Corona-Impfnachweis

Fälschungsverdacht: Darf man als Apotheker Anzeige erstatten?

29.10.2021, 17:50 Uhr

Die Anwälte Ilva Schiessel und Morton Douglas erklären, dass die Schweigepflicht der Apotheker grundsätzklich verletzt sein  könne, wenn die Umstände zur Impfzertifikaterstellung an Dritte weitergegeben werden – unabhängig davon, ob die Impfdokumentation richtig oder falsch ist. (Foto: IMAGO / Shotshop)

Die Anwälte Ilva Schiessel und Morton Douglas erklären, dass die Schweigepflicht der Apotheker grundsätzklich verletzt sein  könne, wenn die Umstände zur Impfzertifikaterstellung an Dritte weitergegeben werden – unabhängig davon, ob die Impfdokumentation richtig oder falsch ist. (Foto: IMAGO / Shotshop)


Impfnachweisfälschungen sind derzeit ein großes Thema – schließlich ist der Nachweis über eine abgeschlossene Coronaimpfserie erforderlich, um unkompliziert am öffentlichen Leben teilzunehmen. Neben falschen digitalen Zertifikaten, die im Internet angeboten werden, schlagen auch immer wieder Menschen mit mutmaßlich gefälschten Impfpässen in den Apotheken auf, um sich diese digitalisieren zu lassen. Aber was darf man im Verdachtsfall als Apotheke überhaupt tun?

Apotheken sind angehalten, bei der Digitalisierung der Impfnachweise die vorgelegten Dokumente sorgfältig auf Plausibilität zu prüfen. Darauf wird im ABDA-Leitfaden hingewiesen, und eigentlich ist es ja auch selbstverständlich. Besteht der Verdacht, dass der vorgelegte Impfnachweis gefälscht ist, muss die Apotheke die Digitalisierung verweigern. Besteht der Verdacht einer Straftat, darf zumindest nach Ansicht einiger Apothekerkammern nicht so ohne weiteres Anzeige bei der Polizei erstattet werden. Dazu bedürfe es einer Entbindung von der Schweigepflicht durch die Person, die das mutmaßlich gefälschte Dokument vorgelegt hat, erklärt beispielsweise die Apothekerkammer aus Baden-Württemberg ihren Mitgliedern. Und auch für die naheliegende Rückfrage beim Arzt, braucht man zumindest nach Ansicht der Sächsischen Landesapothekerkammer die Einwilligung des Patienten.

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Diese Standpunkte teilen allerdings nicht alle Juristen. So erklären die Anwälte Ilva Schiessel und Morton Douglas von der Freiburger Kanzlei Friedrich Graf von Westfalen auf Nachfrage der DAZ, dass zwar grundsätzlich der Tatbestand einer Schweigepflichtverletzung erfüllt sein könne, wenn die Umstände zur Impfzertifikaterstellung an Dritte weitergegeben werden – dabei spielt es übrigens auch keine Rolle, ob die Impfdokumentation richtig oder falsch ist. 

„Zum Schutz der Allgemeinheit ist es sinnvoll, bei begründetem Verdacht Maßnahmen einzuleiten“

Bei Impfpass- oder Impfdokumentationsfälschungen sehen die beiden Freiburger Juristen die Thematik der Strafanzeige jedoch nicht so kritisch. Vielmehr halten sie es zum Schutz der Allgemeinheit für sinnvoll, bei begründetem Verdacht des Vorliegens einer Fälschung, entsprechende Maßnahmen einzuleiten.

Ilva Schiessel und Morton Douglas begründen ihre Sichtweise damit, dass in ihren Augen davon ausgegangen werden darf, dass ein Kunde eine (vermutlich) gefälschte Impfdokumentation in der Apotheke mit der Intention vorlegt, um mit dem Impfzertifikat am öffentlichen Leben teilzunehmen. Schließlich sind aufgrund der bestehenden Corona-Regelungen, insbesondere wenn 2G gilt, ohne Impfzertifikat viele Aktivitäten wie Restaurantbesuche nicht möglich.

Im Zweifel: Erstmal Rücksprache mit dem Arzt

„Die jeweiligen Verordnungen sollen aber die Gesundheit der Allgemeinheit schützen, das Infektionsgeschehen soll möglichst im Zaum gehalten, Ansteckungen verhindert werden. Damit kann nach unserem Verständnis jedoch auch davon ausgegangen werden, dass die Vorlage der gefälschten Impfdokumentation zum Zwecke der Erlangung eines Impfzertifikates einen gegenwärtigen (da unmittelbar bevorstehenden), rechtswidrigen Angriff auf die Gesundheit der Allgemeinheit darstellt. Insoweit wäre der Verstoß gegen die Schweigepflicht durch eine Notstandshandlung gerechtfertigt. Dies gilt selbstverständlich nur dann, wenn ein begründeter Verdacht objektiv besteht und dies belegt werden kann“, erklären die Rechtsanwälte.

Ihre Empfehlung an die Apotheken lautet daher, zuvor mit dem vermeintlichen Aussteller der Impfdokumentation zu klären, ob die Impfung tatsächlich stattgefunden hat. Die diesbezüglichen Vorbehalte der Kammer aus Sachsen halten Douglas und Schiessel nicht für gerechtfertigt. „Da es sich hierbei um einen Arzt handelt, ist diese Kommunikation durch die doppelte Verpflichtung nach § 203 StGB unproblematisch“, erklären sie. Sollte der Arzt nicht erreichbar sein, empfehlen sie einen Kollegen um dessen Einschätzung zu bitten, ob das Dokument echt ist. Die jeweiligen Vorgänge sollten dokumentiert werden. Denn sollte sich unter diesen Umständen eine Strafanzeige später dann doch als unbegründet herausstellen, wäre zuvor nach dem Verständnis der Rechtsexperten alles Erforderliche getan worden, um die Sachlage mit den zur Verfügung stehenden Mitteln zu prüfen. Es kann dann  von einem sogenannten Erlaubnistatbestandsirrtum ausgegangen werden, und damit wäre der Vorwurf des Vorsatzes vom Tisch. Es würde sich dann lediglich um  Fahrlässigkeit handeln. Da allerdings die Verletzung der Schweigepflicht nicht als Fahrlässigkeitsdelikt verfolgt wird, läge dann letztlich keine Strafbarkeit vor. Selbst wenn im Einzelfall es an diesen Voraussetzungen fehlte, dürfte ein etwaiges Verfahren zu einer Einstellung führen.

„Letztlich muss jede Apotheke selbst entscheiden, ob sie das Risiko eingehen möchte“

„Die Thematik ist komplex und mit Risiken verbunden“, resümieren Douglas und Schiessel. Eine Schweigepflichtentbindungserklärung sei sicherlich der korrektere und für die Apotheke der sicherste Weg. Allerdings geben sie auch zu bedenken, dass Kunden, die mit gefälschten Unterlagen in die Apotheke kommen, die Schweigepflichtentbindungserklärung nicht unterzeichnen werden. Damit werden aber auch diese nicht zur Rechenschaft gezogen, was erst recht nicht im Sinne der Rechtsordnung sein dürfte. Ihr Fazit lautet: „Letztlich muss aber jede Apotheke selbst entscheiden, ob sie das, aus unserer Sicht allerdings überschaubare, Risiko eingehen möchte, sich in einem etwaigen Ermittlungsverfahren rechtfertigen zu müssen. Eine pauschale Empfehlung kann deshalb nicht abgegeben werden.“

Staatsanwaltschaft Niedersachsen: Schweigepflicht nicht verletzt

In Niedersachsen ist man offenbar einen Schritt weiter. Laut Apothekerkammerpräsidentin Catrhin Burs haben sich die dortigen Generalstaatsanwaltschaften bei der Bewertung dieses Sachverhalts abgestimmt. Demnach fehlt es an einem schutzwürdigen Interesse der Kunden und Kundinnen an einer Geheimhaltung der Tatsache, dass sie einen gefälschten Impfnachweis in der Apotheke vorgelegt haben. Die Schweigepflicht sieht die niedersächsische Staatsanwaltschaft also nicht verletzt, wenn die Apotheke die Polizei einschaltet – dazu verpflichtet ist sie allerdings auch nicht.

Wohin eine Anzeige am Ende führt, steht ohnehin auf einem anderen Blatt. Sinnvoll ist es sicher, wenn durch sie ein gefälschter Impfpass, aus dem Verkehr gezogen wird. Allerdings wird Aufgabe der Gerichte sein, zu klären, ob es überhaupt strafbar ist, wenn eine Person mit einem gefälschten Impfpass in der Apotheke erscheint, um sich ein digitales Zertifikat erstellen zu lassen. Das Landgericht Niedersachsen geht jedenfalls davon aus, dass hier keine Strafbarkeit vorliegt. Möglicherweise muss der Gesetzgeber also nachschrubben, wenn er diese Personen wirklich strafrechtlich zur Verantwortung ziehen will. 



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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