PGEU-Event

Viele Ideen gegen Arzneimittelrückstände in der Umwelt

Berlin - 23.02.2022, 12:15 Uhr

Am gestrigen Dienstag hatte der Europäische Apothekerverband PGEU zu einem Online-Event eingeladen. (Screenshot: PGEU)

Am gestrigen Dienstag hatte der Europäische Apothekerverband PGEU zu einem Online-Event eingeladen. (Screenshot: PGEU)


In fast jedem Wasserreservoir lassen sich Wirkstoffe aus Arzneimitteln nachweisen, teils mit Folgen für Mensch und Umwelt. Der Europäische Apothekerverband PGEU fragte daher am 22. Februar im Rahmen einer Konferenz unter anderem, wie die Rückstände in die Umwelt gelangen und was Regierungen und Apotheken dagegen tun können. Apotheker aus ganz Europa lieferten gute Ansätze. Die Europäische Union will diese zusammenzuführen, rechnet aber auch mit Widerstand.

Pharmazeutische Abfälle in der Umwelt beeinflussen Ökosysteme. Viele Verbindungen wirken toxisch auf Tiere und Pflanzen, andere beeinflussen die Fortpflanzung. Manchmal schädigt Arzneimittel-Müll auch direkt den Menschen: So begünstigen Antibiotika, die in die Umwelt gelangen, die Bildung multiresistenter Erreger – mit denen sich Menschen später infizieren könnten.

Am 22. Februar startete die Pharmaceutical Group of the European Union (PGEU) eine Konferenz zu Auswirkungen von Arzneimitteln in der Umwelt mit einer Umfrage: Woran liegt es, dass so viele Wirkstoffe in der Umwelt landen? Für die Teilnehmer:innen, größtenteils Pharmazeut:innen, war mangelnde Aufklärung über die Folgen dabei das kleinste Problem. 

„Die meisten Endverbraucher dürften aber weniger gut Bescheid wissen, als Apotheker:innen“, kommentierte Friethjof Laubinger – der Umweltökonom erforscht für die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung), wie Arzneimittel in das Trinkwasser kommen, welche Folgen damit einhergehen und wie man die Verschmutzung vermeiden könnte. „In vielen Ländern gibt es gute Entsorgungsstrategien für Arzneimittel“, erklärte Laubinger, „Aber das Bewusstsein fehlt.“ Seiner Meinung nach sollte die Aufklärung besser werden und über Apotheken leichter zugänglich für Kunden sein – durch Flyer, Poster oder die direkte Beratung.

Wie kommen Arzneimittel in die Umwelt?

Die meisten Arzneimittel gelangen ins Grundwasser, wenn Patient:innen sie nach der Einnahme ausscheiden. Laubinger schätzt, dass zwischen 30 und 90 Prozent der eingenommenen Wirkstoffmenge über Stuhl und Urin im Wasser landen.

Außerdem sammeln sich viele Arzneimittel im Abwasser, die nicht eingenommen und unsachgemäß entsorgt wurden. Denn viele Patient:innen spülen Arzneimittel in der Toilette oder im Ausguss herunter. In Deutschland gaben 2007 ein Drittel der Befragten an, flüssige Arzneimittel auf diesem Weg loszuwerden. Jeder Zehnte entsorgt auch feste Arzneiformen über die Toilette.

Mit dem Abwasser gelangen Arzneimittel dann über Kläranlagen in Trinkwasserreservoirs. Denn die meisten Kläranlagen sind nicht darauf ausgelegt, Arzneimittel herauszufiltern oder zu zersetzen. Das soll sich aber wohl ändern, wie Hans Stielstra, Umwelt-Generaldirektor bei der Europäischen Kommission, beim PGEU-Meeting berichtete: „Die EU wird dafür sorgen, dass bald mehr Kläranlagen Wirkstoffe im Abwasser inaktivieren müssen. Schon im zweiten Quartal 2022 soll Abwasser aus urbanen Gegenden gezielt aufbereitet werden.“

Sein Ziel wäre es, dass für die entstehenden Kosten nicht nur diejenigen bezahlen sollen, die „die Steuern zahlen und das Wasser trinken müssen“ – sondern auch die Arzneimittelhersteller. Er stellt sich aber auf eine schwierige Diskussion in der Europäischen Kommission ein.

Gute Vorstöße zusammentragen

Des Weiteren wird die Europäische Union 2022 mehr Arzneimittel auf ihrer „Watchlist“ ergänzen. Für die Verbindungen auf der Liste müssen die Umweltbehörden der Länder untersuchen, wie viel davon in der Umwelt zu finden ist. Bei Wirkstoffen, die nicht auf der Watchlist stehen, ist dies weitestgehend unklar.

Stielstra und seine Kolleg:innen wollen Verschmutzung durch Arzneimittel zu einem Thema für die Union machen, wie der EU-Politiker auf der Konferenz berichtete. Denn in vielen Ländern hätten Apotheker:innen gute Initiativen geschaffen, die Arzneimittel in der Umwelt zu reduzieren. Es gelte, diese Konzepte auch in anderen Mitgliedstaaten umzusetzen. In Schweden beispielsweise schafften es die Apotheker, dass Diclofenac-Salbe verschreibungspflichtig wird. Denn: Bei der Anwendung gelangt ein Großteil des Wirkstoffes ins Abwasser und schädigt dort Vogel- und Fischarten. Außerdem werden die OTC-Hersteller dazu verpflichtet, mehr Transparenz in ihre Lieferketten zu bringen. Die Niederlande erproben aktuell ein Modell, bei dem zurückgegebene oder kurz vor dem Ablauf stehende Arzneimittel nicht entsorgt werden, sondern zur Wiederverwendung bereitstehen. Das Projekt wird wissenschaftlich evaluiert.

Arzneimüll separat einsammeln

Eine weitere Idee: In vielen Ländern fanden sich Initiativen, die Apotheken helfen, nicht benötigte Arzneimittel separat zu sammeln, um sie zu vernichten. Dies beugt nicht nur der falschen Entsorgung vor, sondern auch Unfällen und Missbrauch. In Portugal unterstützt die pharmazeutische Industrie das Projekt „Valormed“, bei dem Apotheken und Botendienstfahrer abgelaufene oder nicht benötigte Arzneimittel entgegennehmen. Auch in anderen Ländern arbeitet die Industrie mit Apotheken zusammen, so in Finnland, den Niederlanden oder Australien. In Schweden erhalten Kund:innen in der Apotheke Rabatte auf ihren nächsten Einkauf, wenn sie zu entsorgende Arzneimittel mitbringen. In Deutschland hält man es bislang für unnötig, Arzneimittel separat zu entsorgen. Denn der Restmüll wird hier vollständig verbrannt – und damit auch die Wirkstoffe vernichtet, die dort landen; wenn sie dort landen.

Jens Gobrecht, der das ABDA-Büro in Brüssel leitet, sieht hier offenbar auch wenig andere Möglichkeiten, zumindest nicht für die Apotheken: Die Arzneimittelentsorgung zu koordinieren, koste Apotheken eine Menge Kraft, die anderweitig nötig ist, erklärte er. Unterstützung von Arzneimittelherstellern gebe es in Deutschland für solche Projekte nicht.

Mehr Initiative aus Deutschland?

„Wir wären gut, wenn wir das, was andere Länder bereits umgesetzt haben, in Europa verbreiten könnten“, findet Hans Stielstra. Auch die Apothekerin und EU-Parlamentsabgeordnete Jutta Paulus sprach von einem Zusammenschluss der Europäer in der Europäischen Union. Sie ergänzte einen weiteren Punkt: „Als Pharmazeut:innen sind wir verantwortlich, Patienten zu helfen, Arzneimittel richtig und adhärent anzuwenden. Auch das ist elementar, um die negativen Auswirkungen auf die Umwelt zu begrenzen.“

Paulus lobte zudem eine deutsche Initiative: Die Pharmacists for Future. „Diese Leute überlegen: Was kann ich in meiner Apotheke vor Ort tun, um den Planeten zu schonen?“ Die Initiative der Pharmacists for Future wird 2022 die ersten Früchte tragen: Der nächste Deutsche Apothekertag in München soll unter dem Motto „Klimawandel, Pharmazie und Gesundheit“ laufen. Gut möglich, dass Deutschlands Apotheker dann noch mehr Ideen beisteuern werden, die Nebenwirkungen von Arzneimitteln auf die Natur begrenzen.



Apotheker Marius Penzel
redaktion@daz.online


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