Ärzte, Apotheker, Krankenhäuser und Zahnärzte

Gematik-Gesellschafter wollen E-Rezept-Start verschieben

Berlin - 01.12.2021, 15:15 Uhr

Die Gematik-Gesellschafter treten beim E-Rezept-Start auf die Bremse. (Quelle: KBV)

Die Gematik-Gesellschafter treten beim E-Rezept-Start auf die Bremse. (Quelle: KBV)


Ist das E-Rezept fit für den Versorgungsalltag? Daran äußern jetzt einige der Gesellschafter der Gematik – darunter der Deutsche Apothekerverband – erhebliche Zweifel. Bisher seien in der Fokusregion lediglich 42 elektronische Verordnungen ausgestellt und abgerechnet worden – viel zu wenig, finden Ärzte, Apotheker, Zahnärzte und Krankenhausvertreter. Sie bitten den Gesetzgeber, das E-Rezept erst ausreichend zu testen, bevor es in die Regelversorgung gelangt. Auch ABDA-Präsidentin Overwiening findet deutliche Worte.

Die Gesellschafter der Gematik begehren auf: Aus ihrer Sicht ist das E-Rezept noch nicht ausreichend erprobt, um als Pflichtanwendung in die Regelversorgung integriert zu werden. Sie appellieren dringend an den Gesetzgeber, die Anwendung „erst nach einer ausreichenden Testphase und erwiesener Praxistauglichkeit für den Regelbetrieb in den Praxen vorzusehen“.

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Nach aktuellem Stand wird die Nutzung des E-Rezepts zum Jahreswechsel Pflicht – zumindest für alle, die technisch dazu in der Lage sind. Der Deutsche Apothekerverband (DAV), die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), die Bundesärztekammer (BÄK), die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV), die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) und die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) halten davon nicht viel. Sie zweifeln an der Aussage der Gematik, die bisherige Testphase sei „erfolgreich“ verlaufen. „Das Gegenteil ist der Fall: Tatsächlich sind die Tests in der Fokusregion Berlin-Brandenburg nicht aussagekräftig“, schreiben die Standesvertretungen in einer gemeinsamen Pressemitteilung.

In der ursprünglichen Testphase sollten demnach sogenannte Mengengerüste, die als Qualitätskriterien dienen, bis Ende September erreicht werden. „Aber selbst nach einer Verlängerung bis Ende November wurden diese noch immer nicht erreicht“, bemängeln Ärzte, Zahnärzte, Apotheker und Krankenhäuser. „So sollten für einen bundesweiten Rollout mindestens 1.000 E-Rezepte ausgestellt und erfolgreich abgerechnet werden – aktuell sind es lediglich 42.“ Zudem sei es nicht gelungen, eine ausreichende Anzahl der teilnehmenden Systeme in den Arzt-, Zahnarztpraxen beziehungsweise Apotheken sowie die Anzahl der teilnehmenden Krankenkassen im Test zu erreichen. Ein Krankenhaus sei an den Tests bisher nicht beteiligt gewesen.

„Ob alle Anwendungen uneingeschränkt funktionieren, ist aufgrund des niedriger ausgefallenen Testvolumens zweifelhaft und daher noch nicht abschließend zu beurteilen“, konstatieren die Gesellschafter. „Täglich werden in Arzt- und Zahnarztpraxen etwa zwei Millionen Rezepte ausgestellt. Fehlerhaft übermittelte E-Rezepte sind nicht nur eine Belastung für Ärzte, Zahnärzte und Apotheken, sie stellen insbesondere eine Gefährdung der Patientensicherheit dar.“

Der durch die Stimmmehrheit des Bundesgesundheitsministeriums herbeigeführte Beschluss der Gematik-Gesellschafterversammlung, das E-Rezept ab dem heutigen 1. Dezember bundesweit in ausgewählten Pilotpraxen und -apotheken der Softwarehersteller zu testen, sei vor diesem Hintergrund „nicht sinnvoll“, halten DAV, KBV, BÄK, KZBV, BZÄK und DKG fest. Der Vorschlag der Leistungserbringer und Kostenträger, die Beendigung der erfolgreichen Testung an transparente Qualitätskriterien anzubinden, die jeder Anbieter zu erfüllen hat, sei abgelehnt worden. Nun stellen die Gesellschafter den Start zum Jahreswechsel infrage: Sie appellieren dringend an den Gesetzgeber, die Anwendung des E-Rezepts erst nach einer ausreichenden Testphase und erwiesener Praxistauglichkeit für den Regelbetrieb in den Praxen vorzusehen.

Das öffentliche Aufbegehren der anderen Gesellschafter ist ein herber Schlag für die mehrheitlich vom Bundesgesundheitsministerium kontrollierte Gematik – wohl aber auch ein Stück weit selbst verschuldet. Sie hatte trotz aller Pannen stets unbeirrt am Starttermin 1. Januar 2022 festgehalten. Gleichzeitig mangelte es an Transparenz: Bisher war nicht einmal klar, wie viele E-Rezepte den gesamten Verordnungs- und Abrechnungsprozess durchlaufen haben. Die Zweifel daran, ob die elektronischen Verschreibungen wirklich schon reif für die Praxis sind, konnte die Gematik nicht zerstreuen.

Auch Overwiening wird angst und bange

Bedenken am Gelingen des Projekts äußert auch ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening. „Das für alle Beteiligten wichtigste Digitalprojekt im Gesundheitswesen aller Zeiten darf nicht verstolpert werden“, sagte sie laut einer Mitteilung der Apothekerkammer Westfalen-Lippe, deren Chefin sie ist. „Wir Apothekerinnen und Apotheker sind startklar für das E-Rezept. Beim Blick auf den ehrgeizigen Zeitplan und den tatsächlichen Umsetzungsfortschritt des Gesamtprojektes wird mir aber angst und bange.“

Seit einer Gesetzesänderung im Mai 2019 hält das BMG 51 Prozent der Stimmanteile an der Gematik, in der seither alle Beschlüsse mit einfacher Mehrheit erfolgen können, erläutert die AKWL. Auf die Leistungserbringer, wie Ärzte- und Apothekerschaft und die Krankenkassen entfallen nur noch 49 Prozent der Stimmen. „Seitdem haben wir mitunter den Eindruck, dass Beschlüsse ohne Bezug zur Praxistauglichkeit und Akzeptanz und mitunter sogar entgegen der Fachlichkeit durchgeboxt werden“, kritisiert Overwiening.

Konkret macht sie das am jüngsten Beschluss der Gematik fest, dass die Apothekerkammern nicht mehr nur eine, sondern bis zu acht sogenannte Institutionenkarten (SMC-B) je Apotheke bzw. Versandapotheke mit unterschiedlichen Telematik-IDs vergeben sollen. „Die Ausstattung der Apotheken mit jeweils einer Karte hat fast 18 Monate in Anspruch genommen.“ Damit jetzt fünf Wochen vor dem Start um die Ecke zu kommen, sei verantwortungslos, für den Projekterfolg eigentlich irrelevant und in der Durchführung und Prüfung für die Apothekerkammern faktisch unmöglich. „Wir bewerten dies als ein Lobbygeschenk an die Versandapotheken, die sich durch diesen Schachzug nicht mehr nur einmal, sondern bis zu achtmal im sogenannten „Verzeichnis-Dienst“ der Telematik-Infrastruktur, also dem digitalen Anbieterverzeichnis und damit letztlich auch per E-Rezept-App der Gematik gegenüber dem Versicherten, präsentieren können.“



Christina Müller, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (cm)
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

Connections!

von Thomas Eper am 01.12.2021 um 17:01 Uhr

Wer steckt mit 51% hinter der Gematik?
Bingo: BMG. Wer war und ist (noch) der Chef des BMG?
-> Hr. Spahn
Vielleicht traut sich mal jemand von der Presse nachzuforschen, warum Hr. Spahn den Start des E-Rp. mit aller Gewalt durchdrücken will und dabei die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung gefährdet!
Hat "Skandal-Potential"!
Eigentlich weiß es inzwischen jeder, aber...

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Connections

von Stefan Siebert am 01.12.2021 um 17:23 Uhr

Wer in heutiger Zeit noch an eine freie Presse glaubt, der glaubt auch noch an den Weihnachtsmann.
Die Verstrickung zwischen Politik, Presse und Wirtschaft sind doch wohl mehr als offensichtlich.

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