IQWiG und AkdÄ

Vom Zusatznutzen von Esketamin bei Depressionen nicht überzeugt

Stuttgart - 08.07.2021, 10:45 Uhr

IQWiG und AkdÄ sehen keinen Zusatznutzen von Esketamin (Spravato) in der Behandlung erwachsener Patient:innen mit einer mittelgradigen bis schweren depressiven Episode einer Major Depression, die auf mindestens zwei unterschiedliche Antidepressiva nicht angesprochen haben. (Foto: tadamichi / AdobeStock) 

IQWiG und AkdÄ sehen keinen Zusatznutzen von Esketamin (Spravato) in der Behandlung erwachsener Patient:innen mit einer mittelgradigen bis schweren depressiven Episode einer Major Depression, die auf mindestens zwei unterschiedliche Antidepressiva nicht angesprochen haben. (Foto: tadamichi / AdobeStock) 


Bringt Esketamin in Spravato einen Zusatznutzen in die Therapie erwachsener Patient:innen mit behadlungsresistenter Major Depression? IQWiG und AkdÄ bezweifeln dies. Das Nutzen-Risiko-Verhältnis bewerten sie als ungünstig, zudem seien Fragen nach dem Missbrauchspotenzial, Toleranzeffekten und der praktischen Durchführung einer Langzeittherapie ungeklärt.

Im Dezember 2019 erteilte die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) Esketamin in Spravato® die Zulassung. Eingesetzt werden darf das Nasenspray zur Behandlung von Erwachsenen mit therapieresistenter Major Depression in Kombination mit einem SSRI oder SNRI, wenn die Patient:innen in der aktuellen mittelgradigen bis schweren depressiven Episode auf mindestens zwei unterschiedliche Antidepressivatherapien nicht angesprochen haben. Zudem ist Spravato® als akute Kurzzeitbehandlung indiziert, und zwar in Kombination mit einer oralen antidepressiven Therapie bei erwachsenen Patient:innen mit einer mittelgradigen bis schweren Episode einer Major Depression, um depressive Symptome schnell zu verringern, die nach ärztlichem Ermessen einem psychiatrischen Notfall entsprechen.

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Wie jedes neu zugelassene Arzneimittel mit neuem Wirkstoff muss sich auch Esketamin der frühen Nutzenbewertung, die das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG) am 1. Januar 2011 mit sich brachte, stellen. Wie schlägt sich Spravato® verglichen mit den vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) festgelegten Vergleichstherapien? Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat bereits seine wissenschaftliche Einschätzung veröffentlicht, nun hat auch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) Position bezogen. Kurzum: IQWiG und AkdÄ sind sich einig, der Zusatznutzen von Esketamin bei Erwachsenen mit einer mittelgradigen bis schweren depressiven Episode einer Major Depression, die auf mindestens zwei unterschiedliche Antidepressiva nicht angesprochen haben, ist nicht belegt.

Daten eignen sich nicht zur Nutzenbewertung

IQWiG und AkdÄ bemängeln, dass der pharmazeutische Unternehmer keine Daten zum Vergleich mit der vom G-BA vorgegebenen zweckmäßigen Vergleichstherapie (ZVT) vorgelegt hat. Als ZVT galt:

  • eine Augmentation mit Lithium oder
  • eine Augmentation mit Quetiapin retard oder
  • die Kombination mit einem 2. Antidepressivum (Mianserin oder Mirtazapin) oder
  • ein Wechsel der antidepressiven Monotherapie auf eine andere Substanzklasse.

Die AkdÄ kritisiert an dieser Stelle auch die Auswahl des G-BA: So habe eine aktuelle Metaanalyse ergeben, dass der Wechsel eines Antidepressivums einfach auf eine andere Substanzklasse zu keiner Verbesserung beim Patienten führe. Auch die S3-Leitlinie „Unipolare Depression“ bewertet den Wechsel nicht als erste Wahl. Und wie sollen Patient:innen unter einer Kombinationstherapie den Wechsel umsetzen? Zudem hätte der G-BA auch die Option betrachten können, dass eine Dosisadaptation der antidepressiven Therapie nach Serumspiegelbestimmung (Therapeutisches Drug-Monitoring) erfolge, meint die AkdÄ.

Nutzen-Risiko-Verhältnis ungünstig

Nach Ansicht der AkdÄ bleibt unklar, welchen Zusatznutzen die Gabe von Esketamin zusätzlich zur übrigen Therapie im Vergleich zu den Therapieoptionen im Sinne der ZVT – insbesondere einer Aufdosierung oder Kombination oraler Antidepressiva oder der zusätzlichen Gabe von Lithium oder Quetiapin – hat. Insgesamt erscheine jedoch das Nutzen-Risiko-Verhältnis einer „Add-on“-Therapie mit Esketamin bei therapieresistenten Depressionen, zusätzlich zu SSRI oder SNRI, „ungünstig“. 

So berichteten die Teilnehmer:innen in den zur Nutzenbewertung eingereichten Studien TRANSFORM-2 und TRANSFORM-3 häufiger über Nebenwirkungen unter Esketamin als in der Placebogruppe. Auch hatten die Studien den Effekt von Esketamin über vier Wochen untersucht, dieses Zeitfenster ist jedoch nach Einschätzung von IQWiG und AkdÄ zu kurz, „da in vier Wochen keine Aufdosierung und anschließende drei- bis vierwöchige Wirkungsbeobachtung eines SSRI oder SNRI möglich ist“. Die Behandlung erfolgte daher zu kurz, um in den Placebo-Nasenspray-Armen leitlinienkonform zu sein und eine ausreichende Chance auf Ansprechen zu bieten, argumentiert die AkdÄ. 

Eine Überlegung ist zudem, inwieweit die Verblindung der Teilnehmer:innen erhalten blieb: Esketamin hat eine ausgeprägte dissoziative Wirkung, weswegen eine „funktionelle partielle Entblindung der Studienteilnehmer wahrscheinlich“ sei.

Wie lässt sich eine Langzeittherapie mit Esketamin gestalten?

Die AdkÄ bedenkt zudem, dass die lediglich unter Aufsicht durchgeführte Therapie mit Spravato® mit einem „hohen Behandlungsaufwand“ einhergehe. Insbesondere in der Erhaltungstherapie sei dies ein „ungelöstes Problem“.

Auch fehlten Daten, die die Langzeitverträglichkeit bewerteten, die AkdÄ denkt hier vor allem an Toleranzeffekte und das Missbrauchspotenzial. Die Arzneimittelkommisson der deutschen Ärzteschaft erkennt zwar den raschen Wirkeintritt von Esketamin an, somit sei ein diesbezüglicher Zusatznutzen „nicht auszuschließen“ – aber anhand der vorliegenden Daten eben auch nicht belegt.

Über den endgültigen Zusatznutzen entscheidet der G-BA.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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