Mutanten und Virusevolution

Kann Impfen Resistenzen fördern?

Düsseldorf - 31.03.2021, 17:50 Uhr

„Wenn jetzt parallel zum Impfen die Infektionszahlen wieder rasant steigen, wächst die Gefahr, dass die nächste Virus-Mutation immun wird gegen den Impfstoff“, sagte Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) etwa der Bild am Sonntag. (x / Foto: IMAGO / newspix)

„Wenn jetzt parallel zum Impfen die Infektionszahlen wieder rasant steigen, wächst die Gefahr, dass die nächste Virus-Mutation immun wird gegen den Impfstoff“, sagte Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) etwa der Bild am Sonntag. (x / Foto: IMAGO / newspix)


Politiker:innen und Wissenschaftler:innen warnen, dass der COVID-19-Erreger SARS-CoV-2 sich weiter verändert und neue Mutanten entstehen könnten, die resistent gegen die zugelassenen Impfstoffe sind. Mehrere Faktoren wie die schiere Menge der Infektionen, Superspreader-Situationen wie in Brasilien sowie der Umgang mit den Impfkampagnen könnten dabei zur Evolution des Erregers beitragen.

Die wohl treffendste Aussage nicht nur über die Entwicklung von Krankheitserregern stammt wahrscheinlich nicht von einem Wissenschaftler, sondern von einem Schauspieler, der einen Wissenschaftler mimte: „Das Leben findet einen Weg“, sagte Jeff Goldblum in der Rolle des Ina Malcolm im Filmklassiker „Jurassic Park“. Und Viren, diese nichts als effizient verpackte reine „egoistische Erbsubstanz“ – für sich schon eine evolutionäre Faszination der Natur –, treiben dieses Prinzip des „einen Weg finden“ noch auf die Spitze. Allerdings nicht bewusst – schon, weil es Viren schlicht an Bewusstsein oder Absicht mangelt. Das wird jedoch oft falsch verstanden. Das Prinzip von Evolution ist nicht, dass irgendeine Eigenschaft absichtlich zielgerichtet entwickelt wird – Zufall, Mutation, Tri­al-and-Er­ror und Selektion sind die Triebfedern der Evolution. Stetige Veränderung ist dabei ein Grundprinzip. Und das gilt offensichtlich auch für den COVID-19-Erreger SARS-CoV-2.

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„Evolution im Zeitraffer“ nennen es die Autor:innen des Robert-Koch-Instituts in einer Veröffentlichung im Deutschen Ärzteblatt. Dass es mittlerweile mehr als 1.000 verschiedene Varianten des COVID-19-Erregers in neun Kladen (Bezeichnung für Evolutionszweig) gibt – und das, obwohl das Virus nur vergleichsweise langsam mutiert, führen die RKI-Wissenschaftler:innen dort aus. Darunter auch die drei „besorgniserregenden Varianten“ der „britischen“, „brasilianischen“ und „südafrikanischen“ Mutation(en) von SARS-CoV-2 – und einige zumindest „unter Beobachtung“ stehende mehr.

Dass es trotz eigentlich eher geringer Mutationsrate des SARS-CoV-2 bereits so viele verschiedene Varianten gibt, begründen nicht nur die RKI-Forscher:innen mit dem Pandemie-Geschehen. Die schiere Masse an entstandenen Virengenerationen bei bereits Stand 31. März 2021 bald 128 Millionen Infektionen weltweit (127.349.248, davon insgesamt 2.787.593 mit tödlichem Ausgang) hat rein rechnerisch und statistisch zur Variantenbreite beigetragen – schließlich entstehen in jedem einzelnen Infizierten mehrere Millionen Viruspartikel. Dass sich davon auch unabhängig voneinander bestimmte Mutationen durchsetzen und auch mehrere Mutationen gleichzeitig phänotypisch in Erscheinung treten, hängt wiederum mit besonderen Bedingungen und Selektionsfaktoren zusammen.

Gerade eine Eigenschaft der besorgniserregenden Varianten (Variants of Concern im Jargon der WHO, VOC) macht dabei besonders Sorgen – alle haben unabhängig voneinander Veränderungen des viralen Spike-Proteins entwickelt, die (unter anderem) die Wirksamkeit neutralisierender Antikörper nach einer überstandenen Infektion oder auch nach einer Impfung zu vermindern vermögen. Diese „Escape-Mutationen“ entkommen dem Immunsystem, das den Erreger eigentlich bereits kennt. Die bislang zugelassenen Impfstoffe sind bei allen VOC zum Teil deutlich weniger wirksam als gegen den ursprünglichen Wildtyp – auf dessen Grundlage sie allesamt entwickelt wurden. Zusätzlich sind alle Varianten deutlich ansteckender und verbreiten sich besser als das ursprüngliche Virus, das Ende 2019 in Wuhan wütete.

Keine der bisherigen Varianten ist „wegen“ oder „durch“ die Impfungen entstanden

Unter anderem Politiker wie der Arzt und Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) und SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach warnen nun angesichts der dritten Welle der Pandemie in Deutschland vor Mutationen, gegen die die Impfstoffe nicht mehr wirksam sind. „Wenn jetzt parallel zum Impfen die Infektionszahlen wieder rasant steigen, wächst die Gefahr, dass die nächste Virus-Mutation immun wird gegen den Impfstoff“, sagte Braun etwa der Bild am Sonntag.

Vor einer „Supermutante“ warnte er damit, so die Schlagzeile. Keine der bisherigen Varianten ist dabei natürlich „wegen“ oder „durch“ die Impfungen entstanden. Allerdings könnten die Impfstoffe wohl durchaus einen Beitrag bei der Selektion der Virusmutationen leisten – und abhängig von der Qualität und Wirksamkeit der Impfstoffe die Evolution des Virus nicht nur in Richtung Impfstoff-Resistenz, sondern unter Umständen auch zu gefährlicheren Varianten antreiben.



Volker Budinger, Diplom-Biologe, freier Journalist
redaktion@daz.online


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