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IQWiG kritisiert Sonderstatus
Orphan Drugs: Keine Ausnahmen mehr beim Zusatznutzen?
Der Zusatznutzen von Orphan Drugs gilt mit der Zulassung als belegt. Das sieht das IQWiG kritisch: Es fordert, dass sich auch Mittel gegen seltene Erkrankungen im Zuge der frühen Nutzenbewertung behaupten müssen, denn vielfach sei die angenommene Überlegenheit nicht belegbar. Der vfa hält dagegen.
Für Orphan Drugs, Arzneimittel gegen seltene Krankheiten, gilt bei der Markteinführung eine Ausnahmeregel: Ein Zusatznutzen gegenüber anderen Therapie-Optionen muss nicht durch entsprechende Daten belegt werden, sondern wird automatisch vorausgesetzt. Das soll die Pharmaindustrie motivieren, auch an solchen Arzneimitteln zu forschen, die nur von wenigen Patienten benötigt werden.
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Nun fordert das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), diese Ausnahmeregelung abzuschaffen. Grund sind Untersuchungsergebnisse des IQWiG, wonach bei mehr als der Hälfte der Orphan Drugs von keinem tatsächlichen Zusatznutzen auszugehen ist.
Das im Jahr 2011 in Kraft getretene Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) sieht bei erstattungsfähigen Arzneimitteln eigentlich eine sogenannte frühe Nutzenbewertung vor. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) bewertet dabei anhand vom Hersteller vorzulegender Daten, welchen Zusatznutzen ein neues Arzneimittel im Vergleich zu einer bereits existierenden, zweckmäßigen Vergleichstherapie hat. An dieser Bewertung orientiert sich auch der Betrag, den die Krankenkassen auf Dauer bei einer Verschreibung erstatten. Die frühe Nutzenbewertung findet normalerweise innerhalb der ersten sechs Monate nach dem Markteintritt statt.
Bei Orphan Drugs müssen hingegen keine speziellen Daten zu einem möglichen Zusatznutzen vorgelegt werden. Dieser wird allein schon wegen der Einstufung als Arzneimittel gegen seltene Krankheiten vorausgesetzt. Auf EU-Ebene werden Arzneimittel als Orphan Drug zugelassen, wenn sie zur Behandlung einer schwerwiegenden oder lebensgefährlichen Krankheit dienen, an der weniger als fünf von 10.000 Menschen in der EU leiden. Eine weitere Bedingung der europäischen Arzneimittelagentur (EMA) ist, dass es entweder noch gar kein zufriedenstellendes Behandlungsverfahren für die Betroffenen gibt oder bei dem neuen Arzneimittel von einem erheblichen Nutzen für die Patienten und Patientinnen ausgegangen wird. Ein zusätzlicher Nutzen im Vergleich zu bereits vorhandenen Therapien muss allerdings auch im EU-Zulassungsverfahren nicht belegt werden.
IQWiG überprüft fiktiven Zusatznutzen bei 41 Arzneimitteln
Wurde einem neuen Orphan Drug die EU-Zulassung erteilt, kann der G-BA oft nur anhand der Zulassungsdaten der Hersteller abschätzen, wie hoch deren Zusatznutzen sein könnte. Wenn er keine Belege für einen Zusatznutzen findet, muss er dem Wirkstoff trotzdem einen vorhandenen, aber „nicht quantifizierbaren“ Zusatznutzen bescheinigen und die Hersteller können entsprechende Preise verlangen. Das IQWiG spricht hierbei auch von einem „fiktiven“ Zusatznutzen, oder dem „Privileg des Zusatznutzen“, der den Orphan-Drugs pauschal zugeschrieben wird. Erst wenn der Jahresumsatz eines solchen Arzneimittels 50 Millionen Euro übersteigt, müssen Orphan Drugs dennoch das reguläre Nutzenbewertungsverfahren des G-BA durchlaufen.
Das IQWiG hatte nun die Bewertungen all jener 41 Arzneimittel überprüft, die seit 2011 als Orphan Drugs auf den Markt kamen, später aber doch noch das reguläre Bewertungsverfahren zum Zusatznutzen durchliefen, weil die Schwelle beim Jahresumsatz überschritten wurde.
Zusatznutzen in der Hälfte der Fälle nicht nachweisbar
Im regulären Verfahren, in welchem den Orphan Drugs eine zweckmäßige Vergleichstherapie gegenübergestellt wurde, stellte sich ein Zusatznutzen in mehr als der Hälfte der Fälle (54 Prozent) als nicht belegbar heraus. In weniger als einem Viertel der Fälle wurde ein erheblicher oder beträchtlicher Nutzen festgestellt, in der restlichen Zahl der Fälle ein geringer oder nicht quantifizierbarer Zusatznutzen.
Die Tatsache, dass in den meisten Fällen kein Zusatznutzen gefunden wurde, ist für das IQWiG ein klarer Missstand. Dies habe „Folgen für die Qualität der Patientenversorgung“, wird Thomas Kaiser, Leiter des IQWiG-Ressorts Arzneimittelbewertung, in der Mitteilung des Instituts zitiert. Neue Arzneimittel würden in solchen Fällen „ohne Datengrundlage bevorzugt eingesetzt“. Patientinnen und Patienten hätten dann viel Hoffnung in ein neues Arzneimittel gesetzt, für das erst Jahre später klar werde, dass es gar keinen Nachweis einer Überlegenheit gegenüber den vorhandenen Therapieoptionen gebe. „Ein wesentliches Ziel des AMNOG, nämlich die Spreu vom Weizen zu trennen, wird so bei den Orphan Drugs nicht erreicht“, so Kaiser. Das IQWiG fordert nun, dass Orphan Drugs künftig schon bei Markteintritt das Verfahren der regulären frühen Nutzenbewertung durchlaufen sollen, wie andere Arzneimittel auch.
Vfa: Kein Grund für Regeländerungen
Der Verband forschender Pharmaunternehmen (vfa) wehrt sich gegen den IQWiG-Vorstoß. Das Institut habe „nicht die Aufgabe, das AMNOG neu aufzustellen“, so vfa-Präsident Han Steutel gegenüber der DAZ. Es gebe „keinen Grund, die gegenwärtige Regelungssituation von Orphan Drugs zu verändern“.
Aufgrund der Seltenheit der Erkrankungen seien klinische Studien oft nicht im gleichen Umfang möglich, wie bei anderen Krankheiten, so Steutel. Das AMNOG sei „in seiner methodischen Praxis“ auf häufigere Krankheiten mit größeren Datenmengen ausgerichtet. Es ergebe daher „keinen Sinn, wie vom IQWiG gewünscht, Orphan Drugs komplett dem AMNOG zu unterwerfen“. Eine Abschaffung der Orphan Drug-Regelung würde Arzneimittel gegen seltene Erkrankungen „ausbremsen“. Patientinnen und Patienten, die auf neue Therapieoptionen warten, seien die Leidtragenden.
Eine frühe Nutzenbewertung würde aber wohl nicht für alle Orphan Drugs bedeuten, dass diese schlechter bezahlt werden. Wird ein Zusatznutzen durch den G-BA regulär anerkannt, könnte das bei der Erstattung auch von Vorteil sein. Bei den Arzneimitteln, wo das nicht geschieht, würde das IQWiG jedoch tatsächlich gerne die Kosten drücken. Orphan Drugs für sehr spezielle Krebsarten seien „wesentliche Kostentreiber in der gesetzlichen Krankenversicherung“, heißt es in der IQWiG-Mitteilung. Das Institut verweist hierbei auf den „Arzneimittel-Kompass 2021“ des Wissenschaftlichen Instituts der AOK. „Für Orphan Drugs mit einem echten Fortschritt für die Patientenversorgung mögen die hohen Preise berechtigt sein – für jene ohne Zusatznutzen aber nicht“, so das Institut.
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