Hausärzteverband weiterhin für Priorisierung

Auffrischungsimpfung vor Ende der Sechs-Monats-Frist und ab 18?

Stuttgart - 17.11.2021, 12:15 Uhr

Sind Sie bereit für die Auffrischimpfung? Mittlerweile benachrichtigt die Corona-Warn-App die ersten Nutzerinnen und Nutzer, denen die Ständige Impfkommission (STIKO) eine Auffrischimpfung empfiehlt. (Foto: Игорь Головнёв / AdobeStock)

Sind Sie bereit für die Auffrischimpfung? Mittlerweile benachrichtigt die Corona-Warn-App die ersten Nutzerinnen und Nutzer, denen die Ständige Impfkommission (STIKO) eine Auffrischimpfung empfiehlt. (Foto: Игорь Головнёв / AdobeStock)


Während manche Menschen zum Impfen „getragen“ werden müssen, können es andere kaum abwarten, zum Winterbeginn so schnell wie möglich eine Boosterimpfung zu erhalten. Wann nun wer mit einer Auffrischimpfung rechnen kann, ist jedoch noch nicht ganz klar, denn wieder einmal senden Politik und Expert:innen widersprüchliche Signale.

Viele der bereits zweimal gegen COVID-19 Geimpften dürfte diese Nachricht freuen: Der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission (STIKO), Thomas Mertens, hat eine baldige Ausweitung der Empfehlung für Corona-Auffrischungsimpfungen in Aussicht gestellt. Die STIKO werde am Mittwoch „über die nächste, sozusagen die fortgeschriebene Empfehlung beraten, und das wird nicht lange dauern, und dann wird die jetzt von Ihnen reklamierte Empfehlung auch kommen“, sagte Mertens am Dienstag auf eine entsprechende Frage in der ZDF-Sendung „Markus Lanz“. Bislang empfiehlt das Gremium eine Auffrischungsimpfung unter anderem Menschen ab 70 Jahren. Auf Nachfrage machte Mertens klar, dass die Empfehlung „bis 18“ gesenkt werden könnte.

Schon jetzt rät die STIKO Menschen mit Immunschwäche, Bewohnern von Pflegeeinrichtungen sowie Personal in medizinischen Einrichtungen und Pflegepersonal zum Booster. Vergangene Woche hatte das Gremium in einer Stellungnahme eine „zeitnahe“Aktualisierung seiner Empfehlungen auch mit Blick auf Auffrischungsimpfungen angekündigt. Schon da hieß es, es sei aus immunologischen und infektionsepidemiologischen Gründen sinnvoll, über die bisherige Empfehlung hinaus mittelfristig auch allen anderen eine Auffrischimpfung anzubieten. Dabei solle „so weit wie möglich nach absteigendem Lebensalter vorgegangen werden“.

Nicht die Empfehlungen, die Kapazitäten sind das Problem

Mertens betonte in der ZDF-Sendung, dass im Augenblick nur etwa elf Prozent der über 60-Jährigen eine Booster-Impfung bekommen hätten. In Bezug auf Bekannte und Freunde in seinem Alter sagte Mertens: „Sie haben ihren Impftermin beim Hausarzt für Anfang, Mitte Dezember bekommen. (...) Das ist das Problem, verstehen Sie, und nicht das Problem, jetzt noch zu sagen, alle sollen zum Hausarzt laufen.“ Das Problem seien im Augenblick die Kapazitäten – „die Hausärzte sind stark gefordert im Augenblick“.

Bund und Länder hatten sich bereits vorletzte Woche verständigt, Auffrischungsimpfungen grundsätzlich für alle ermöglichen zu wollen. Sie sind frühestens sechs Monate nach vollständiger Impfung vorgesehen. Auch die Gesundheitsminister der Länder betonten aber in einem Beschluss, dass besonders Ältere, Menschen mit Vorerkrankungen sowie medizinisches und pflegerisches Personal die Booster erhalten sollen.

Brief von Spahn und Gassen: Ärzte sollen flexibel impfen

Vergangenen Dienstag haben allerdings der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und der KBV-Vorstandsvorsitzender Dr. Andreas Gassen (Kassenärztliche Bundesvereinigung) in einem Brief die Vertragsärzt:innen mit Blick auf die steigenden Infektionszahlen gebeten, bei den Auffrischimpfungen, auch zur Vereinfachung der Abläufe, flexibel vorzugehen. Spahn (CDU) spricht sich dafür aus, allen Menschen ab 18 Jahren eine Auffrischungsimpfung gegen das Coronavirus zu ermöglichen – auch wenn die letzte Impfung noch nicht sechs Monate her ist. „Der gemäß Zulassung vorgesehene Abstand von sechs Monaten zur vollständigen Immunisierung bei Personen ab 18 Jahren ist als zeitliche Richtschnur zu verstehen, der natürlich nicht tagesgenau einzuhalten ist“, heißt es in dem Brief.

„Sie können daher jede Patientin und jeden Patienten ab 18 Jahren, auch wenn sie nicht zu den Risikogruppen gemäß der aktuellen STIKO-Empfehlung wie ältere Personen, Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeeinrichtungen sowie medizinisches und pflegerisches Personal gehören, zeitnah und auch vor Ablauf der sechs Monate im eigenen Ermessen impfen“, teilten Spahn und Gassen mit.

Man kann nicht alle gleichzeitig impfen

Der Deutsche Hausärzteverband lehnt Auffrischungsimpfungen für alle Interessierten zum jetzigen Zeitpunkt jedoch ab. Zuerst müssten die vulnerablen Gruppen wie Menschen über 70 Jahre und chronisch Kranke die sogenannte Booster-Impfung erhalten, sagte der Verbandschef Ulrich Weigeldt der „Rheinischen Post“ (Mittwoch). „Diskussionen darüber, die ganze Bevölkerung quasi gleichzeitig ein drittes Mal zu impfen, helfen in der Impfkampagne nicht weiter.“ Denn jüngere und gesündere Menschen seien in der Regel auch sechs Monate nach der zweiten Impfung gut geschützt und könnten gegebenenfalls auch ohne Probleme etwas später die Booster-Impfung bekommen.

„Die Hektik durch eine desolate Krisenkommunikation, die auch durch die geschäftsführende Bundesregierung fortgesetzt wurde, führt nur zu unnötigem Stress in den hausärztlichen Praxen und trägt zumindest nicht zu Beschleunigung der Impfkampagne bei“, sagte Weigeldt.

Auch der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, sagte, bei den Auffrischungsimpfungen müsse eine Vorrangprüfung für bestimmte Bevölkerungsgruppen in Betracht gezogen werden, ähnlich wie zu Beginn der Impfkampagne. Es sei nun „Auftrag der Ministerpräsidentenkonferenz, für ein geordnetes Booster-Verfahren zu sorgen“, sagte Brysch den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Mittwoch).

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Spahn erwartet nun von der anstehenden Bund-Länder-Runde klare Signale für eine schnelle Eindämmung der bedrohlichen Corona-Welle. Gebraucht werde „ein Weckruf, um ein pandemiemüdes Deutschland wieder ein Stück wachzurütteln“, sagte der CDU-Politiker beim „Wirtschaftsgipfel“ der „Süddeutschen Zeitung“ am Mittwoch in Berlin.

In den Beratungen der geschäftsführenden Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Ministerpräsidenten an diesem Donnerstag sollte unter anderem ein einheitliches Vorgehen abgestimmt werden, ab wann und unter welchen Bedingungen Zugangsregeln nur für Geimpfte und Genesene (2G) greifen sollen – oder auch 2G plus, wobei Geimpfte und Genesene zusätzlich noch einen negativen Test vorlegen müssen. Spahn machte deutlich, dass die von SPD, FDP und Grünen geplanten Neuregelungen für Corona-Maßnahmen richtigerweise ergänzt worden seien. Wichtig sei, die Welle nun kurzfristig zu brechen und nicht erst in drei Wochen. Die voraussichtlichen Regierungspartner planen unter anderem die 3G-Regel mit Zugang nur für Geimpfte, Genesene und Getestete am Arbeitsplatz und weitergehende Möglichkeiten der Länder für Auflagen. Die Gesetzesänderungen sollen am Donnerstag im Bundestag beschlossen werden.

Spahn sagte, von Bund und Ländern zu besprechen seien auch mehr öffentliche Angebote für Auffrischungsimpfungen auf breiter Front in der Regel etwa sechs Monate nach der vollständigen Impfung. Dies müsse nicht auf den Tag genau gelten – heiße aber auch nicht, nach zwei Monaten schon eine Impf-Verstärkung zu bekommen.

Hoffnung durch Boostern – sinkende Inzidenz bis Weihnachten?

Jedenfalls gibt das Boostern für diesen Corona-Winter noch ein wenig Hoffnung. Denn Auffrischungsimpfungen auf breiter Front können nach Ansicht eines Berliner Corona-Modellierers den Trend der stark steigenden Corona-Zahlen umkehren: „Wir sehen in den Simulationen deutlich infektionsreduzierende Effekte, sobald circa 30 Prozent der Bevölkerung den Booster erhalten haben“, sagte Kai Nagel von der Technischen Universität Berlin den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Voraussetzung dafür sei, entsprechende Impfkapazitäten zu schaffen. „Optimalerweise würden wir wieder, wie im Sommer, mindestens ein Prozent der Bevölkerung pro Tag mit dem Booster impfen. Wenn wir diese 30 Prozent deutlich vor Weihnachten schaffen, dann bestehen Aussichten auf sinkende Inzidenzen zu Weihnachten.“ Bislang haben in Deutschland rund fünf Prozent der Menschen eine Auffrischungsimpfung erhalten.

In eine ähnliche Kerbe wie Nagel schlägt Christian Karagiannidis, Leiter des Intensivregisters der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi). Eine Million Auffrischimpfungen pro Tag wären nötig, um die Ausbreitung des Virus deutlich zu reduzieren, sagte Karagiannidis im am Dienstagabend ausgestrahlten NDR-Podcast „Das Coronavirus-Update“. „Davon sind wir im Moment weit entfernt.“ Einen Effekt der Booster-Impfungen könne man aber frühestens in vier Wochen erwarten. Er gehe davon aus, dass die vierte Welle erst im Frühjahr nächsten Jahres auslaufen werde.

Übrigens benachrichtigt mittlerweile die Corona-Warn-App die ersten Nutzerinnen und Nutzer, denen die Ständige Impfkommission (STIKO) eine Auffrischimpfung empfiehlt. Wie es heißt, müssen Nutzerinnen und Nutzer „lediglich mindestens Version 2.10 der Corona-Warn-App nutzen, um benachrichtigt werden zu können“.



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