5 Jahre EuGH-Urteil zur Rx-Preisbindung

Rückblick auf einen schwarzen Tag für die Apotheken

Berlin - 18.10.2021, 17:50 Uhr

Seit 2004 ist in Deutschland der Versandhandel mit jeglichen Arzneimitteln erlaubt. Doch für DocMorris & Co. war diese vom nationalen Gesetzgeber im vorauseilenden Gehorsam gewährte „Freiheit“ jedenfalls im Rx-Bereich kein Selbstläufer. (Foto: nmann77 / AdobeStock)

Seit 2004 ist in Deutschland der Versandhandel mit jeglichen Arzneimitteln erlaubt. Doch für DocMorris & Co. war diese vom nationalen Gesetzgeber im vorauseilenden Gehorsam gewährte „Freiheit“ jedenfalls im Rx-Bereich kein Selbstläufer. (Foto: nmann77 / AdobeStock)


Ende vergangenen Jahres trat das Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken in Kraft. Seitdem ist die Preisbindung zumindest für zulasten der GKV abgegebene Rx-Arzneimittel wiederhergestellt. Doch bis dahin war es ein langer Weg. Er begann am 19. Oktober 2016, also morgen vor fünf Jahren, als der Europäische Gerichtshof die Rx-Preisbindung für Arzneimittelversender aus dem EU-Ausland kippte. Anlässlich dieses „unrühmlichen Jubiläums“ blicken wir zurück. 

Seit 2004 ist in Deutschland der Versandhandel mit jeglichen Arzneimitteln erlaubt. Doch für DocMorris & Co. war diese vom nationalen Gesetzgeber im vorauseilenden Gehorsam gewährte „Freiheit“ jedenfalls im Rx-Bereich kein Selbstläufer. Wie konnten sie deutsche Kundinnen und Kunden dazu bewegen, ihre Rezepte im Original per Post in die Niederlande zu schicken, statt sie einfach bequem in der Apotheke vor Ort einzulösen? Da das Prinzip der Sachleistung gilt, ist es schwierig über den Preis zu locken. Immerhin gibt es die Zuzahlung, auf welche die Versender nun meinten, verzichten zu können. So kam es zu den Rx-Boni, die die Eigenbeteiligung wegfallen ließen. Und die niederländischen Unternehmen erdachten sich noch einige Rabattmodelle mehr, um den Deutschen den Rx-Arzneimittelerwerb bei ihnen schmackhaft zu machen.  

Das gefiel den Apotheken hierzulande selbstredend gar nicht. Und so folgten zahlreiche Gerichtsprozesse gegen die EU-Versender. Sowohl auf der wettbewerbsrechtlichen Schiene vor den Zivilgerichten als auch auf der ordnungsrechtlichen vor den Verwaltungsgerichten. Und auch vor den Sozialgerichten wurde gestritten. Da die Gerichte nicht einheitlich entschieden, musste am Ende der höchst selten angerufene Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes ein Urteil fällen. Und dieser befand im August 2012, dass sich auch eine EU-ausländische Versandapotheke an die Vorgaben der Arzneimittelpreisverordnung halten muss, wenn sie verschreibungspflichtige Arzneimittel an Kunden in Deutschland versendet. Ausdrücklich sahen die Richter:innen hierbei auch kein europarechtliches Problem und hielten daher eine Vorlage an den EuGH nicht für nötig. Der Gesetzgeber sorgte überdies für eine entsprechende Klarstellung im Arzneimittelgesetz (§ 78 Abs. 1 Satz 4 AMG in der Fassung vor dem VOASG). Die Rechtslage erschien endlich klar.

Wettbewerbszentrale versus Deutsche Parkinsonvereinigung

Doch dann befasste sich das Oberlandesgericht Düsseldorf in einem Klageverfahren der Wettbewerbszentrale mit einer weiteren Art von DocMorris-Boni: Die Deutsche Parkinson Vereinigung (DPV) pries ihren Mitgliedern besondere Konditionen des Versenders an. Das Oberlandesgericht beschloss im März 2015, den EuGH anzurufen, um zu erfahren, ob dieser die Rx-Preisbindung für Versandapotheken im EU-Ausland wirklich für europarechtlich unproblematisch hält. Damit startete das dritte DocMorris-Verfahren in Luxemburg (nach dem zum Versandhandels- und zum Fremdbesitzverbot), obwohl die Niederländer diesmal nicht selbst Partei waren, sondern die DPV.

Schon im Stellungnahmeverfahren ließ die Europäische Kommission ihre Sicht auf die Dinge wissen: Das Rx-Boni-Verbot für ausländische Versandapotheken verstoße gegen die Grundlagen des freien Warenverkehrs innerhalb der Union. Das deutsche Argument, die Rx-Preisbindung sei erforderlich, um die flächendeckende Versorgung sicherzustellen, überzeugte die Kommission nicht. Sie hatte im Übrigen bereits 2013 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik in die Wege geleitet, damit diese die Preisbindung für EU-Versender streicht.

Im März 2016 fand in Luxemburg die mündliche Verhandlung statt. Anfang Juni legte Generalanwalt Maciej Szpunar seine Schlussanträge vor und es breitete sich Unruhe aus: Auch Szpunar meinte, die Rx-Preisbindung für EU-Versandapotheken schränke den freien Warenverkehr in nicht gerechtfertigter Weise ein. Zwar ist der EuGH nicht an die Empfehlung der Schlussanträge gebunden – doch meistens folgt er ihnen, so auch in diesem Fall.

EuGH: EU-Versender haben es schwerer

Als die Erste Kammer des EuGH am 19. Oktober 2016 ihr Urteil verkündete, führte sie zur Begründung aus, dass sich die Festlegung einheitlicher Abgabepreise für rezeptpflichtige Arzneimittel auf in anderen Mitgliedstaaten ansässige Apotheken stärker auswirke als auf inländische. Der Versandhandel sei für diese Apotheken ein wichtigeres, eventuell sogar das einzige Mittel, um einen unmittelbaren Zugang zum deutschen Markt zu erhalten. Und anders als „traditionelle“, also deutsche Vor-Ort-Apotheken, könnten sie nur ein eingeschränktes Leistungsangebot bieten. Da sie also nicht durch Personal vor Ort individuell beraten und eine Notfallversorgung mit Arzneimitteln sicherstellen könnten, sei der Preiswettbewerb für Versandapotheken ein wichtigerer Wettbewerbsfaktor als für „traditionelle“ Apotheken.

Neue Maßstäbe

Grundsätzlich, so räumte der EuGH ein, könne ein Mitgliedstaat eine Beschränkung des freien Warenverkehrs zwar mit dem Schutz der Gesundheit und des Lebens rechtfertigen. Doch die deutsche Preisbindung hielt der Gerichtshof nicht für geeignet, um das Ziel, die flächendeckende Arzneimittelversorgung sicherzustellen, zu erreichen. ­Hierbei setzte er neue Maßstäbe bei der Darlegungs- und Beweislast. Gestand man den Mitgliedstaaten bislang einen Wertungsspielraum zu, auf welchem Niveau und wie sie den Schutz der Gesundheit sicherstellen wollen, so hieß es nun, es müssten handfeste Belege her. Die deutsche Seite habe nicht die erforderlichen Beweise beigebracht, dass nur durch einheitliche Rx-Preise die flächendeckende Versorgung und eine gleichmäßige geografische Verteilung der traditionellen Apotheken in Deutschland sichergestellt werden könne. Die Luxemburger Richter meinten sogar, einige der seitens der Kommission eingereichten Unterlagen legten das Gegenteil nahe: Mehr Preiswettbewerb unter den Apotheken könne die gleichmäßige Versorgung mit Arzneimitteln sogar fördern. Denn so würden Anreize zur Niederlassung in Gegenden gesetzt, in denen wegen der geringeren Zahl an Apotheken höhere Preise verlangt werden könnten.

Auch sah der Gerichtshof keine Belege, dass es ohne die Preisbindung zu einem Preiswettbewerb kommen könnte, der die Zahl der Präsenzapotheken in dem Maße sinken lasse, dass wichtige Leistungen wie die Notfallversorgung in Deutschland nicht mehr zu gewährleisten wären. Andere Wettbewerbsfaktoren wie die individuelle Beratung der Patienten durch Personal vor Ort könnten den traditionellen Apotheken nämlich eventuell dabei helfen, konkurrenzfähig zu bleiben.

Die politischen Folgen

Es dauerte keinen Tag, da priesen die EU-Versender ihre neuen Modelle zum „Geldsparen auf Rezept“ an. Für die deutschen Apotheken galt die Arzneimittelpreisverordnung weiterhin. Um den vom EuGH abgesegneten ungleichen Wettbewerb zu beenden, gab es aus Sicht der hiesigen Apotheken nur einen sicheren Weg: Der Gesetzgeber sollte den Arzneimittelversandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln wieder verbieten. Schließlich hatte der EuGH schon Ende 2003 entschieden, dass ein solches Verbot aus Gründen des Gesundheitsschutzes gerechtfertigt sein kann.

Keine Chance für Gröhe

Der damalige Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) stellte sich zwar sofort an die Seite der Apothekerschaft und legte einen Gesetzentwurf für ein Rx-Versandverbot vor. Doch der Koalitionspartner SPD blockierte. Hier schlug man stattdessen unter anderem einen befristeten Boni-Deckel für alle Apotheken vor. Auch das Justiz- und das Wirtschaftsministerium – beide SPD-geführt – verweigerten ihre Zustimmung zum Gesetzentwurf. Sogar das unter CDU-Leitung stehende Finanzministerium stellte sich daraufhin quer. Letztlich scheiterte das Vorhaben vor der Bundestagswahl. Danach schaffte es Gröhe zwar noch, dass das Rx-Versandverbot im Koalitionsvertrag von SPD und Union Erwähnung fand. Aber der dort versprochene „Einsatz“ für ebendieses fiel kläglich aus. Gröhes Nachfolger im Ministeramt, Jens Spahn, machte keinen Hehl daraus, dass er von einem Versandverbot gar nichts hält.

Das Rx-Boni-Verbot im Sozialrecht

Es dauerte weitere drei Jahre, ehe ein Kompromiss in Gesetzesform gegossen wurde: Mitte Dezember 2020 trat das Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz in Kraft, das die Rx-Preisbindung an den Rahmenvertrag koppelt und ins Sozialgesetzbuch V verschiebt. Damit wurde zumindest für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung ein neues Rx-Boniverbot etabliert.

Ob Europa den Schachzug, die Preisbindung vom Arzneimittel- ins Sozialrecht zu verschieben, akzeptieren würde, bezweifelten viele. Doch bislang wurde die neue Regelung nicht auf den juristischen Prüfstand gestellt. Die Europäische Kommission zumindest hat bereits ein starkes Signal gegeben: Im September hat sie ihr Vertragsverletzungsverfahren eingestellt, mit dem sie die Bundesrepublik zuletzt Anfang 2019 aufgefordert hatte, die Preisbindung bei Rx-Arzneimitteln für EU-Versender aufzuheben.



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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1 Kommentar

blauäugig

von Karl Friedrich Müller am 19.10.2021 um 10:12 Uhr

bitte schön, was ist "wiederhergestellt"?
DocMorris akzeptiert nach wie vor nichts und kämpft weiter für seine Vorteile. Dazu kommt die Hilfe von Spahn, der die Zwangsdigitalisierung einführt, damit der Versender noch leichter Rezepte abgreifen kann. Ups - kein HBA möglich für Nichtapotheken? Dann wird das schleunigst angepasst.
Alles in der Gesetzgebung läuft für die Bevorzugung der Versender zum Schaden der Apotheke vor Ort.
Es gibt keinen Grund zur Beruhigung oder dafür, uns Sand in die Augen streuen zu wollen.
Wir haben einen riesigen Teil unseres Umsatzes verloren und DocMorris arbeitet daran, uns zum großen teil endgültig fertig zu machen.
Aufwachen! ABDA! Impfen und andere defizitäre Aufgaben helfen uns nicht.

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