Umweltauflagen ins GMP-Regelwerk

Arzneimittel in der Umwelt – der Strategieansatz der EU

Dießen am Ammersee - 14.05.2021, 09:15 Uhr

Studien besagen inzwischen, dass Arzneimittel schon in geringen Mengen Auswirkungen auf die Tierwelt haben. (Foto: IMAGO / Rupert Oberhäuser)

Studien besagen inzwischen, dass Arzneimittel schon in geringen Mengen Auswirkungen auf die Tierwelt haben. (Foto: IMAGO / Rupert Oberhäuser)


Schon im Jahr 2008 hatte die Europäische Kommission erkannt, dass Arzneimittel schädliche Auswirkungen auf die Umwelt haben. Doch erst 2019 wurde ein „Strategischer Ansatz für Arzneimittel in der Umwelt“ verabschiedet. Die Grünen-Abgeordnete und approbierte Apothekerin Jutta Paulus setzt sich im Umweltausschuss des Europäischen Parlaments dafür ein, Regelungen zu schaffen, um Einträge von Arzneistoffen in die Umwelt zu vermindern. Ein Problem ist, dass es bisher nur sehr wenige Forschungsergebnisse über die Auswirkungen von Medikamenten in der Umwelt gibt.

„Insgesamt reden wir von über 3.000 aktiven Wirkstoffen, die in mehr oder weniger großen Mengen in der EU auf dem Markt sind“, berichtete Jutta Paulus, Mitglied des Europäischen Parlaments, beim Symposium „Verminderung von Arzneimittelrückständen im Abwasser“. Bei der Prüfung von Arzneimitteln habe die Auswirkung auf die Umwelt auch lange Zeit gar keine Rolle gespielt. Denn es herrschte grundsätzlich der Ansatz vor, dass Arzneimittel einen so überwältigenden Nutzen für die Menschen brächten, dass das Verhalten in der Umwelt vernachlässigbar sei. Doch Studien besagen inzwischen, dass Arzneimittel schon in geringen Mengen Auswirkungen auf die Tierwelt haben. 

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So sei zum Beispiel in Gewässern mit hohem Siedlungsdruck eine hohe Belastung mit Ethinylestradiol nachweisbar, das nachweislich die Fortpflanzung von Fischen beeinflusst. Auch das apothekenpflichtige Diclofenac kann in Fischen und Ottern nachgewiesen werden und hat in Indien zu einem Massensterben von Geiern geführt. Zudem steigt die Gefahr von antimikrobiellen Resistenzen mit der Menge an Arzneimitteln in der Umwelt. So komme ein Bericht der WHO zu dem Schluss, dass bereits geringe Konzentrationen von Arzneimitteln im Trinkwasser mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Gefahr für die menschliche Gesundheit darstellten. In einem Initiativbericht des EU-Parlaments wurde daher im vergangenen Jahr angesprochen, dass auf europäischer Ebene mehr passieren müsse.

Warnung: „Umsichtig einsetzen, da klimawirksam“

Oft seien es auch die kleinen Maßnahmen, die einiges bewirkten. Paulus berichtet beispielhaft über den Einsatz des sehr klimawirksamen Narkosemittels Desfluran, das in einem Krankenhaus mit der Warnung „Umsichtig einsetzen, da klimawirksam“ etikettiert wurde. Dies führte zu einem 30-prozentigen Rückgang des Verbrauchs, alleine dadurch, dass die Anästhesisten das Mittel erst dann anfluteten, wenn sie es wirklich brauchten. 

Im gleichen Krankenhaus konnten die bei OPs anfallenden Medikamentenabfälle zu 40 Prozent reduziert werden, indem Mittel nicht schon vor der OP prophylaktisch geöffnet oder aufgezogen, sondern nur bereitgelegt wurden. Neben der Sensibilisierung von Menschen und der Förderung eines umsichtigen Umgangs mit Medikamenten müsse man allerdings viel weiter gehen. Es müsse, meint Paulus, schon bei der Entwicklung von Medikamenten angesetzt werden. 

Es gebe bereits heute Möglichkeiten vorherzusagen, wie sich ein Molekül verhält, auch ob es biologische abbaubar sei. Dies müsse kein Widerspruch zur Wirksamkeit sein, wenn von vorneherein schon der Designansatz entsprechend entwickelt würde. „Wir brauchen eine Forschungsinitiative, denn die Wissenslücken sind noch sehr groß“, sagte Paulus. So forderte der EU-Ausschuss für Umweltfragen in einem Kommissionsvorschlag im vergangenen September die Mitgliedstaaten und die EU-Kommission auf, Forschung, Entwicklung und Innovation auf dem Gebiet der Arzneimittel zu unterstützen, in neue Technologien zu investieren und die Umweltauswirkungen von Arzneimitteln in die Nutzen-Risiko-Bewertung von Humanarzneimitteln einzubeziehen.

Produktion als blinder Fleck und sehr viel Forschungsbedarf

„Der blinde Fleck ist die Produktion“, Paulus zeigt in ihrem Vortrag Bilder aus Indien und Bangladesh, mit verschmutzten, schäumenden Flüssen. Abfälle und Abwässer aus den Industrieanlagen, zum Beispiel aus der Antibiotika-Produktion, werden hier ohne Klärung in die örtlichen Gewässer eingeleitet. So kehrten laut Untersuchungen über 70 Prozent aller Indien-Reisenden mit multiresistenten Keimen im Darm zurück. Die strikten Qualitätsvorgaben für die Produktion von Medikamenten, die im international geltenden GMP-Regelwerk („Good Manufacturing Practice“) festgehalten seien, sollen daher, laut Paulus, um Umweltauflagen erweitert werden, die damit auch in außereuropäischen Ländern einzuhalten seien. Das sei dann weltweit gültig und würde nicht nur von staatlicher Seite, sondern auch von den Herstellern bzw. den Auftraggebern, den Pharmakonzernen, selbst überwacht.  

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In verschiedenen Strategiepapieren, wie der Pharmastrategie (A pharmaceutical strategy for Europe | Public Health (europa.eu)) und der Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit (Chemicals strategy (europa.eu)) benennt die EU unter anderem die Bewältigung von drängenden Umweltproblemen, auch bezogen auf Arzneiwirkstoffe in der Umwelt. In ihrem Aktionsplan „Zero Pollution“ plant die EU die Schadstofffreiheit von Luft, Boden und Wasser (Zero pollution action plan (europa.eu)). So soll das Ziel der Nullverschmutzung in alle Politikfelder einbezogen werden. Der Pharma-Bereich ist daher genauso angesprochen, wie die Wasserwirtschaft und die Landwirtschaft, um unter anderem auch Medikamenteneinträge in die Umwelt zu vermeiden.

Guter Zustand für europäische Gewässer bis 2027

Dazu kommt im Rahmen gesetzgeberischer Richtlinien für kommunales Abwasser auf EU-Ebene die sogenannte Urban Waste Water Directive sowie die Wasserrahmenrichtline, die besagt, dass alle Gewässer der Europäischen Union durch Maßnahmenprogramme und Bewirtschaftungspläne bis 2027 in einen guten chemischen und ökologischen Zustand zu versetzen sind. Mit diesen und anderen Strategien und Regelungen versucht die EU auf politischer Seite den Auswirkungen von Arzneimitteln in der Umwelt Rechnung zu tragen. 

Es scheint jedoch aufgrund langwieriger Einigungsprozesse und Kompromisse, dass die Beschlüsse oft nicht bindend oder sehr schwammig formuliert sind. Doch Wissenschaftler:innen, politische Entscheidungsträger:innen und die breite Öffentlichkeit betrachteten, laut Paulus, die zunehmenden Hinweise auf bedenkliche Verunreinigungen, einschließlich Pharmazeutika und Mikroplastik, in Gewässern als ein immer wichtigeres Thema. Bedenklich sei dabei die internationale Studie über die Ökologischen Belastungsgrenzen. Diese weise unter dem Punkt „Einbringung neuartiger Substanzen“ in die Umwelt, wozu Pharmazeutika gehören, keinerlei Ergebnisse auf. „Die Forschung weiß so wenig darüber. Uns ist nicht klar, wo die planetaren Grenzen für Chemikalieneinträge sind,“ so die Europaabgeordnete.



Mareike Spielhofen, Autorin, DAZ.online
daz-online@deutscher-apotheker-verlag.de


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