Finanzexperte zu DocMorris-Plänen

„Der Versandhandel wird die Marktstruktur zerstören“

Stuttgart - 23.06.2021, 07:00 Uhr

Gegenüber DAZ.online äußert sich ein Experte, der die Aktivitäten der Zur-Rose-Gruppe seit Jahren beobachtet. (x / Foto: BullRun / AdobeStock)

Gegenüber DAZ.online äußert sich ein Experte, der die Aktivitäten der Zur-Rose-Gruppe seit Jahren beobachtet. (x / Foto: BullRun / AdobeStock)


Google, Netflix, Amazon, Zalando – in dieser Reihe sieht sich zukünftig die Schweizer Zur-Rose-Gruppe. Der DocMorris-Mutterkonzern will Marktführer beim E-Commerce mit Arzneimitteln werden und fiebert dem deutschen E-Rezept entgegen. Dieses Versprechen formulierte Zur Rose gegenüber Investorenvertretern beim „Capital Market Day“ am vergangenen Mittwoch. Doch wie realistisch sind die Pläne? Gegenüber DAZ.online äußert sich ein Finanzmarktbeobachter.

Die Einführung des E-Rezepts ist aus Sicht von Zur Rose eine Gelegenheit, die sich nur „einmal im Leben“ bietet. Die Erwartungen sind bei den Schweizern offenbar riesig. Es gehe um die Positionierung in einem Markt, der in mehreren europäischen Ländern zusammen mit 146 Milliarden Schweizer Franken (knapp 134 Milliarden Euro) angesetzt wird und in dem der E-Commerce-Anteil bisher minimal und damit sehr steigerungsfähig sei. So formulierte man es vor Investorenvertretern beim „Capital Market Day“ am vergangenen Mittwoch. Das Zur-Rose-Management rechnet damit, dass der Marktanteil des Rx-Versands in Deutschland innerhalb von drei bis fünf Jahren von aktuell rund 1 auf etwa 10 Prozent steigen und langfristig weiteres Potenzial haben wird. Doch für wie realistisch halten Finanzmarkt-Beobachter diese vollmundigen Versprechungen?

Gegenüber DAZ.online äußert sich nun ein Experte, der die Aktivitäten der Zur-Rose-Gruppe seit Jahren beobachtet. Auch mit dem deutschen Apothekenmarkt setzt er sich auseinander. Er will anonym bleiben – weder seine Herkunft noch sein Unternehmen dürfen genannt werden. Im Interview weist er auf massive Gefahren für das deutsche Apothekenwesen hin und sieht große Versäumnisse des Gesetzgebers – vor allem im Ressort von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU).

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DAZ.online: Mit der Einführung des E-Rezepts in Deutschland sieht sich die Schweizer Zur-Rose-Gruppe am langersehnten Ziel. Ihren Aktionären verspricht sie gewaltige Zuwächse beim Rx-Marktanteil. Für wie realistisch halten Sie diese Prophezeiungen?

Aktuell würden gemäß einer ABDA-Umfrage etwa 5 Prozent der Bevölkerung nach der Einführung des E-Rezepts rezeptpflichtige Medikamente bei einem Versandhändler bestellen. Während starke Preisnachlässe im OTC-Bereich dazu geführt haben, dass inzwischen rund 20 Prozent vom Umsatz bei Online-Anbietern landet, werden folgende Kriterien schlussendlich entscheidend sein, wie stark Rx-Arzneimittel online bei EU-Versendern nachgefragt werden: Datensicherheit, Gesundheits- und Arzneimittelberatung, Lieferzeit und -sicherheit, Vertrauen zum pharmazeutischen Personal, Kundenfreundlichkeit und nicht zuletzt die soziale Interaktion. Ob Zur Rose mehrere Milliarden Schweizer Franken bzw. Euro Zusatzumsatz von stationären Apotheken wegnehmen kann, hängt stark davon ab, wie DocMorris bei den genannten Kriterien aus Patientensicht punktet. Ich bin da eher skeptisch.

Bei einer virtuellen Veranstaltung vor Investorenvertretern am Mittwoch in der vergangenen Woche skizzierte DocMorris-Deutschlandchef Walter Hess jedoch, wie die digitalen Verordnungen statt in die Vor-Ort-Apotheken ins eigene Unternehmen flattern sollen. Dabei setzt Zur Rose offenbar auf die peripheren Wege abseits der Gematik-App. Was halten Sie davon?

In unserem digitalen Zeitalter, wo mit sensiblen Daten sehr viel Unfug betrieben werden kann, muss es im Interesse des Gesetzgebers sein, vor allem des Bundesgesundheitsministeriums, in Bezug auf das E-Rezept stringente und universelle Datenschutz- und Informationssicherheitsregeln aufzustellen. Anscheinend gibt es seitens des Ministeriums bzw. der beauftragten Gematik diesbezüglich keine klare Linie. Es wird so sein, dass jeder, der im Besitz des E-Rezept-Tokens ist, die Einlösung des E-Rezepts veranlassen kann, ohne sich mittels elektronischer Gesundheitskarte identifizieren zu müssen. Gleichzeitig arbeitet die Gematik aber streng nach den Datenschutz- und Informationssicherheitsregeln und sorgt für die technische Voraussetzung, dass nur die jeweiligen Versicherten die Hoheit über die eigenen E-Rezepte haben. Das heißt, jeglicher Zugriff ist nur dem Versicherten oder einem beauftragten Vertreter erlaubt. Das sieht mir nach einem Widerspruch, einem Paradoxon aus.



Dr. Armin Edalat, Apotheker, Chefredakteur DAZ
redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


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3 Kommentare

.

von Anita Peter am 23.06.2021 um 12:13 Uhr

Kann Herr Hennrich das bitte beobachten?
Und nochmals herzlichen Dank liebe ABDA für die Aufgabe des RXVV!

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Gefährdung der Arzneimittelversorgung!

von Thomas Eper am 23.06.2021 um 10:34 Uhr

"...dass die EU-Versender ... die ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung auf längerer Sicht in Gefahr bringen werden."
Eigentlich ein Skandal, dass die Politik zusieht!
Vielleicht interessiert sich mal jemand von der Presse dafür und deckt diese Sauerei auf.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

eh klar

von Karl Friedrich Müller am 23.06.2021 um 10:19 Uhr

alle wussten Bescheid. Die ABDA hat es ignoriert. Möglicherweise sind Ausschüsse und Abgeordnete im Unklaren belassen worden was sie anrichten, der "Gesetzgeber", die Drahtzieher wie Spahn und .DocMorris haben das beabsichtigt.
1% Rx Anteil ist vernachlässigbar? Dummer Spruch. Liegt auf der Hand, dass die Versender sich damit nicht zufrieden geben. Schön, dass hier auch mal gesagt wird, dass die Apotheke vor Ort im Prinzip KEINE CHANCE hat, weil sie es sich nicht leisten kann, ohne Gewinn zu arbeiten oder gar mit roten Zahlen.
Datenschutz ist egal. Spahn hat sich schon oft in der Richtung geäußert.
Für Krokodilstränen ist es schon zu spät. Spahn und DocMorris machen uns fertig. Die Meisten jedenfalls. Und damit wird ein gut funktionierendes, ortsnahes System, Anlaufstelle zerstört. Das ist auch direkt eine Aktion gegen den (kranken) Bürger.
Ein Aufschub des eRezepts? Wovon träumen Sie nachts? Abgeordnete und Regierung müssten allenfalls per Gericht gezwungen werden können.
Während der Pandemie wurden auch gnadenlos Krankenhäuser "optimiert". Betten und Personal abgebaut, Stationen in profitable umgewandelt. Die Kohle zählt, auch wenn uns das Wasser bis zum Hals steht, das Corona Virus uns bedroht.
Mit der CDU gibt es nur ein WEITER SO! Leider wahrscheinlich auch mit den anderen Parteien.

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