EMA-Empfehlungen zum heterologen Impfen

Ob Booster oder Grundimmunisierung – COVID-19-Impfstoffe sind frei kombinierbar

Stuttgart - 10.12.2021, 12:15 Uhr

Besser schnell heterolog boostern oder auf den Wunsch-Impfstoff warten? (c / Foto: IMAGO / Seeliger)

Besser schnell heterolog boostern oder auf den Wunsch-Impfstoff warten? (c / Foto: IMAGO / Seeliger)


Derzeit gibt es in der EU vier zugelassene Impfstoffe gegen COVID-19. Weitere begutachtet die europäische Arzneimittelbehörde bereits. Um den Zugang zur Corona-Impfung so einfach wie möglich zu gestalten, hat sich die Wissenschaft mit der Frage beschäftigt, ob und wie sich die einzelnen Vektor-, mRNA- oder auch zukünftige andere Impfstoffe – in welcher Reihenfolge – miteinander kombinieren lassen. Jetzt gibt es die ersten offiziellen europäischen Empfehlungen zur heterologen Kombination von Vektor- und mRNA-Impfstoffen. 

Durch das Aufkommen der neuen Omikron-Variante und die steigenden Infektionszahlen in Europa durch die Delta-Variante ist der Impfdruck weltweit zuletzt wieder gestiegen. Es gilt, die Impflücken unter den Erwachsenen zu schließen. 

Viele, die zunächst mit einem Vektorimpfstoff und aufgrund der angepassten Empfehlungen in Deutschland (Vektorimpfstoffe nur noch ab 60 Jahren) schließlich mit einem mRNA-Impfstoff gegen COVID-19 grundimmunisiert oder schon geboostert wurden, haben sich wahrscheinlich schon länger gefragt, ob ihnen durch ein solches sogenanntes heterologes Impfschema Nachteile entstanden sein könnten. Schon im Sommer zeichnete sich aber ab, dass eine heterologe Impfserie wahrscheinlich sogar die Immunantwort verstärkt, also vorteilhaft sein könnte. 

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Anlässlich der jetzt neu an Fahrt aufnehmenden Impfkampagne und der Empfehlung, nur noch ab 30 Jahren mit dem mRNA-Impfstoff von Moderna zu impfen, fragen sich viele Menschen wohl erneut, und wahrscheinlich noch mehr als zuvor, ob eine heterologe Impfung vielleicht sogar einer kompletten Dreifachimpfung mit Comirnaty von Biontech vorzuziehen ist?

Eine große Studie zur heterologen Grundimmunisierung

Am vergangenen Mittwoch berichteten Medien über die erste größere randomisierte Studie zu heterologen Impfserien aus Großbritannien, die im Fachjournal „Lancet“ am 6. Dezember veröffentlicht wurde. Daraus lassen sich zwar Aussagen ableiten, welche Kombinationen wahrscheinlich am wirksamsten gegen COVID-19 schützen, es bestehen aber auch noch einige grundsätzliche Unsicherheiten. Dennoch lautet die Botschaft insgesamt, dass heterologes Impfen möglich und verträglich ist.

In der Lancet-Studie ging es zunächst nur um die zweite Dosis der Grundimmunisierung und noch nicht die Boosterimpfung. Darin bekamen Erwachsene ab 50 Jahren, die zuvor eine einfache Dosis des COVID-19-Impfstoffs von AstraZeneca oder Biontech erhalten hatten, als zweite Dosis nach acht bis zwölf Wochen entweder eine 

  • homologe Impfung,
  • eine Moderna-Impfung, oder
  • eine Novavax-Impfung (proteinbasiertes Vakzin, noch nicht zugelassen, aber Antrag eingereicht).

Im Fazit der Studie heißt es, dass die heterologe zweite Dosis mit dem Moderna-Impfstoff, jedoch nicht die mit dem Novavax-Impfstoff, eine vorübergehend stärkere Antikörperantwort auslöste, als die homologe Impfung. Allerdings war dies bei der zellulären Antwort etwas anders: Hier scheint die Kombination aus AstraZeneca und Novavax am vorteilhaftesten zu sein, während die Kombination aus Biontech und Novavax hinsichtlich der zellulären Immunität am schlechtesten abschnitt.

Aus den Ergebnissen der Studie leiten die Autor:innen schließlich lediglich ab, dass mehrere Impfstoffe geeignet sind, um die Grundimmunisierung abzuschließen. So könne eine rasche weltweite Durchimpfung gefördert werden. Besser (irgend)ein zweiter Impfstoff also, als kein zweiter Impfstoff. 

Eine große Studie zu heterologen Auffrischimpfungen

Wie steht es nun aber um die Auffrischungsdosis – in den allermeisten Fällen eine dritte Dosis? Hierzu war bereits vergangene Woche eine Studie – ebenfalls im „Lancet“ – erschienen. Darin waren insgesamt 20 verschiedene Impfstoffkombinationen untersucht worden. Alle Kombinationen sollen am Ende eine ausreichende Immunität erreicht haben, negativ fiel jedoch VLA2001 auf. Erst vor Kurzem hat die EMA mit dem Rolling-Review zu diesem Ganzvirusimpfstoff von Valneva begonnen. 

Die 2.878 Proband:innen der Studie waren über 30 Jahre alt und hatten vor mindestens 70 Tagen die zweite Dosis des COVID-19-Impfstoffs von AstraZeneca oder vor mindestens 84 Tagen die zweite Dosis des Biontech-Impfstoffs erhalten. Keiner hatte eine laborbestätige SARS-CoV-2-Infektion. 

  • Davon erhielt eine Gruppe als dritte Dosis den Novavax-Impfstoff, dessen halbe Dosis, den Astra-Zeneca-Impfstoff oder als Kontrolle einen Impfstoff gegen Meningokokken.
  • Eine zweite Gruppe bekam den Biontech-Impfstoff, VLA2001 von Valneva, eine halbe Dosis von Valneva, den Janssen-Impfstoff oder auch den Meningokokkenimpfstoff als Kontrolle.
  • Eine dritte Gruppe bekam den Impfstoff von Moderna, den Curevac-Impfstoff – der sicher nicht mehr auf den Markt kommen wird –, eine halbe Biontech-Dosis oder wieder die Meningokokkenkontrolle.

Auch hier war am Ende das Gesamtfazit, dass so gut wie jede Impfstoffkombination möglich ist: Alle Impfstoffe in der Studie hätten die Immunreaktion nach der zweifachen AstraZeneca-Impfung verstärkt. Nur nach der zweifachen Biontech-Impfung fiel Valneva negativ auf. Sicherheitsbedenken gab es insgesamt keine. Vier Impfstoffe zeigten jedoch eine erhöhte Nebenwirkungsrate in den ersten sieben Tagen: AstraZeneca nach Biontech, Moderna und Curevac nach AstraZeneca oder Biontech, sowie Janssen nach AstraZeneca oder Biontech.

Zelluläre und Antikörper-Antwort unterscheiden

Insgesamt wird es komplizierter, wenn man sich nicht nur die Antikörperreaktion auf die Impfungen anschaut, sondern auch die zellulären Immunantworten und damit den Langzeitschutz. Hier scheint eine dreimalige AstraZeneca-Impfung keinen Gewinn zu bringen, der Janssen-Impfstoff und mRNA-Impfstoffe als dritte Dosis aber schon – sowohl nach AstraZeneca- als auch nach Biontech-Impfung. Auch in dieser Studie scheint Novavax sich als Booster besser nach AstraZeneca als nach Biontech zu eigenen, während Valneva nach beiden Varianten der Grundimmunisierung innerhalb von 28 Tagen keinen signifikanten Effekt zeigte. 

Weitere Daten nach drei Monaten und einem Jahr werden weiteren Aufschluss über den Langzeitschutz geben müssen. In der Studie zeichnete sich ab, dass neben der halben zugelassenen Booster-Dosis von Moderna auch der Biontech-Impfstoff zur Auffrischimpfung halbiert werden könnte.

Erst Vektor- dann mRNA-Impfstoff – die beste Reihenfolge laut EMA

Doch was bedeuten solche Erkenntnisgewinne aus einzelnen Studien nun für die Impfkampagnen in der Praxis? Vergangenen Dienstag haben sich die europäische Arzneimittelbehörde EMA und die ECDC (European Centre for Disease Prevention and Control) gemeinsam mit Empfehlungen hinsichtlich heterologer Impfschemata gegen COVID-19 an die Öffentlichkeit gewandt. Im Großen und Ganzen können auch danach Impfstoffe sowohl bei der Grundimmunisierung als auch bei der Auffrischimpfung frei kombiniert werden.

Aus der bisherigen Datenlage geht laut EMA hervor, dass die Kombination der zugelassenen Vektorimpfstoffe mit mRNA-Impfstoffen gute Antikörperspiegel und eine stärkere T-Zell-Antwort als homologe Impfungen erzeuge und im Allgemeinen gut vertragen werde. Was die Reihenfolge angeht, gilt die Verwendung eines Vektorimpfstoffs als zweite Dosis zur Grundimmunisierung oder die Verwendung von zwei verschiedenen mRNA-Impfstoffen jedoch als weniger gut untersucht. Die Sicherheitsdaten nach solchen heterologen mRNA-Impfungen werden derzeit untersucht, um festzustellen, ob ein erhöhtes Risiko für Myokarditis besteht, heißt es. Ein Vektorimpfstoff nach mRNA-Impfung soll nur in Betracht gezogen werden, wenn es ein Problem mit der Verfügbarkeit von mRNA-Impfstoffen gibt. Die bisherigen begrenzten Daten deuten an, dass eine solche Reihenfolge aus immunologischer Sicht weniger vorteilhaft ist, erklärt die EMA.

Fachinformationen sollen Hinweise zur heterologen Impfung aufnehmen

Offensichtlich ist der Erkenntnisgewinn noch nicht abgeschlossen. Die EMA rät währenddessen aber vor allem deshalb zu heterologen Impfschemata, um in der Durchimpfung der Bevölkerung die größtmögliche Flexibilität zu bieten, sollte ein Impfstoff nicht verfügbar sein. Es sollen in den nationalen Impfkampagnen so viele Menschen so schnell wie möglich geschützt werden. Die EMA fordert die Zulassungsinhaber in diesem Zusammenhang auf, ihre Produktinformationen um Hinweise hinsichtlich heterologer Impfungen zu ergänzen. Auch wenn die EMA sich bislang nur mit den in der EU zugelassenen Impfstoffen in diesem Zusammenhang auseinandergesetzt hat, sollen auch zukünftig zugelassene Impfstoffe hinsichtlich heterologer Kombinationen beurteilt werden. 

Die Literatur, auf die sich die Empfehlung der EMA und ECDC stützt, soll in naher Zukunft veröffentlicht werden.

Dritte Dosis: Mindestens 3 Monate Abstand zur zweiten Impfung

Wie die EMA außerdem erklärt, sollte eine Auffrischimpfung vorzugsweise sechs Monate nach der Grundimmunisierung erfolgen, es sei aber auch ein Abstand von drei Monaten möglich. Dieser Hinweis könnte angesichts der neuen Omikron-Variante von Interesse sein. Denn wie Biontech am vergangenen Mittwoch mitteilte, ist eine dritte Biontech-Dosis nach ersten vorläufigen Daten für den Schutz vor der Omikron-Variante notwendig. Warum eine dritte Dosis die Antikörperspiegel gegen Omikron ausreichend zu erhöhen scheint, eine zweite Dosis jedoch nicht, wisse man noch nicht, wie Biontech-Chef Ugur Sahin auf Nachfrage der DAZ bei einer Online-Pressekonferenz erklärte. Ein möglicher Grund wäre die sogenannte Affinitätsreifung der Antikörper. 

Es scheint so, als müsse man bei Biontech in Zukunft nicht von einer dritten Dosis als Auffrischimpfung, sondern eher als Abschluss der Grundimmunisierung sprechen. 

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Auch zwei israelische Studien, die im „New England Journal of Medicine“ veröffentlicht wurden, und über welche die Nachrichtenagentur dpa am Donnerstag berichtete, zeigen, dass mit einer Auffrischimpfung das Risiko, an Corona zu sterben, deutlich niedriger ist als ohne Booster. Sollte dennoch ein neuer Impfstoff gegen die Omikron-Variante notwendig werden, wäre Biontech nach eigenen Angaben in der Lage, diesen ab März 2022 kommerziell herzustellen.

Der Impfrat der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt währenddessen weiterhin keine allgemeine Corona-Auffrischimpfung, berichtet die dpa. Es gehe um faire Impfstoffverteilung, sagte der Vorsitzende des unabhängigen Beirats für Immunisierungsfragen (SAGE), Alejandro Cravioto, am Donnerstag in Genf. Bei Menschen mit geschwächtem Immunsystem sei die Lage anders, für sie hat der Rat schon zuvor eine dritte Impfdosis empfohlen.

Grundsätzlich mahnt die EMA, weiterhin alle anderen Maßnahmen wie Abstand halten, Lüften, Hygiene und Masken tragen anzuwenden – und: Impflücken in der erwachsenen Bevölkerung müssten dringend geschlossen werden. 



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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