Oraler Glucose-Toleranztest

Außer Handel: Kann eine neue NRF-Vorschrift das O.G-T.-Fertigarzneimittel ersetzen?

Stuttgart - 16.11.2020, 07:00 Uhr

Schon seit einigen Jahren haben die Krankenkassen das bisher erhältliche Fertigarzneimittel Accu-Chek Dextrose O.G-T. aus wirtschaftlichen Gründen nur in Ausnahmefällen bezahlt. (Foto: Mediteraneo / stock.adobe.com)

Schon seit einigen Jahren haben die Krankenkassen das bisher erhältliche Fertigarzneimittel Accu-Chek Dextrose O.G-T. aus wirtschaftlichen Gründen nur in Ausnahmefällen bezahlt. (Foto: Mediteraneo / stock.adobe.com)


Um weiterhin eine bewährte Möglichkeit zur Diagnose oder zum Ausschluss eines Diabetes mellitus zu bieten, hat das NRF eine Vorschrift zur Herstellung einer fertigen Glucose-Lösung entwickelt. Denn seit diesem Sommer gibt es kein Fertigarzneimittel für den oralen Glucose-Toleranztest mehr. Ist die Rezeptur – auch wirtschaftlich – eine echte Alternative für Schwangere?

Glucose-Lösungen kommen im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge oft zum Einsatz, denn Gestationsdiabetes ist eine häufige Begleiterscheinung einer Schwangerschaft. Laut Mutterschafts-Richtlinien wird in Deutschland deshalb jeder werdenden Mutter zwischen der 24. und 28. Schwangerschaftswoche ein Screening auf Schwangerschaftsdiabetes angeboten. Bei diesem trinkt die Schwangere zunächst eine Lösung mit 50 g Glucose. Anschließend erfolgt nach genau festgelegten Zeiträumen eine Blutzucker-Bestimmung aus dem Venenblut. Werden dabei bestimmte Werte überschritten, folgt der von WHO empfohlene und auch von Diabetologen präferierte orale Glucose-Toleranztest (oGTT) mit 75 g Glucose. 

In Deutschland gab es lange Zeit eine trinkfertige Glucose-Lösung als Fertigarzneimittel, der Accu-Chek Dextrose O.G-T von Roche. Der Saft bestand aus Glucose-Sirup entsprechend einer Glucose-Konzentration von 250 mg/ml. Der Flascheninhalt von 300 ml enthielt also die benötigten 75 g Glucose als Einzeldosis.

Neben gereinigtem Wasser waren als weitere Bestandteile Kaliumsorbat zur Konservierung und ein ethanolischer Johannisbeermuttersaft zur Aromatisierung enthalten. Der Ethanol-Gehalt war jedoch sehr gering (0,01 bis 0,06 % V/V), sodass das Präparat bei bestimmungsgemäßem Gebrauch ohne Bedenken in der Schwangerschaft angewendet werden konnte. Bei dem im Fertigarzneimittel verwendeten Glucose-Sirup handelt es sich um ein ausschließlich großtechnisch herstellbares Produkt, das durch Hydrolyse von Stärke gewonnen wird.

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Der Vertrieb des Fertigarzneimittels wurde von der Herstellerfirma Roche im Sommer 2020 eingestellt. Der Saft ist jedoch weiterhin verkehrsfähig, sodass entsprechende Restmengen verkauft werden dürfen. Seit einigen Wochen kommt es nun aber verstärkt zu Lieferengpässen. Zur Durchführung des oralen Glucose-Toleranztests muss daher künftig auf Rezepturen aus der Apotheke zurückgegriffen werden. Um den Bedarf weiterhin decken zu können, hat das NRF unter der Ziffer 13.8. eine neue Vorschrift „Glucose-Lösung 250 mg/ml für oGTT“ ausgearbeitet. Die entsprechende Vorschrift wird zwar erst mit der DAC/NRF-Ergänzung Ende 2020 erscheinen, wegen des Bedarfs an fertigen Trinklösungen kann sie aber bereits unter der NRF-Bezeichnung verordnet und hergestellt werden.

Alte Standardzulassung zur Trinklösung nicht mehr optimal

Als Monosaccharid können sowohl Glucose als auch Glucose-Monohydrat verwendet werden. Die Verwendung von Glucose-Monohydrat ist jedoch herstellungstechnisch einfacher, da dieses sich schneller im Wasser auflösen lässt. 27,5 g Glucose-Monohydrat entsprechen dabei 25 g reiner Glucose. Um die für den oralen Glucose-Toleranztest benötigten 75 g Glucose zu erhalten, müssen also 328,2 g Lösung zubereitet werden.

Citronensäure sorgt als Säuerungsmittel in der Rezeptur dafür, dass aus dem Salz Natriumbenzoat die antimikrobiell wirksame Benzoesäure entsteht. Auch hier kann stattdessen Citronensäure-Monohydrat in äquivalenter Menge eingesetzt werden.

Glucose-Lösung 250 mg/ml für oGTT nach NRF 13.8.

Glucose-Monohydrat27,5 g
Natriumbenzoat0,177 g
Citronensäure0,229 g
Gereinigtes Wasserzu 109,4 g

Zur Herstellung wird Natriumbenzoat im Großteil des Gereinigten Wassers gelöst und danach die Citronensäure mit dem Ansatz verrührt. Anschließend kann Glucose-Monohydrat unter Erwärmen gelöst werden. Nach dem Ergänzen mit Gereinigtem Wasser kann die fertige Lösung in eine Braunglasflasche mit einer Laufzeit von 6 Monaten abgefüllt werden. Die Zubereitung hat einen pH-Wert von 3,5 und eine Dichte von 1,094 g/ml, 100 ml Flüssigkeit entsprechen daher 109,4 g.

Bereits im Herbst 2019 war das Fertigarzneimittel aufgrund von Produktionsproblemen nicht lieferbar. Als Alternative wurde in Apotheken Glucose-Monohydrat als abgeteiltes Pulver hergestellt. Teilweise wurde dem Pulver noch Citronensäure als pH-Korrigens und Citronenöl als Aromastoff hinzugefügt. Das Pulver musste dann in der Arztpraxis in Trinkwasser aufgelöst werden.

Die Deutsche Diabetes Gesellschaft sprach sich allerdings in einer Stellungnahme gegen diese Herstellung der Glucose-Lösung in der Arztpraxis aus. Die Zubereitung wäre fehleranfällig, die benötigte Menge an Flüssigkeit müsse präzise abgemessen werden, vielfach bliebe trotz kräftigem Rühren ein Bodensatz an Glucose. Eine falsche Herstellung kann letztendlich dazu führen, dass ein Gestationsdiabetes nicht erkannt wird.

Vor gut einem Jahr kam es bei der Durchführung des oralen Glucose-Toleranztests zum tragischen Tod einer jungen Frau und ihrem durch einen Notkaiserschnitt zur Welt gebrachten Baby. Das verwendete Glucose-Pulver war mit dem Lokalanästhetikum Lidocain verunreinigt. Der Fehler passierte damals in der herstellenden Apotheke, die genaue Klärung des Falls steht noch aus. Denkbar ist, dass ein Rest des Lokalanästhetikums, das in einem ähnlichen Gefäß wie Glucose gelagert wurde, in einen Behälter mit dem Traubenzucker geschüttet wurde. Die Firma Caelo als Marktführer hatte damals alle auf dem Markt befindlichen Chargen von Glucose und Glucose-Monohydrat überprüft und konnte keinerlei Auffälligkeiten feststellen.

Kein Glycerol, Natriumbenzoat statt Benzoesäure 

Auch vor dem Erscheinen der neuen NRF-Vorschrift 13.8. gab es schon die Möglichkeit, eine trinkfertige Lösung nach einer Standardzulassung herzustellen. Bei Lieferschwierigkeiten des FAM wurde davon auch in den Apotheken Gebrauch gemacht. Die Lösung zum Einnehmen enthielt neben Glucose-Monohydrat und Gereinigtem Wasser noch Glycerol, Citronensäure-Monohydrat und Benzoesäure. Die Zusammensetzung gilt aber nicht mehr als optimal, da das enthaltene Glycerol die bereits hohe Süße und Osmolalität der Lösung unnötig verstärkt. In diesem Zusammenhang kann es zu akuten gastrointestinalen Beschwerden bei der Schwangeren kommen. Um die schlecht wasserlösliche Benzoesäure in Lösung zu bringen, ist zudem Erhitzen bei der Herstellung nötig. Die neue Vorschrift „Glucose-Lösung 250 mg/ml für oGTT (NRF 13.8.)“ enthält aus diesem Grund kein Glycerol mehr und anstelle der Benzoesäure das leicht wasserlösliche Salz Natriumbenzoat.

Rezeptur teurer als FAM – Kostenträger auf dem Holzweg?

Zur Durchführung des oralen Glucose-Toleranztests sind anwendungsfertige Trinklösungen eindeutig die beste Alternative. Bei der Herstellung in der Apotheke sollte dabei auf die standardisierte NRF-Vorschrift 13.8. zurückgegriffen werden. Eine Zubereitung der Lösung aus glucosehaltigem Pulver unmittelbar vor der Einnahme in der Arztpraxis ist aufgrund ihrer Fehleranfälligkeit nicht zu empfehlen. 

Schon seit einigen Jahren haben die Krankenkassen das bisher erhältliche Fertigarzneimittel Accu-Chek Dextrose O.G-T. aus wirtschaftlichen Gründen nur in Ausnahmefällen bezahlt. Das Präparat hatte zuletzt einen Verkaufspreis von 5,53 Euro. Stattdessen wurde empfohlen, den Traubenzucker als portionsweise abgepacktes Pulver über die Apotheke zu beziehen. Je nach Einkaufspreis der Glucose mussten dann nur etwa 1,20 Euro bezahlt werden. 

Die Deutsche Diabetes Gesellschaft und die Deutsche Vereinte Gesellschaft für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin haben diese Vorgehensweise schon länger kritisiert. Durch diese fehleranfällige Selbstherstellung in der Arztpraxis werde die diagnostische Sicherheit und die Gesundheit von Mutter und Kind unnötig aufs Spiel gesetzt. Nach Meinung der Fachgesellschaften ist dieser Sparkurs der Kostenträger zudem eine Aufforderung an den Hersteller des Fertigarzneimittels die Produktion einzustellen.

Einheitliche Regelung mit den Kostenträgern wünschenswert

Tatsache ist auf jeden Fall, dass wenn nun zukünftig fertige Trinklösungen als Rezeptur von der Apotheke hergestellt werden, der Preis sehr deutlich über dem Betrag für das bisher verfügbare Fertigarzneimittel liegen wird. Schon allein der Rezepturzuschlag zur Herstellung einer Lösung unter Anwendung von Wärme beträgt bis zu einer Menge von 300 g bereits 6,00 Euro, hinzu kommen ein Zuschlag von 90 Prozent auf die Einkaufspreise für die benötigten Substanzen und das Gefäß sowie ein Fixzuschlag von 8,35 Euro. Eine einheitliche Regelung mit den Kostenträgern bezüglich einer Kostenübernahme der neuen NRF Vorschrift 13.8. ist daher wünschenswert.



Dr. Annina Bergner, Apothekerin, Autorin PTAheute.de
redaktion@daz.online


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3 Kommentare

Kostenberechnung oGTT

von Zück am 18.11.2020 um 15:30 Uhr

Sehr geehrte Frau Dr. Bergner, bitte erläutern Sie, warum auf eine Glucose-Lsg. (non RX) ein Festzuschlag von 8,35€ berechnet werden soll.

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Kostenberechnung oGTT

von Chris am 20.11.2020 um 22:27 Uhr

Es muss ja nicht zwangsläufig Rx sein. Auch wenn ausnahmsweise erstattungsfähige Rezepturen zulasten der GKV abgegeben werden, werden die i.d.R. mit Festzuschlag taxiert.

Billig, alles was für GKV zählt

von ratatosk am 16.11.2020 um 11:04 Uhr

Unsicher, arbeitsaufwendig in der Arztpraxis, alles egal, Hauptsache billig billig, alles was für die GKV zählt, ebenso wie das Teilen von allem und jedem, egal wieviel Tote durch Falschanwendung vorkommen mögen.
Das ist eben D 2020 als Unterabteilung von GKV und den Handlangern in der Politik

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

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