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Interview Teil 2
Hih-Chef Debatin: Ein Testlauf mit 42 E-Rezepten ist zu wenig
Im zweiten Teil des DAZ-Interviews spricht der Vorsitzende des sich zum Jahreswechsel auflösenden Health Innovation Hubs (hih), Jörg Debatin, über die bevorstehende Einführung des E-Rezepts. Er rät, jetzt nichts zu erzwingen, ein sicherer Start könnte im Sommer möglich sein. Dass die digitale Transformation letztlich zum Erfolg führen wird, ist aus seiner Sicht klar – der entscheidende Druck wird von den Patienten ausgehen.
Interview Teil 1
Hih-Chef Debatin: „Für die Apotheker ist richtig viel drin“
DAZ: In Kürze steht die Einführung des E-Rezepts an. Es droht holprig zu werden, die Gesellschafter der Gematik protestieren bereits und fordern eine Verlängerung der Testphase. Wie beurteilen Sie die Lage: Ist das Gesundheitswesen E-Rezept-ready?
Debatin: Ich habe Medizin studiert und da ist die oberste Prämisse, den Patienten nicht zu gefährden. Für ein Land, in dem Ärzte jährlich 800 Millionen Rezepte ausstellen, sind die 42 Testverordnungen, die bisher den gesamten Prozess durchlaufen haben sollen, vollkommen indiskutabel. Da reicht es auch nicht, wenn man eine oder zwei Nullen dranhängt, da muss man viel breiter antreten. Insofern sollte jetzt nichts erzwungen werden. Dass die KBV ein einjähriges Moratorium fordert, halte ich allerdings auch nicht für richtig. Vielmehr sollten jetzt die nächsten zwei Quartale sinnvoll genutzt werden, damit das E-Rezept dann spätestens im Sommer kommt. Momentan liegt viel an der Industrie, da sollten übrigens auch die Leistungserbringer einen gewissen Druck erzeugen.
Ist das auch das Resultat mangelhafter Kommunikation? Es ist der Gematik ja ganz offenbar nicht gelungen, die Leistungserbringer auf breiter Front mitzunehmen.
Es ist natürlich wichtig, den Nutzen in den Vordergrund zu stellen, wenn man so tiefgreifende Veränderungen plant. Dabei liegt es doch auf der Hand, dass es sinnvoll wäre, mit einem Mausklick eine Übersicht über alle dispensierten Medikamente eines Patienten zu haben, sowohl für den Arzt als auch für den Apotheker. Eigentlich müsste man doch fragen, weshalb es sowas heute noch nicht gibt. Die Gematik durfte aber bis vor drei Jahren gar nicht kommunizieren, das war vonseiten der Gesellschafter nicht erwünscht. So eine Kultur kann man nicht auf Knopfdruck drehen. Wir tendieren ja dazu, aus dem Hier und Heute unsere Urteile zu fällen. Ganz fair ist das aber oft nicht, so auch in diesem Fall. Nein, es reicht nicht, was die Gematik derzeit an Kommunikation betreibt. Aber man muss bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Gematik auch die Vorgeschichte berücksichtigen. Und da liegt die Verantwortung auch bei den Alt-Gesellschaftern.
Patienten wollen sich für Rezeptverlängerung nicht ins Wartezimmer setzen
Sie haben ja viel Erfahrung in Sachen Digitalisierung, immerhin waren sie maßgeblich an der digitalen Transformation der Uniklinik in Hamburg-Eppendorf beteiligt. Gab es damals auch solche Widerstände gegen die Neuerungen?
Ja, das waren die härtesten drei Monate meines Berufslebens. Mit der konsequenten Einführung eines Krankenhaus-Informationssystems verändern Sie die Grundlagen des medizinischen Tuns, wir sprechen hier über eine wirklich elementare Umstellung. Dass von so viel Veränderung nicht alle auf Anhieb begeistert waren, liegt in der Natur der Sache. Es gab einen Chefarzt, der es weder gut mit mir noch der Digitalisierung meinte. Um das Projekt zu Fall zu bringen, veranlasste eine Abstimmung unter seinen Ärzten, ob sie das Krankenhausinformationssystem (KIS) behalten wollten oder nicht – und sehr zu seiner wie auch meiner Überraschung sprach sich die Mehrheit dafür aus, es zu behalten. Das Problembewusstsein der Assistenzärzte ist halt ein anderes als das eines Chefarztes: Wenn der Chefarzt zur Visite kommt, ist alles vorbereitet. Der Assistenzarzt hat den gesamten Tag damit verbracht, alle Unterlagen zusammenzusuchen. Wenn das plötzlich alles elektronisch geht und er die Zeit nicht mehr verschwenden muss, wird der Nutzen eines solchen Systems unmittelbar erlebbar.
Was muss passieren, damit die digitale Transformation zum Erfolg wird?
Das wird sich von ganz allein ergeben, denn die Patienten fordern die Digitalisierung mehr und mehr ein. Die Wenigsten haben Lust, für eine Rezeptverlängerung einen Termin in der Praxis zu machen und sich ins Wartezimmer zu setzen. Wenn Sie als Gynäkologe keine Online-Sprechstunden mit elektronischer Terminvergabe anbieten, in der beispielsweise Frauen unkompliziert ein neues Pillenrezept bekommen können, werden Ihnen die Patientinnen auf Dauer verloren gehen. Viele potenzielle Nutzer haben verstanden, wie ihnen E-Rezept, ePA und elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung das Leben erleichtern können. Auf Dauer wird es niemand mehr akzeptieren, dass Laborwerte doppelt erhoben werden, weil die Kommunikation zwischen den Leistungserbringern nicht funktioniert. Diesen Druck brauchen wir.
Die Telematikinfrastruktur in ihrer aktuellen Form kommt recht sperrig daher. Wo sehen Sie Verbesserungsbedarf und kann die von der Gematik entworfene TI 2.0 Abhilfe schaffen?
Die Technologie, die wir derzeit für die TI verwenden, kommt aus dem vergangenen Jahrzehnt. Insofern ist es nicht überraschend, dass das System aus unserer heutigen Perspektive doch recht umständlich wirkt. Wir standen vor der Wahl, mit dem zu starten, was wir haben, oder bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag zu warten, bis wir eine perfekte Lösung bieten können. Dass sich Jens Spahn für Variante eins entschieden hat, halte ich für vollkommen konsequent und richtig, auch wenn die eingesetzte Technologie nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann. Vieles an Fortschritt scheitert momentan an den Schnittstellen. So zum Beispiel das Angebot von Red Medical: Die größte Hürde für die Konnektoren-Lösung dieses Anbieters ist offenbar die Anbindung an das Warenwirtschaftssystem der Apotheke. Wir brauchen solche Innovatoren in jeder Ausbaustufe der TI. Und natürlich müssen wir weg von der Hardware und hin zu einer Software-basierten Struktur. Nur damit werden wir in Zukunft flexibel auf Innovationen reagieren können.
„Wenn sie es geschickt anstellen, wird die Bindung zwischen Patienten und Apotheke durch digitale Instrumente sogar gestärkt.“
Bleiben wir bei den Schnittstellen: Für das E-Rezept ist eine Schnittstellen-Verordnung aus dem BMG angekündigt, auf die die Fachwelt jetzt schon rund ein Jahr wartet. Warum dauert das so lange?
Ich kann mir vorstellen, dass es diesbezüglich viele unterschiedliche Interessenlagen gibt, etwa von Präsenzapothekern und Arzneimittelversendern. Möglicherweise trägt das nicht gerade zur Beschleunigung bei, aber das ist rein spekulativ. Fest steht: Wir brauchen diese Verordnung, damit alle Klarheit darüber haben, wie es im Hintergrund funktionieren soll.
Haben Sie das Gefühl, dass die Versender gegenüber den Präsenzapotheken Vorteile genießen bei solchen Entscheidungen?
Nein, das kann ich nicht erkennen. Es sei denn, Sie legen es so aus, dass das Fortschreiten der Digitalisierung natürlich denjenigen hilft, deren Existenz eng mit digitaler Präsenz verknüpft ist. Ich glaube eher, dass die Apotheken vor Ort eine große Chance bekommen, sich mit den neuen digitalen Werkzeugen, die ihnen schon bald zur Verfügung stehen werden, stärker noch als Heilberufler profilieren zu können als bisher. Das setzt allerdings voraus, dass die Apotheken sich diesen neuen Möglichkeiten öffnen und aktiv werden. Das geht nicht von allein, mitunter kann diese Neupositionierung mühsam sein. Wenn sie es geschickt anstellen, wird die Bindung zwischen Patienten und Apotheke durch digitale Instrumente sogar gestärkt. Und das ist doch entscheidend dafür, wohin die Leute ihr Rezept senden. Klar ist aber auch: Wir machen das alles nicht für die Ärzte oder die Apotheker. Im Zentrum der digitalen Transformation unserer Gesundheitsversorgung steht der Patient, ihm muss es dienen.
Herr Debatin, vielen Dank für das Gespräch!
Nach seinem Medizinstudium in Heidelberg verfolgte Jörg Debatin eine Radiologie-Karriere mit Stationen in Duke, Stanford und Zürich. 1998 wurde er auf den Lehrstuhl für Diagnostische Radiologie am Universitätsklinikum in Essen berufen. Ende 2003 wechselte er als Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender an das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. In dieser Funktion trug er maßgeblich zur erfolgreichen inhaltlichen und wirtschaftlichen Erneuerung des Hauses bei; auch und vor allem durch die konsequente Digitalisierung des drittgrößten Klinikums in Deutschland, welches seitdem papierfrei arbeitet.2011 übernahm er den Vorstandsvorsitz der amedes Holding AG, mit deren Verkauf er 2014 als Vice-President zu GE Healthcare wechselte. Als Chief Technolgy and Medical Officer verantwortete er die globale Technologie- und Produktentwicklung. Besonderer Schwerpunkt waren die Entwicklung der Potenziale der Digitalisierung und Künstlichen Intelligenz in der Bildgebung. Seit März 2019 leitet er als Chairman den health innovation hub (hih) des Bundesministeriums für Gesundheit in Berlin. (Quelle: hih-2025.de)
1 Kommentar
KBV widersetzt sich BMG
von Thomas B am 20.12.2021 um 14:35 Uhr
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