Daten aus Israel zeigen doppelten Impfeffekt

Corona-Impfung reduziert auch das Long-COVID-Risiko

Rosenheim - 08.02.2022, 07:00 Uhr

Noch ist die Studienlage nicht ganz eindeutig, aber vieles deutet darauf hin, dass die COVID-19-Impfung auch vor Long-COVID schützt. (Foto: tilialucida / AdobeStock)

Noch ist die Studienlage nicht ganz eindeutig, aber vieles deutet darauf hin, dass die COVID-19-Impfung auch vor Long-COVID schützt. (Foto: tilialucida / AdobeStock)


Bei Long-COVID bleiben Wochen nach der Infektion Symptome wie Kopfschmerzen, Müdigkeit und Kurzatmigkeit bestehen oder treten neu auf. Auch Erkrankte mit mildem oder asymptomatischem Verlauf kann es treffen. Dass eine COVID-19-Impfung nicht nur vor einem schweren Erkrankungsverlauf schützen, sondern auch das Risiko für Long-COVID reduzieren kann, zeigen neue Daten aus Israel.

Wissenschaftler rund um Michael Edelstein der Bar-Ilan Universität Safed in Israel haben untersucht, inwiefern eine COVID-19-Impfung das Auftreten von Post-COVID-Symptomen beeinflusst. Sie fanden heraus, dass nach zweimaliger Immunisierung die meisten Langzeit-Symptome 50 bis 80 Prozent seltener auftreten und veröffentlichten ihre Ergebnisse auf dem Preprint-Server medRxiv.

Für ihre Studie luden sie alle Erwachsene ab 18 Jahren, die sich einem PCR-Test unterzogen, zu einer Online-Befragung ein. Die Teilnahme erfolgte unabhängig vom Ergebnis des PCR-Tests. Die Forscher fragten darin nach den Beschwerden, unter denen Teilnehmer bei der initialen COVID-19-Diagnose litten, sowie welche Symptome gegenwärtig zum Zeitpunkt der Befragung vorlagen. Zusätzlich erhoben sie den Impfstatus, Basisinformationen zur Gesundheit (Body-Mass-Index, chronische Erkrankungen) und soziodemografische Daten wie Alter, Geschlecht, Einkommen und Bildungsstand. Zwischen März 2020 und November 2021 konnten die Wissenschaftler so 951 infizierte und 2.437 nicht-infizierte Teilnehmer für die Studie rekrutieren. Von den Infizierten waren 637 (67 %) geimpft.

35 Prozent der Befragten gaben an, sich nicht vollständig von der Infektion erholt zu haben. Am häufigsten klagten sie über Fatigue (22%), Kopfschmerzen (20%), Schwäche in Armen oder Beinen (13%) und persistierende Muskelschmerzen (10%). Befragt nach sieben der zehn häufigsten Long-COVID-Symptome berichteten Infizierte, die zuvor mindestens zwei Impfdosen des mRNA-Vakzins von Biontech/Pfizer erhalten hatten, 54 bis 82 Prozent seltener über diese Krankheitszeichen. Hatten sie hingegen nur eine Impfdosis erhalten, konnten die Forscher diese Assoziation nicht mehr feststellen. Dies könnte aber darauf zurückzuführen sein, dass es sich meist um eine Auffrischungsimpfung nach bereits vorangegangener Infektion handelte.

Wie gut schützt die Impfung vor Long-COVID?

Da die berichteten Beschwerden von Long-COVID sehr unspezifisch sind, verglichen die Wissenschaftler im zweiten Schritt außerdem die Symptome von geimpften Infizierten gegenüber Patienten ohne vorherige COVID-19-Erkrankung. Interessanterweise konnten sie dabei keinen Unterschied in der Häufigkeit der Beschwerden feststellen. Long-COVID-Symptome traten bei geimpften Infizierten also nicht häufiger auf als bei Personen ohne COVID-19-Anamnese. 

Die Autoren räumen ein, dass die Teststärke leider nicht ausreichte, um Unterschiede je nach Altersklasse festzustellen. Zudem repräsentiert die Kohorte eher milde Verläufe, denn nur wenige Studienteilnehmer mussten im Krankenhaus behandelt werden. Die Ergebnisse lassen sich daher nicht auf schwere Verläufe übertragen. Leider erlauben sie – bedingt durch die Einschlusskriterien – auch keine Aussage über eine mögliche Schutzwirkung der Impfung bei Kindern, bei denen die Impfung vor allem auf die Prävention von Langzeitfolgen abzielt.

Kontroverse Studienlage?

Nichtsdestotrotz macht die Studie Hoffnung. Die Ergebnisse decken sich mit dem Fazit einer Fall-Kontroll-Studie des King‘s College in London, die im Januar 2022 in der Fachzeitschrift „The Lancet“ veröffentlicht wurde: Doppelt Geimpfte litten demnach nur halb so oft an Long-COVID und ihre Beschwerden klangen rascher ab. Wissenschaftler hatten hierfür über eine App Symptome sowie Symptomdauer, Impfstatus und Infektionsverlauf von 1,2 Millionen Smartphone-Nutzern abgefragt und ausgewertet. Wenig überraschend waren dabei ältere Menschen unterrepräsentiert.

Die Universität Oxford konnte in einer weiteren, im November 2021 im Preprint veröffentlichten, retrospektiven Kohorten-Studie mit knapp 10.000 COVID-19-geimpften Menschen hingegen kein selteneres Auftreten von Long-COVID durch die Impfung feststellen. Berücksichtigt wurden hierbei allerdings nur Patienten, die den Arzt oder ein Krankenhaus aufsuchten. Milde Verläufe fielen unter den Tisch.

Hinter den bisher widersprüchlichen Daten stecken also sicherlich die Schwächen, die jede einzelne Studie mit sich bringt. Außerdem sammelten beide ihre Daten im ersten Halbjahr von 2021 – also vor dem Grassieren der Delta- und Omikron-Variante. Das ist deshalb relevant, da sich die neuen Virustypen als deutlich infektiöser entpuppt haben und Infizierte mehr infektiöse Partikel ausatmen. Durch eine höhere Menge an Anfangsviren könnte wiederum das Risiko für Long-COVID steigen.

Wie entsteht Long-COVID?

Die genaue Pathogenese von Long-COVID ist noch immer ungeklärt. Eine Reservoir-Bildung von Viren sowie Autoimmun- und Entzündungsprozesse werden diskutiert. Bereits die S1-Leitlinie von Juli 2021 weist darauf hin, dass die Viren bei einigen Patienten über Monate in verschiedenen Organen wie Leber, Gehirn oder im Fettgewebe persistieren. Das könnte auch eine mögliche Erklärung bieten, wie die Impfung vor Long-COVID schützt: „Wenn eine Impfung hohe Level von Antikörpern und T-Zellen induziert, die SARS-CoV-2 erkennen können, kann das Immunsystem den Virus während seiner ersten Replikationen stoppen, ehe er sich ein verstecktes Reservoir im Körper einrichten kann“, kommentiert Immunologe Akiko Iwasaki (Yale Universität in New Haven, Connecticut) in der Zeitschrift „Nature“. Außerdem ist das Immunsystem durch die Impfung in der Lage, die Viren viel spezifischer zu bekämpfen. Das reduziert das Risiko für einen versehentlichen Angriff auf körpereigene Gewebe, also Autoimmunreaktionen.



Anna Carolin Antropov, Apothekerin
redaktion@daz.online


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