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Nicht auf Hoffnung setzen
Wissenschaftlerinnen: Omikron ist nicht mehr zu stoppen
Dieser Tage fragt sich vermutlich jeder täglich: „Was gibt es neues zu Omikron?“ Wissenschaftlich gesichert leider nicht viel, und gerade das führt dazu, dass wir uns alle jetzt auf das Worst-Case-Szenario vorbereiten sollten. So sehen das zumindest drei Wissenschaftler:innen, die am heutigen Mittwoch an einem virtuellen Press Briefing des Science Media Centers teilgenommen haben.
Am heutigen Mittwoch standen die drei Forscher:innen Prof. Dr. Sandra Ciesek, Prof. Dr. Christoph Neumann-Haefelin und Prof. Dr. Dirk Brockmann dem Science Media Center Germany (SMC) in einem virtuellen Press Briefing Rede und Antwort zu den neuesten Erkenntnissen hinsichtlich der neuen Coronavirus-Variante Omikron.
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Dass Omikron angesichts seiner zahlreichen Mutationen und rasanten Ausbreitung weltweit Sorgen bereitet, ist hinlänglich bekannt. Umso mehr warten alle auf Ergebnisse aus der Wissenschaft, die einigermaßen gesicherte Vorhersagen zum Verlauf der nächsten COVID-19-Welle mit der Omikron-Variante treffen. Doch die ist weiterhin noch relativ ratlos, schließlich kann sie nur abbilden was ist und nicht in die Zukunft schauen. Weil die Bevölkerung in Südafrika nicht gut mit der in Deutschland zu vergleichen sei (beispielsweise andere Impfquote und jüngere Bevölkerung), wird nun mit Spannung auf Großbritannien und Dänemark geblickt.
Laut Nachrichtenagentur dpa wurden in Dänemark bis vergangenen Montag 3.437 Omikron-Fälle im Land registriert, darunter 268, die per Gesamtgenomsequenzierung bestätigt wurden, und 3.169, die per Varianten-PCR-Test nachgewiesen wurden. Das staatliche Institut SSI geht davon aus, dass Omikron zumindest in der Hauptstadtregion Kopenhagen noch im Laufe dieser Woche zur dominierenden Variante wird. Gleichzeitig rechnet das Institut mit mehr als 10.000 Omikron-Fällen täglich.
Am vergangenen Dienstag berichtete die dpa, dass eine britische Expertin Anzeichen dafür sieht, dass sich die Omikron-Variante des Coronavirus in Großbritannien noch schneller verbreiten könnte als bislang angenommen. Zunächst sei man davon ausgegangen, dass sich die Zahl der Infektionen mit der Variante innerhalb von zwei bis drei Tagen verdoppelt, sagte die medizinische Chef-Beraterin der britischen Gesundheitsbehörde (UKHSA), Susan Hopkins, am Dienstag in London vor einem Parlamentsausschuss. „Es scheint im Moment, als sei diese Wachstumsrate eher noch kürzer als länger.“ Sie sei besorgt darüber, wie viele Menschen sich jeden Tag infizieren, und rechne mit sehr schwierigen Wochen.
Geschwindigkeit überrascht: Verdopplung alle drei bis vier Tage
Schon am vergangenen Montag hatte Richard Neher, Leiter der Forschungsgruppe Evolution von Viren und Bakterien am Biozentrum der Universität Basel (Schweiz), in einem am Montag auf der Webseite der Universität veröffentlichten Interview gesagt: „Im Moment ist Omikron in Europa noch selten. Aber wenn die Entwicklung so weitergeht, wird Omikron in etwa zwei bis vier Wochen in Europa vorherrschend sein. Im Moment sagen uns die Daten aus Dänemark und Großbritannien, dass sich die Anzahl der Ansteckungen mit Omikron etwa alle drei bis vier Tage verdoppelt.“
Von dieser Zahl sprach heute nun auch Prof. Dr. Dirk Brockmann im virtuellen Press Briefing des SMC. Er ist Leiter der Gruppe Forschung an komplexen Systemen am Institut für Theoretische Biologie der Humboldt-Universität zu Berlin und Leiter der Projektgruppe Epidemiologische Modellierung von Infektionskrankheiten am Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin. Laut ihm hat diese Geschwindigkeit alle sehr überrascht. Solch kurze Verdopplungszahlen habe man bisher in der Pandemie nicht gesehen. Er betonte im Verlauf des Gesprächs mehrfach, wie besorgt er auf die Situation blicke – genauso wie Prof. Dr. Sandra Ciesek.
Boostern reicht nicht – man braucht alle Maßnahmen zusammen
Prof. Dr. Sandra Ciesek ist Direktorin des Instituts für medizinische Virologie, am Universitätsklinikum Frankfurt. Am vergangenen Dienstag hatte sie noch auf Twitter geschrieben: „Was für eine irrsinnige Idee in der aktuellen Lage und der aktuellen Gefahr durch Omikron: die Testpflicht abschaffen. Ich hoffe nicht auch in Krankenhäusern oder Alten-/Pflegeheimen?“ Sie betonte nun erneut, dass man auch die Tests weiterhin als eine der verschiedenen „Sicherheitsscheiben“ brauche. Heute twitterte sie schließlich nach dem Online-Gespräch: „Wie reagieren andere Länder - hier UK - auf Omicron? Die Tipps von Nicola Sturgeon (First Minister Scotland) sind auch für uns ratsam.“ Dann listete sie Maßnahmen auf:
- Kontakte reduzieren
- Booster-Impfung
- Testen bevor man ausgeht
- Fenster offen halten / Lüften
- Hände waschen
- Maske tragen
- Homeoffice wenn möglich
Vergangenen Dienstag kritisierte laut dpa die Weltgesundheitsorganisation WHO Corona-Auffrischungsangebote für alle in reichen Ländern, während Millionen Menschen weltweit noch auf ihre erste Impfdosis warten. Es gebe keine Nachweise, dass dies gegen die Omikron-Variante helfen, sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus am Dienstag in Genf. Die WHO sei nicht grundsätzlich gegen Auffrischungen, sagte Tedors. Es gehe aber um Prioritäten. Auch Ciesek sagte nun heute im Presse-Gespräch: „Im Moment habe ich das Gefühl, dass vermittelt wird: Lassen Sie sich boostern und die Welt ist wieder gut. Das ist nicht so.“ Man brauche alle Maßnahmen zusammen, wie sie auf Twitter schrieb: „Was die WHO sagt: Omicron breitet sich mit einer Geschwindigkeit aus, die wir bei keiner vorherigen Variante gesehen haben. Impfstoffe allein werden kein Land aus dieser Krise herausholen. Nicht Impfen statt Masken, Abstand, Lüften oder Händehygiene - sondern alles zusammen.“
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Prof. Dr. Christoph Neumann-Haefelin, der Leiter der Arbeitsgruppe Translationale Virusimmunologie an der Klinik für Innere Medizin II am Universitätsklinikum Freiburg, erklärte anschaulich, dass man durch die Booster-Impfung nun versuche, eine „möglichst hohe Stadtmauer“ gegen das Coronavirus zu errichten. Doch von wirklich neuen Daten zur Wirksamkeit der verschiedenen Impfstoffe und deren Kombinationen hinsichtlich Omikron konnte noch keine:r der drei Expert:innen berichten. Diskussionen über verkürzte Impfabstände wurden währenddessen mit Skepsis beobachtet, angesichts des gestern erkannten Impfstoffmangels in Deutschland: Eine Corona-Impfstoffinventur hat nach Angaben des Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach einen Mangel für das erste Quartal 2022 ergeben. Dies habe viele überrascht. „Mich auch“, sagte der SPD-Politiker am Dienstagabend in den ARD-„Tagesthemen“.
Die Wissenschaftler:innen konnten auch zu Fragen hinsichtlich Hospitalisierung, schwerer Verlauf und Verlauf bei Kindern durch die Omikron-Variante nichts Aussagekräftiges berichten. Die Variante sei dazu einfach noch zu neu. Sicher sei dagegen, dass der beobachtete Immunescape allein, Omikron nicht ansteckender macht, vieles spreche dafür, dass die Variante per se ansteckender ist, erklärte Brockmann. Wann Omikron in Deutschland dominieren wird, könne man noch nicht voraussagen. Die Frage sei dabei, wie stark die Variante bereits in Deutschland zirkuliert.
Lockdown? Nicht zu lange nachdenken!
Auf die konkrete Frage, welche Maßnahmen man in Deutschland nun ergreifen müsse, zeigten sich alle drei Wissenschaftler:innen zunächst sprachlos. Brockmann setzte dann aber zur Erklärung an, dass die jetzige Welle dynamisch mit der 1. Welle vergleichbar sei. Damals sei die Virusvariante jedoch weniger übertragbar gewesen. Deshalb müsse jetzt im Sinne von Maßnahmen ungleich mehr passieren als zu Beginn der Pandemie. Er sei relativ pessimistisch und glaubt nicht, dass man die Welle noch brechen kann. Man könne die Dynamik nur noch entschleunigen. Wie zu Beginn der Pandemie heiße es wieder „Flatten the Curve“. Die Welle sei nicht mehr zu stoppen, nur der Schaden noch eingrenzbar. Ciesek pflichtete ihm bei, man müsse entschleunigen, bis man zu einer echten Einschätzung kommt. Auch Neumann-Haefelin sagte: „Wir haben wenig Spielraum zu experimentieren.“
Auf die Frage, ob man nun über Lockdown nachdenken müsse, sagte Brockmann: „Nachdenken ja, aber nicht so lange.“ Man solle nicht zu sehr auf die Hoffnung setzen, sondern vom Worst Case ausgehen. Als gutes Beispiel für schnelles Handeln nannte Ciesek Dänemark. Außerdem solle jeder einzelne immer wieder prüfen, was er selbst tun kann, und worauf er bis zum Frühjahr / Sommer verzichten könne.
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Bekanntlich berät künftig ein Expertenrat die Bundesregierung in Sachen Corona-Pandemie. Vergangenen Dienstag kam das Gremium zum ersten Mal zusammen. Das SMC wollte von den drei Wissenschaftler:innen schließlich hören, was sie glauben, wie gut die Politik auf diesen hören werde? Während Ciesek die Befürchtung äußerte, die Politik könnte das Gremium nur ausnutzen, um ihre Interessen durchzusetzen, stimmte Neumann-Haefelin etwas optimistischer: Dort solle ja nun eine Empfehlung für den Worst Case erarbeitet werden, um so die Handlungsfähigkeit noch vor Weihnachten zu sichern. Brockmann betonte nochmals, dass man jetzt „antizipatorisch“ handeln müsse und nicht reaktiv. Man nehme seine Zahnbürste ja auch mit in den Urlaub, und kaufe sich nicht erst dort eine. In der Vergangenheit habe man zu langsam reagiert, obwohl es immer wieder hieß, man müsse vor die Welle kommen.
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