Studie im Auftrag des BDI

Bürokratie und Digitalisierungslücken bremsen Gesundheitswirtschaft

Stuttgart - 17.11.2020, 15:15 Uhr

Laut einer Studie im Auftrag des BDI (Bundesverband der Deutschen Industrie) wirken sich Bürokratie und fehlende Digitalisierung negativ auf Forschung und Entwicklung der industriellen Gesundheitswirtschaft aus. (m / Foto: Seventyfour / stock.adobe.com)

Laut einer Studie im Auftrag des BDI (Bundesverband der Deutschen Industrie) wirken sich Bürokratie und fehlende Digitalisierung negativ auf Forschung und Entwicklung der industriellen Gesundheitswirtschaft aus. (m / Foto: Seventyfour / stock.adobe.com)


Der Standort Deutschland wird für die industrielle Gesundheitswirtschaft (iGW) offenbar zunehmend unattraktiv. Zumindest geht das aus einer Studie im Auftrag des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) hervor. Demnach bremsen fehlende Digitalisierung und überbordende Bürokratie die Forschung und Entwicklung der wichtigen Branche aus.  

Die industrielle Gesundheitswirtschaft, zu der auch die Herstellung von Arzneimitteln, medizinischen Geräten und die Biotechnologie zählen, gilt wegen ihrer Vernetzung mit anderen Sektoren als einer der Wachstumsmotoren der deutschen Wirtschaft. Wie nun eine aktuelle Studie des Berliner Wifor-Instituts im Auftrag des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) zeigt, scheint diese Branche mit Standortwidrigkeiten zu kämpfen. 

Im Jahr 2019 hatte die iGW mit 81,2 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung einen Anteil an der deutschen Gesamtwirtschaft von 2,6 Prozent. Im vergangenen Jahr waren rund eine Million Personen in der Branche beschäftigt und sicherten damit 2,3 Prozent aller Arbeitsplätze im Land. Im Branchenvergleich lag bei den Beschäftigungszahlen die iGW auf gleicher Höhe mit der Automobilindustrie. Seit dem Jahr 2010 konnte sich die Branche bis 2019 über ein stetiges Wachstum von 4,1 Prozent pro Jahr freuen. Damit stand sie nach der Automobilindustrie und dem Luft- und Raumfahrzeugbau an dritter Stelle bei den jährlichen Wachstumsraten der Bruttowertschöpfung in Deutschland. 

Starke Verflechtung mit allen Sektoren

In der Wilfor-Studie wird dabei die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Forschung und Entwicklung (F&E) betrachtet. Als wichtiger Parameter gilt der sogenannte ökonomische Fußabdruck. Der machte bei der F&E in der iGW im Jahr 2019 11,8 Milliarden Euro aus. Mit jedem Euro Bruttowertschöpfung dieses Sektors seien 1,85 Euro Bruttowertschöpfung in der Gesamtwirtschaft verbunden. Durch die Beschäftigung von zwei Erwerbstätigen in der F&E wurden außerdem rund fünf Arbeitsplätze in der gesamten Volkswirtschaft gesichert, so die Studie. An den Beschäftigtenzahlen hochgerechnet, resultiert daraus ein ökonomischer Fußabdruck mit 132.190 Erwerbstätigen. 

Die Studie zeigt weiter, dass die Bedeutung der direkten ökonomischen Wertschöpfung durch den Zukauf von Waren und Dienstleistungen von anderen Branchen verstärkt wird. Aus diesem Grund weist die iGW eine tiefe und breite Verflechtung mit allen Sektoren des deutschen Wirtschaftsstandorts auf. Der positive und nachhaltige Einfluss der iGW auf die Gesamtwirtschaft und die Gesellschaft identifiziert diesen Sektor als eine Leitbranche in Deutschland.   

„Mit 15 Prozent der branchenweiten Bruttowertschöpfung für Investitionen in Forschung und Entwicklung übertreffen die Unternehmen der deutschen Gesundheitswirtschaft das Innovationsziel der Bundesregierung um das Vierfache“, sagte Iris Plöger, Hauptgeschäftsführerin beim BDI. „Dieser überdurchschnittliche Einsatz sichert Deutschlands Erfolg als Forschungsstandort sowie Wohlstand und Beschäftigung. Forschung und Entwicklung sind für eine Gesundheitsversorgung zentral, besonders in Pandemie-Zeiten.“ 

Stockende Wachstumsdynamik

Statt einer bisher positiven Entwicklung der Bruttowertschöpfung zeichnet sich laut der Analyse nunmehr ein negativer Trend ab: Die Bruttowertschöpfung der iGW sank zwischen 2018 und 2019 um rund 400 Millionen Euro. Die Zahl der Beschäftigten ist mit einem Zuwachs von etwa 1.000 Erwerbstätigen im Vorjahr etwa gleich geblieben. Zudem ist ein Rückgang bei der Wertschöpfung des besonders relevanten Bereichs Forschung und Entwicklung (F&E) innerhalb der iGW festzustellen. Während die Wertschöpfung bei F&E im untersuchten Zeitraum von 2010 bis 2018 noch im Jahresdurchschnitt um etwa 6 Prozent stieg, sank sie im Jahr 2019 um mehr als 2 Prozent.
  
Einer der Gründe für die veränderte Wachstumsdynamik der Forschung und Entwicklung in der iGW sei die zunehmende Bürokratie in Deutschland. Die Analyse kommt auch zu dem Ergebnis, dass die Digitalisierung nicht in dem Maße vorangetrieben wird, wie es für die F&E erforderlich wäre. Auch wenn es seitens der Bundesregierung vielfältige Impulse zum digitalen Wandel in der Gesundheitsindustrie gegeben habe, wie die Einführung der elektronischen Patientenakte, des E-Rezepts oder die Anbindung der Apotheken an die Telematikinfrastruktur, könne von einer flächendeckenden Digitalisierung nach wie vor nicht gesprochen werden, heißt es in der Analyse. Von Bedeutung sei deshalb der Ausbau des 5G-Netzes, die Digitalisierung der Verwaltung und Investitionen in Künstliche Intelligenz (KI) und Quanten-Computing. 
  
Iris Plöger betont in diesem Zusammenhang, dass die stockende Wachstumsdynamik und der Rückgang von F&E-Investitionen seit zwei Jahren gewaltig die Stimmung trüben. „Unternehmen drohen Deutschland zu verlassen, weil sie hier im internationalen Vergleich vielen bürokratischen Hürden ausgesetzt sind“, so Plöger. „Außerdem werden Forschungsvorhaben durch die mangelnde Verfügbarkeit von Daten und die Abwanderung hoch qualifizierter Beschäftigter behindert. Die deutsche Politik muss den Forschungsstandort deshalb stärken. Die Bundesregierung sollte die steuerliche Forschungsförderung, den Schutz geistigen Eigentums und den Datenzugang für private Forschung verbessern.“ 

F&E-Förderung des Standorts Deutschland

Zusammenfassend sprechen sich die Autoren für ein Maßnahmenpaket aus, damit die F&E der iGW auch künftig ihre Funktion als Stabilisator für den Standort Deutschland sichern könne. Dies hänge auch davon ab, dass die nötigen Rahmenbedingungen erhalten und weiterentwickelt würden. Zudem müsse der Wirtschafts- und Forschungsstandort Deutschland für die Unternehmen mehr Anreize bieten. Neben der Bereitstellung der benötigten Forschungsinfrastruktur und Datenzugang, sei ausreichend Fachpersonal für klinische Forschungsaufträge, Abbau von Bürokratie, eine geeignete Auswahl an Förderprogrammen sowie die Aufrechterhaltung eines zielführenden Patentschutzes erforderlich.

Ein verbesserter Digitalisierungsgrad bei der F&E senke nicht nur Zeitbedarf und Kosten der Forschung, sondern ermöglicht durch den permanenten Zugriff auf die Forschungsergebnisse eine schnellere Wissensdiffusion und somit eine Erhöhung der Forschungsaktivitäten. Beispielsweise könne der Grad der Digitalisierung erhöht werden, indem die digitale Transformation vorangetrieben, der Einsatz disruptiver Technologie ausgeweitet und ein sicherer digitaler Datenaustausch gewährleistet wird.  

Quelle: WiFOR-Institut, BDI – Bedeutung von Forschung- und Entwicklungsinvestitionen der industriellen Gesundheitswirtschaft, Analyse des F&E Fußabdrucks der industriellen Gesundheitswirtschaft im Auftrag des Bundesverbandes der Industrie (BDI), Dr. Sandra Hofmann, Hanna Hryhorova, Dr. Katharina Zubrzycki 



Robert Hoffmann, Redakteur DAZ.online
redaktion@daz.online


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