DAV-Chef für Erhalt flexibler Abgaberegeln

„Lieferengpässe wird es auch nach Corona geben“

Berlin - 21.04.2021, 13:45 Uhr

DAV-Chef Thomas Dittrich: „Lieferengpässe waren schon vor Corona da, und es wird sie auch danach geben.“ (Foto: ABDA)

DAV-Chef Thomas Dittrich: „Lieferengpässe waren schon vor Corona da, und es wird sie auch danach geben.“ (Foto: ABDA)


Lieferengpässe bei Arzneimitteln sind für Apotheken seit Jahren Alltag. Nach einer aktuellen Auswertung im Auftrag des Deutschen Apothekerverbandes (DAV) waren auch im vergangenen Jahr 16,7 Millionen Rabattarzneimittel nicht verfügbar – darunter vor allem Blutdrucksenker, Magensäureblocker und Schmerzmittel. Die Apotheken konnten dies 2020 etwas besser wegstecken als sonst. Denn seit einem Jahr erleichtern besondere Pandemieregeln die Arzneimittelabgabe ohne Retaxgefahr. DAV-Chef Thomas Dittrich fordert nun erneut, diese „Beinfreiheit“ über die Pandemie hinaus zu erhalten.

Im Jahr 2020 waren 16,7 Millionen Rabattarzneimittel nicht verfügbar. Damit blieben die Lieferengpässe auf einem ähnlich hohen Niveau wie im Vorjahr (18,0 Millionen). Das teilt der Deutsche Apothekerverband (DAV) mit. Die Zahlen beruhen auf einer Auswertung des Deutschen Arzneiprüfungsinstitutes (DAPI) für Verordnungen in der Gesetzlichen Krankenversicherung im Auftrag des DAV. 

Für eine gewisse Entschärfung der Situation sorgte im vergangenen Jahr die SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung: Mit ihr gestand das Bundesgesundheitsministerium den Apotheken im April 2020 wegen der Corona-Pandemie einige Erleichterungen bei der Auswahl von Ersatzmedikamenten für nicht lieferbare Präparate zu – Ziel war und ist, Kontakte in den Apotheken zu reduzieren. „Die Corona-Gesetzgebung hat den Apotheken bei Lieferengpässen geholfen, die Patienten schneller mit Austauschpräparaten zu versorgen“, bestätigt der DAV-Vorsitzende Thomas Dittrich. Die damals eingeführte Verordnung gebe den Apotheken mehr Flexibilität – und mit dieser gingen sie „sehr verantwortungsvoll“ um. 

Tatsächlich zeigen jüngste Daten des Bundesgesundheitsministeriums, dass die Einsparungen der Krankenkassen aus ihren Rabattverträgen mit Herstellern auch 2020 gestiegen sind – von 4,88 Milliarden in 2019 auf die Rekordsumme von nunmehr 4,96 Milliarden Euro.

Dittrich fordert daher zum wiederholten Male: „Diese pharmazeutische Beinfreiheit beim Einsatz vorrätiger Medikamente sollte unabhängig von der Pandemie erhalten bleiben. Lieferengpässe waren schon vor Corona da, und es wird sie auch danach geben.“

Nach der DAPI-Erhebung gehörten im vergangenen Jahr Blutdrucksenker, Magensäureblocker und Schmerzmittel zu den am stärksten von Lieferengpässen betroffenen Arzneimittelgruppen: Von den 16,7 Millionen nicht verfügbaren Rabattarzneimitteln lag Candesartan mit 2,1 Millionen Packungen vor Metformin und Pantoprazol mit jeweils 700.000 Packungen. Darauf folgten Ibuprofen mit 600.000 Packungen und Metoprolol mit 500.000 Packungen. Insgesamt wurden 2020 etwa 643 Millionen Arzneimittel in Deutschland auf Rezept zulasten der GKV abgegeben.

BfArM: Lieferengpass ist nicht immer Versorgungsengpass

Vorübergehend nicht verfügbare Arzneimittel sind ein alltägliches Problem bei Hausärzten, berichtet auch Hans-Michael Mühlenfeld, Vorstandsvorsitzender des Instituts für hausärztliche Fortbildung im Deutschen Hausärzteverband. „An vier von fünf Tagen in der Woche erleben wir, dass gewisse Medikamente nicht zu bekommen sind.“ Eine Systematik, was warum fehle, sei nicht zu erkennen. „Gefühlt ist die Lage in den vergangenen Jahren schlimmer geworden.“ Mühlenfeld sieht den Kostendruck im Gesundheitswesen als Problem. Die medizinische Versorgung lasse sich nicht marktwirtschaftlich lösen. Er warnt aber vor einer Dramatisierung von Lieferengpässen: „Vor einer großflächigen Unterversorgung mit Arzneien kann in Deutschland keine Rede sein.“

Auch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sieht bei Lieferengpässen keinen Grund für Alarmstimmung. Die Behörde beobachtet derzeit rund 190 Lieferengpässe bei rund 100.000 zugelassenen Arzneimitteln – ein Anteil von knapp 0,2 Prozent. Unter den vorübergehend knappen Medikamenten befänden sich viele, für die es eine Reihe wirkstoffgleicher Nachahmerarzneien gebe. „Ein Lieferengpass muss also nicht gleichzeitig ein Versorgungsengpass sein, da oftmals andere Arzneimittel zur Verfügung stehen.“

Die Corona-Krise habe das Problem vorübergehend verschärft, erklärte das BfArM. Im vergangenen Jahr sei die Zahl der gemeldeten Lieferengpässe zeitweise wesentlich höher gewesen. Daher habe man gegengesteuert. Das Institut forderte Pharmaunternehmen und den Großhandel auf, Arzneien nicht über den normalen Bedarf hinaus zu beliefern, um eine übermäßige Bevorratung zu verhindern. Derzeit schätze der beim BfArM angesiedelte Beirat zu Liefer- und Versorgungsengpässen die Lage aber „insgesamt als stabil ein“.



Kirsten Sucker-Sket / dpa
redaktion@daz.online


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