancer. N Engl J Med 2018;doi: 10.1056/NEJMoa1811403

[5] Bhatt DL et al. Cardivascular risk reduction with icosapent ethyl for hypertriglyceridemia. N Engl J Med 2018;doi: 10.1056/NEJMoa1812792

Prof. Dr. Martin Smollich, Leiter der Arbeitsgruppe Pharmakonutrition am Institut für Ernährungsmedizin, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck

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