Leichtes bis mittelschweres COVID-19

Molnupiravir – vielversprechend, aber kein „Gamechanger“?

Stuttgart - 05.10.2021, 13:45 Uhr

Laut MSD senkte Molnupiravir das Risiko für Krankenhauseinweisung oder Tod im Vergleich zu Placebo um 50 Prozent. (x / Foto: Milos / AdobeStock)

Laut MSD senkte Molnupiravir das Risiko für Krankenhauseinweisung oder Tod im Vergleich zu Placebo um 50 Prozent. (x / Foto: Milos / AdobeStock)


Zu gut für weitere Probanden: MSD rekrutiert keine COVID-19-Patienten mehr für seine Phase-3-Studie MOVe-OUT mit Molnupiravir. Das antivirale Arzneimittel senkte Hospitalisierung und Todesrate bei leicht bis moderat an COVID-19 Erkrankten im Vergleich zu Placebo um 50 Prozent. Experten zufolge ist das Nukleosid-Analogon vielversprechend, aber kein „Gamechanger“ – warum?

Während es mittlerweile gut wirksame Impfstoffe gegen COVID-19 gibt, sieht es mit Arzneimitteln für akut Erkrankte noch dürftig aus. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) rät bei schwerem und kritischem COVID-19 zu Corticosteroiden und zu Interleukinrezeptor-6-Blockern. Bei nicht schwerem, schwerem und kritischen COVID-19 kann zudem das Antikörper-Duo Casirivimab/Imdevimab angewendet werden. Remdesivir (Veklury), das erste speziell für COVID-19 zugelassene Arzneimittel, überzeugt weniger als erhofft, und die WHO rät von Remdesivir mittlerweile ab.

Über gute Neuigkeiten informierte am 1. Oktober das Pharmaunternehmen MSD (in den USA und Kanada bekannt als Merck & Co): Molnupiravir, ein oraler antiviraler Wirkstoff aus der gemeinsamen Pipeline mit Ridgeback Biotherapeutics, konnte in der Phase-3-Studie MOVe-OUT mit nicht hospitalisierten, erwachsenen, leicht bis mittelschwer erkrankten COVID-19-Patienten überzeugen, sodass nun die Rekrutierung neuer Probanden „vorzeitig gestoppt“ wurde, informiert MSD.

50 Prozent Risikoreduktion bei Krankenhauseinweisung und Tod

Den von MSD bekannt gegebenen Ergebnissen zufolge senkte Molnupiravir das Risiko für Krankenhauseinweisung oder Tod um 50 Prozent. So mussten unter Molnupiravir 7,3 Prozent der COVID-19-Patienten (28/385) im Krankenhaus behandelt werden, in der Placebogruppe waren es 14,1 Prozent (53/377). Zeitpunkt der Datenerhebung war 29 Tage nach Einschluss in die Studie. Zudem verstarb kein Patient in der Molnupiravirgruppe, während es in der Placebogruppe zu acht Todesfällen kam.

MOVe-Out – die Studie

In MOVe-OUT sollten insgesamt 1.550 Patienten mit leichtem oder mittelschwerem und laborbestätigtem COVID-19 rekrutiert werden (die am 1. Oktober von MSD veröffentlichte Zwischenanalyse umfasst 762 Patienten; ursprünglich hätten 1.850 COVID-19-Patienten eingeschlossen werden sollen, die Probandenzahl war bereits im Frühjahr auf 1.550 angepasst worden). Die Probandinnen und Probanden hatten einen weniger als fünf Tage alten laborbestätigten SARS-CoV-2-Nachweis und einen milden bis moderaten COVID-19-Verlauf. Sie mussten zudem mindestens einen Risikofaktor für einen schweren COVID-19-Verlauf aufweisen und erhielten entweder zweimal täglich Molnupiravir (800 mg) oder Placebo und das über fünf Tage. 

Ziel der Studie war die Beurteilung der Wirksamkeit von Molnupiravir verglichen mit Placebo anhand der Krankenhauseinweisungen und Todesfälle (Prozentsatz) bis zum Tag 29 nach Randomisierung. Daneben zählen zu den primären Endpunkten der Prozentsatz der Teilnehmer mit einem unerwünschten Ereignis (bis sieben Monate nach Behandlung) und der Prozentsatz der Teilnehmer, welche die Studienintervention aufgrund dessen abgebrochen haben (bis zu sechs Tage nach Beginn der Behandlung).

MSD untersuchte Molnupiravir auch in einer weiteren Studie, und zwar mit bereits hospitalisierten COVID-19-Patienten: MOVe-IN. Allerdings entschied das Unternehmen im April dieses Jahres, diese Studie nicht fortzusetzen, da „Molnupiravir wahrscheinlich keinen klinischen Nutzen bei hospitalisierten Patienten zeigt“, erklärte MSD.

Potenzial auch bei anderen Coronaviren?

Da die positiven Ergebnisse die Erwartungen übertroffen hatten, empfahl das unabhängige Aufsichtsgremium der Studie (Data Safety Monitoring Board) laut MSD den frühzeitigen Abbruch der Rekrutierung von neuen Versuchspersonen. Dies sei in Absprache mit der FDA geschehen, erklärt MSD. Zu diesem Zeitpunkt war die Rekrutierung dem „Science Media Center“ (SCM) zufolge zu 90 Prozent abgeschlossen. Eigenen Angaben zufolge plant MSD, diese Ergebnisse als Grundlage für einen alsbaldigen Antrag auf Notfallzulassung bei der US-amerikanischen FDA zu stellen, sowie weitere Zulassungsanträge bei anderen Aufsichtsbehörden weltweit einzureichen.

Wie wirkt Molnupiravir?

Molnupiravir ist ein Prodrug von N4-Hydroxycytidin, einem Ribonukleosid-Analogon, das statt Cytidin als falscher Baustein in die RNA von RNA-Viren eingebaut wird. Der auch als EIDD-2801 bekannte Wirkstoff wurde bereits für verschiedene Viruserkrankungen erforscht, laut „Ärzteblatt“ gegen Pocken und gegen Pferdeenzephalitis. Zudem veröffentlichten Wissenschaftler erst im Oktober 2019 eine Arbeit in „Science Translational Medicine“, in der sie EIDD-2801 als hochpotenten klinischen Kandidaten zur Behandlung von saisonaler und pandemischer Influenza empfahlen. Molnupiravir hemmt die Replikation mehrerer RNA-Viren, unter anderem SARS-CoV-2.

Die Ergebnisse klingen in der Tat hoffnungsvoll, allerdings ist es für grenzenlose Euphorie derzeit noch etwas früh. Professor Stefan Kluge, Direktor der Klinik für Intensivmedizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), erklärt gegenüber dem „Science Media Center“: „Die Daten sind vielversprechend, aber momentan handelt es sich nur um eine Zwischenauswertung einer Studie. Die Ergebnisse liegen auch noch nicht als Publikation vor, insofern muss man die endgültigen Ergebnisse abwarten. Wenn sich bestätigt, dass 50 Prozent weniger Krankenhauseinweisungen und Todesfälle bei COVID-19-Patienten durch diese Therapie erfolgen, dann wäre das ein sehr gutes, vielversprechendes Ergebnis.“ 

Vorteil orale Therapie

Er sieht einen Therapieplatz für Molnupiravir für Patienten mit Risikofaktoren im ambulanten Bereich und in der Frühphase der Erkrankung. Von einem „Gamechanger“ will er jedoch nicht sprechen. Und: „Der Wirkstoff wird die Impfungen selbstverständlich auch nicht überflüssig machen“, erklärt Kluge gegenüber dem SMC. Ein großer Vorteil sei die orale Verabreichungsform als Tablette. Hingegen müssten andere derzeit zur Behandlung von COVID-19 infrage kommende Arzneimittel – Tocilizumab, die Antikörper Casivirimab/Imdevimab und Remdesivir – intravenös appliziert werden. Dies erschwere die Behandlung im ambulanten Bereich massiv.

Auch Professor Ralf Bartenschlager, Leiter der molekularen Virologie am Universitätsklinikum Heidelberg und Präsident der deutschen Gesellschaft für Virologie, gibt sich zurückhaltend hoffnungsvoll. Er betont zusätzlich, dass Molnupiravir überwiegend bei Patienten zum Einsatz kam, die mit den neuen besorgniserregenden Virusvarianten (VOCs, Variants of Concern) vom Gamma- und insbesondere Delta-Subtyp infiziert waren. Dies mache die Ergebnisse umso mehr für die Praxis relevant. Bislang fehlten jedoch genaue Daten, auch zu den aufgetretenen unerwünschten Ereignissen. Zudem gibt Bartenschlager zu bedenken, dass bei breitem Einsatz des Virostatikums nach Zulassung dies auch den Druck zur Entstehung von Escape-Mutationen ermöglichen könne.

Potenzial auch bei anderen Coronaviren?

Dennoch sieht er Potenzial bei Molnupiravir, da das Wirkprinzip der Ribonukleosid-Analoga bereits bei anderen Viruserkrankungen funktioniere: „Es wird daher von großem wissenschaftlichem Interesse sein, die Substanz Molnupiravir auch bei anderen Viruserkrankungen einzusetzen – angefangen bei klassischen Coronaviren, die für den banalen Schnupfen verantwortlich sind, bis zu hochpathogenen Keimen wie MERS-Coronaviren, die vor wenigen Jahren insbesondere auf der arabischen Halbinsel gewütet haben. Dies bleibt jedoch spekulativ, bis weitere große randomisierte klinische Studien einen wirklichen Mehrwert belegen können.“



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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