Rund ein Viertel der Apotheken machen mit

Niederlande: Marktplatz verteilt Arzneimittel, bevor sie verfallen

Berlin - 18.03.2022, 07:00 Uhr

Lieke van Kerkhoven hat in Medizin promoviert, dann aber ein Software-Unternehmen mitgegründet und die Plattform Pharmaswap mitentwickelt. (c / Foto: CheeseWorks.nl)

Lieke van Kerkhoven hat in Medizin promoviert, dann aber ein Software-Unternehmen mitgegründet und die Plattform Pharmaswap mitentwickelt. (c / Foto: CheeseWorks.nl)


Viele Arzneimittel gehen kurz vor dem Verfall zurück an den Großhändler und landen im Müll. Das kostet Geld und Ressourcen. In den Niederlanden gibt es eine Lösung. Der digitale Marktplatz Pharmaswap bietet Apotheken an, Arzneimittel auszutauschen, die sonst verfallen würden. Rund ein Viertel der Apotheken des Landes machen mit. Die Idee könnte auch in Deutschland funktionieren.

Lieke van Kerkhoven hätte nicht gedacht, dass sie einmal Co-Founder eines modernen Software-Unternehmens wird. Nach ihrer Promotion im Fach Medizin wollte sie die letzten Praktika absolvieren, um als Ärztin praktizieren zu können. Doch es kam anders.

Sie stieg als Unternehmerin beim Projekt „Floow2“ ein – eine Plattform, die anfangs Firmen ermöglichen sollte, etwa große landwirtschaftliche Maschinen auszutauschen. Das Ziel: Vermeiden, dass mehr produziert wird, als gebraucht wird. Und unterstützen, dass Dinge, die funktionieren, nicht in den Müll wandern. Anders: Kreislaufwirtschaft.

Kann das nicht auch mit Arzneimitteln funktionieren? Diese Frage stellten sich van Kerkhoven und ihr Team bei Floow2.

Einige Apothekenleiter in den Niederlanden waren bereits in WhatsApp-Gruppen organisiert, in denen sie Arzneimittel gegen Geld austauschten, die kurz vor dem Verfall standen. Van Kerkhoven und ihr Team entwickelten die Plattform Pharmaswap, die diesen Prozess automatisierte und strukturierte. Sie lieferten die Infrastruktur, die kontrollierte Lieferung und die Bezahlung in wenigen Klicks. Doch der Start erwies sich nicht als leicht. Denn auch in den Niederlanden dürfen Apotheken ohne Großhandelslizens keine Arzneimittel untereinander verkaufen. Die WhatsApp-Gruppen waren unter Pharmazieräten bekannt, aber „geduldet“.

Pharmaswap findet pragmatische Lösung – dank E-Rezept

Pharmaswap startete daher mit einem geheimen Pilotprojekt, bei dem 20 Apotheken teilnahmen. Nach sechs Monaten hatten die 20 teilnehmenden Apotheken Arzneimittel im Wert von 54.000 Euro vor der Entsorgung bewahrt. Floow2 veröffentlichte die Ergebnisse und erhielt prompt eine Auszeichnung der niederländischen Regierung für das nachhaltige Projekt. Van Kerkhoven und ihr Team jubelten. Aber viele stellten wieder die Frage: Das, was ihr macht, ist doch gar nicht legal? 

Lieke van Kerkhoven ließ sich von Pharmazieräten beraten, um herauszufinden, unter welchen Bedingungen Pharmaswap funktionieren darf. Dabei kam ihr das E-Rezept in den Niederlanden zugute, das Apotheken in wenigen Klicks austauschen können. Und so funktioniert Pharmaswap heute: 

  • Apotheke A hat ein Arzneimittel, das kurz vor dem Verfall steht. Sie bietet es über die Plattform Pharmaswap an.
  • Ein Patient legt in Apotheke B eine elektronische Verordnung über dieses Arzneimittel vor. Apotheke B findet das Arzneimittel von Apotheke A auf Pharmaswap.
  • Apotheke A legt den Preis dafür fest, Apotheke B kann akzeptieren oder ein Gegenangebot vorschlagen. Dann sendet Apotheke B den Schlüssel für das E-Rezept an Apotheke A, welche die Verordnung einlöst.
  • Pharmaswap liefert das Arzneimittel zur Apotheke B, die es an den Patienten abgibt.

Pharmaswap übernimmt auch die Transaktion und behält dabei 10 Prozent des Geldes ein, aber mindestens 15 und maximal 250 Euro.

In 2022 schon rund 300.000 Euro „gerettet“ 

Heute sind rund 555 Apotheken beim Projekt dabei. Das sind etwa ein Viertel aller Apotheken in den Niederlanden. Auch Krankenhausapotheken machen mit sowie acht Großhändler. Sie decken fast den gesamten Markt ab, schätzt van Kerkhoven im Gespräch mit der DAZ. Arzneimittelversender seien nicht dabei, reagiert sie verwundert auf Nachfrage: „Arzneimittelversender spielen in den Niederlanden keine große Rolle.“

2022 scheint das Projekt so richtig ins Rollen gekommen zu sein. Die Unternehmerin van Kerkhoven rechnet vor: Pharmaswap half in den ersten Monaten 2022 so viel Geld durch gerettete Arzneimittel einzusparen wie seit dem Start des Projektes. 620.000 Euro sind es insgesamt, der Wert von über 3.500 Verpackungen. Einen aktuelleren Stand veröffentlich Pharmaswap auf seiner Homepage in Echtzeit.

Nicht alle Arzneimittel werden die Apotheken vor dem Verfall los, die bei Pharmaswap mitmachen. Aber immerhin retten sie etwa 50 Prozent.

Funktioniert das auch mit BTM, kühlpflichtigen Arzneimitteln und Zytos?

Betäubungsmittel kann Pharmaswap nicht liefern. Auch kühlkettenpflichtige Arzneimittel haben die Betreiber bisher gemieden. Aber bald sollen für Pharmaswap Kühltransporter bereitstehen, die ihre Ladung überwachen können.

Pharmaswap begleitet zudem eine Studie: Die Autoren wollen herausfinden, ob das Prinzip auch bei Zytostatika-Zubereitungen anwendbar ist, die schon hergestellt sind, den Patienten aber kurzfristig nicht verabreicht werden können. Aber weil Zubereitungen personalisiert sind, ist es nicht leicht, Patienten zu finden, die Zubereitungen mit exakt gleicher Zusammensetzung benötigen. Das werde besser funktionieren, wenn mehr Zytostatika-herstellende Apotheken teilnehmen, erklärt van Kerkhoven.

Wo es hingeht? Van Kerkhoven möchte einen spürbaren Unterschied für den gesamten holländischen Markt machen und effektiv verhindern, dass Arzneimittel vernichtet werden müssen. Sie denkt auch darüber nach, wie sie ihre Idee in anderen Ländern adaptieren könnte.



Apotheker Marius Penzel
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

Von anderen lernen ? Niemals !

von Dr. Ralf Schabik am 18.03.2022 um 8:32 Uhr

Hahahaha ... der Brüller ! Seit mehr als 15 Jahren fordere ich so eine Tauschbörse in unseren Gremien, und die Liste der Gegen"argumente" wurde länger und länger und länger. Wer etwas bewegen will, sucht Lösungen. Ignoranten verstecken sich hinter Schutzbehauptungen. Und so bin ich sicher, dass auch hier Deutschland zu stolz sein wird, von anderen zu lernen. Lieber lassen wir Jahr für Jahr Millionenwerte verfallen. Worst case sogar Medikamente, die offiziell wieder mal gar nicht lieferfähig sind.

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Von anderen lernen ? Niemals

von Kuenen Michael am 19.03.2022 um 12:28 Uhr

Wir sollten versuchen so ein System , auch in Deutschland zu etablieren. !

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