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Corona-Impfungen einfach erklärt
„Die Säbelzahnkatze ist das unsichtbare Virus“
Über die Coronavirus-Pandemie lässt sich auf allerhöchstem Niveau wissenschaftlich diskutieren. Doch am Ende entscheidet allein die Akzeptanz in der Bevölkerung über den Erfolg jeglicher Lockdown-Maßnahme und Impfkampagne. Apothekerin und Buchautorin Christine Gitter erklärt in der DAZ, wie das pharmazeutische Personal komplexe Sachverhalte den Menschen am besten vermitteln kann – und zwar anhand der Vektor- und mRNA-Impfstoffe.
Im Apothekenalltag erlebt man es häufig, dass bei Kunden und Patienten irrationale Ängste existieren. „Schon die Furcht vor unerwünschten Nebenwirkungen von einfachen Schmerzmitteln kann bei manchen so groß sein, dass sie lieber die Angst runterschlucken statt die Tablette“, weiß Christine Gitter zu berichten. Die Apothekerin und Buchautorin arbeitet selbst seit mehr als 20 Jahren in der Apotheke, 16 Jahre davon war sie Inhaberin. Auf die Corona-Impfungen bezogen, kann sie manche Vorbehalte in Teilen der Bevölkerung durchaus nachvollziehen: „Wir wollen mit der Impfung ein wirkungsvolles Mittel in einen gesunden Körper hineinbringen, und das gestaltet sich psychologisch einfach anspruchsvoller, als einem kranken, leidenden Menschen ein Medikament zu verabreichen.“
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Doch wie es Fachleuten, wie Apotheker:innen und PTA, trotzdem gelingen kann, den überwältigenden Nutzen statt den sehr seltenen Nebenwirkungen in den Fokus ihres Beratungsgesprächs zu rücken, erklärt Christine Gitter in den DAZ-Ausgaben Nr. 10 und 11. Unterstützt wird sie dabei von Nadine Roßa. Die Illustratorin und „Spiegel“-Bestseller-Autorin hat ein Talent dafür, komplexe Sachverhalte einfach und anschaulich in sogenannten Sketchnotes darzustellen.
„Wie erkläre ich es meinem Patienten?“ Diese Frage treibt Christine Gitter um. Als Buchautorin und gefragte Expertin für Arzneimittel und Ernährung engagiert sich die Apothekerin in unterschiedlichen Projekten zur Förderung der Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS). Wie das gelingen kann, darüber haben wir uns mit ihr unterhalten.
DAZ.online: „Es gibt inzwischen 83 Millionen Experten für das neuartige Coronavirus in Deutschland“, las man vor etwa einem Jahr in der Satire-Rubrik auf welt.de, „und somit zum ersten Mal mehr als selbsternannte Bundestrainer.“ Entspricht das auch Ihrem Eindruck?
Gitter: Zum Glück nicht! Mein Eindruck ist eher, dass die meisten Menschen wirklich vernünftig reagieren und sich auf die tatsächlichen Spezialisten verlassen. Und das trotz der langen Zeit, die die Maßnahmen nun schon andauern. Dennoch wundere ich mich auch regelmäßig über die allgemeine „Expertise“ mancher, die sofort parat haben, was man bezüglich Impfstrategie, Schulöffnungen und Wirtschaft besser machen könnte und das dann auch lautstark kundtun.
„Das grundsätzliche Problem liegt in der unkontrollierbaren Situation“
DAZ.online: Warum ist das in Ihren Augen die falsche Vorgehensweise?
Gitter: Mir fehlen auf die meisten dieser Fragen einfach die Antworten und, auch wenn vieles vielleicht nicht optimal läuft, ich würde mir niemals zutrauen, Empfehlungen in die eine oder andere Richtung auszusprechen. Nehmen wir als Beispiel den aktuellen Stopp des AstraZeneca-Impfstoffs. Die thromboembolischen Ereignisse stehen in einem zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung. „Gleichzeitig“ heißt aber nicht, dass es wirklich einen ursächlichen Zusammenhang gibt. Es sind aber Fälle aufgetreten, die untersucht werden müssen. Riskiert man durch das Aussetzen der Impfung ungleich mehr Todesfälle durch COVID-19? Vielleicht. Kann ich persönlich die Situation in ihrer gesamten Tragweite erfassen und dementsprechend Handlungsempfehlungen geben? Definitiv nein.
Gerade beim Thema „Corona-Impfung“ bestehen seit Anfang an nicht wenige Menschen darauf, bestimmte Hersteller oder Präparate auswählen zu dürfen und im Zweifel sogar von der Impfung abzusehen, obwohl sie eigentlich impfwillig wären. Was halten Sie davon?
Das Thema wird ja medial entsprechend breitgetreten. Bei vielen kommt halt dann „nur 70-prozentige Wirksamkeit“ oder „Land xy setzt AstraZeneca-Impfung aus“ an. Wir werden plötzlich mit Statistiken und Gefahrenmeldungen konfrontiert, die die wenigsten von uns wirklich einordnen können. Klar möchten die meisten da den Impfstoff mit der vermeintlich besseren Wirksamkeit und den harmloseren Nebenwirkungen. Eine Wahl des Impfstoffs würde unter Umständen die Impfbereitschaft sogar erhöhen, organisatorisch kann ich mir das jedoch unmöglich vorstellen.
Was verursacht diese Zweifel, Ängste und vielleicht sogar Verschwörungsmythen?
Ich denke, das grundsätzliche Problem liegt in der unkontrollierbaren Situation. Die Säbelzahnkatze ist zu einem unsichtbaren Virus geworden, von dem wir nicht wissen, hinter welchem Busch es lauert. Und das verunsichert verständlicherweise. Verschwörungsmythen sind einfach gestrickt und der Glaube daran ist deshalb vielleicht attraktiver, als eine unsichere Situation aushalten zu müssen.
„Vielen fällt es schwer, Inhalte auf den Punkt zu bringen.“
DAZ.online: Haben wir als Apothekerinnen und Apotheker eigentlich eine reelle Chance, dagegen anzukämpfen?
Gitter: Ich glaube nicht, dass wir eine reelle Chance haben, wenn Menschen in diesem Gedankenkonstrukt bereits gefangen sind. Mit ausgesprochenen Corona-Leugnern diskutiere ich selbst schon eine ganze Weile nicht mehr. Man stößt da auf Argumente, auf die man oft gar nichts entgegnen kann, weil man einfach zu perplex ist. Zu Beginn der Pandemie habe ich in solchen Gesprächen oft noch, wie Mai Thi Nguyen-Kim das so treffend formuliert, nach der „kleinsten gemeinsamen Wirklichkeit“ in Form von Fakten gesucht und darauf gehofft, dass das vielleicht doch auf fruchtbaren Boden trifft. Das mache ich inzwischen nicht mehr. Die aktuelle Situation um den AstraZeneca-Impfstoff könnte man nun positiv sehen und als Anlass nehmen, den Impfgegnern zu sagen: „Schaut her, wir gehen jedem noch so kleinen Verdachtsfall nach, nimmt euch das nicht eure Bedenken?“ Ich befürchte jedoch, dass am Ende ein „Die Impfungen sind gefährlich und tödlich, wir haben es doch gleich gesagt.“ als Antwort kommen wird. Aber da sind ja auch noch die Menschen, die einfach verunsichert sind und nach echten Fakten suchen. Die können wir durchaus erreichen.
Woran scheitert die Kommunikation zwischen Fachpersonal und Laien denn häufig?
Vielen – ich nehme mich da nicht aus – fällt es schwer, Inhalte auf den Punkt zu bringen. Gerade, wenn man sich im Thema sehr gut auskennt. Für Fachpersonal ist es manchmal schwierig, sich in die Rolle dessen hineinzuversetzen, der nicht den gleichen Kenntnisstand hat. Das vereinfacht die Kommunikation nicht unbedingt.
Welche Verbesserungsmöglichkeiten sind denkbar, gerade in den öffentlichen Apotheken?
Mir hilft es enorm, ab und zu die Perspektive zu wechseln und zu überlegen, welche Information für den Menschen, der gerade vor mir steht, in diesem Moment wirklich wichtig ist und ihm auch einen Nutzen bietet. Außerdem versuche ich, ganz kurz, zum „Wie“ das „Warum“ zu liefern. Wenn ich zum Beispiel sage, dass das Schilddrüsenhormon nüchtern eingenommen werden muss („Wie?“), erkläre ich noch kurz, dass bestimmte Nahrungsbestandteile, etwa die Milch im Kaffee, mit dem Arzneistoff sehr enge Verbindungen eingehen, die dann schlicht zu groß sind, um durch die Darmschleimhaut ins Blut zu gelangen. Die Wirkung verschlechtert sich oder bleibt aus („Warum?“). Nicht immer funktioniert das in einem Satz, aber meistens reicht wirklich eine kurze Erklärung aus. Solche kurzen Formulierungen lassen sich übrigens wunderbar gemeinsam mit dem Apothekenteam erarbeiten!
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