Auszeichnung in Chemie für zwei Frauen

Nobelpreis für die „Genschere“ CRISPR/Cas9

Stuttgart - 07.10.2020, 15:30 Uhr

Für die Entdeckung der genetischen Schere CRISOR/Cas9 erhielten die Wissenschaftlerinnen Emmanuelle Charpentier (l.) und Jennifer A. Doudna den Nobelpreis in Chemie. (Illustration: Niklas Elmehed for Nobel Media)

Für die Entdeckung der genetischen Schere CRISOR/Cas9 erhielten die Wissenschaftlerinnen Emmanuelle Charpentier (l.) und Jennifer A. Doudna den Nobelpreis in Chemie. (Illustration: Niklas Elmehed for Nobel Media)


Der Nobelpreis im Fach Chemie geht im Jahr 2020 an Emmanuelle Charpentier und Jennifer A. Doudna „for the development of a method for genome editing“. Wie die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften heute bekannt gab, haben die beiden Wissenschaftlerinnen eines der schärfsten Werkzeuge der Gentechnologie entdeckt: die genetische Schere CRISPR/Cas9. Es ist der erste Wissenschafts-Nobelpreis, den sich ausschließlich Frauen teilen.

Dank der genetischen Schere CRISPR/Cas9 können Forscher die DNA von Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen mit höchster Präzision verändern, heißt es in der Pressemitteilung zum Chemie-Nobelpreis 2020. Er wurde in diesem Jahr an Emmanuelle Charpentier und Jennifer A. Doudna für eben jene Genschere verliehen. Charpentier wurde 1968 in Frankreich geboren und ist heute Direktorin der Berliner Max-Planck-Forschungsstelle für die Wissenschaft der Pathogene. Doudna, 1964 in den USA geboren, ist Professorin an der University of California, Berkeley, und Forscherin am Howard Hughes Medical Institute.

Die Technologie der beiden habe einen revolutionären Einfluss auf die Biowissenschaften gehabt, trage zu neuen Krebstherapien bei und könnte den Traum von der Heilung vererbter Krankheiten wahr werden lassen, heißt es zur Begründung. „In diesem genetischen Werkzeug steckt eine enorme Kraft, die uns alle betrifft. Es hat nicht nur die Grundlagenwissenschaft revolutioniert, sondern auch zu innovativen Nutzpflanzen geführt und wird zu bahnbrechenden neuen medizinischen Behandlungen führen“, wird Claes Gustafsson, Vorsitzender des Nobelkomitees für Chemie, zitiert.  

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Genom-Editierung mit CRISPR-Cas9

Schon in der DAZ 19/2015 schrieben Professor Theo Dingermann und Dr. Ilse Zündorf „CRISPR/Cas9 – Kaum auszusprechen, aber eine Methode mit gewaltigem Potenzial!“ Die beiden Autoren erklärten damals in der DAZ, dass CRISPR keine Erfindung aus einem Genlabor sei. Vielmehr handele es sich um eine Art Immunsystem der Eubakterien und Archae-Bakterien. Entdeckt wurde dieses System indirekt schon 1987, allerdings verstand man die Bedeutung einer damals gefundenen bakteriellen Genom-Sequenz noch nicht. „Als um die Jahrhundertwende das Sequenzieren von Genomen unterschiedlicher Mikroorganismen gewissermaßen industrialisiert wurde“, schreiben Dingermann und Zündorf, habe man in vielen Eubakterien und ­Archae-Bakterien aber wieder solche Genom-Anordnungen gefunden. Der Niederländer Ruud Jansen taufte eine entsprechende Konstellation „clustered regularly interspaced short palindromic ­repeats“ – also CRISPR. Holländische Wissenschaftler benannten in direkter Nachbarschaft zur CRISPR-Region entdeckte Gene „CRISPR-associated genes“, kurz Cas. Bis aber erkannt wurde, dass das CRISPR/Cas-System eine bisher unbekannte Variante eines bakteriellen Abwehrsystems repräsentieren könnte, dauerte es noch ein paar Jahre. 

Als es so weit war, fiel auf, dass die CRISPR-Spacer-Sequenzen verblüffende Übereinstimmungen mit Phagen-Sequenzen zeigten – die Hypothese: Könnte es sein, dass Cas-Enzyme bei Infektion eines Bakteriums mit einem Bakteriophagen einen Teil der Phagen-DNA ausschneiden und diese in ihre CRISPR-Region inserieren? „Damit wäre gewissermaßen ein Infektionsgedächtnis etabliert, quasi ein Analogon zu unserem spezifischen Immunsystem, das bei einer erneuten Infektion von Nutzen sein könnte“, schrieben Dingermann und Zündorf in der DAZ. 

Wie die beiden Nobelpreisträgerinnen CRISPR/Cas9 in die Welt brachten

Die eigentliche „Genschere“ ist also die Cas-Nuklease. Sie bildet einen Komplex mit einem Molekül RNA (crRNA), das von einem Spacer-CRISPR-DNA-Segment abgelesen wurde, das potenziell einer Phagen-Sequenz entspricht. Findet diese crRNA dann die komplementäre Sequenz auf der DNA eines eingedrungenen Phagen, bindet sie spezifisch und fest an die Phagen-DNA – und die Cas-Nuklease kann die DNA zerschneiden. Übrigens kann die crRNA erst nach Hybridisierung mit einer anderen, vom CRISPR-System codierten RNA, der transaktivierenden CRISPR-RNA (tracrRNA), einen Komplex mit der Cas-Nuklease ausbilden. 

Eben jene tracrRNA hat Emmanuelle Charpentier während ihrer Studien am Bakterium Streptococcus pyogenes entdeckt. „Ihre Arbeit zeigte, dass die tracrRNA Teil des alten Immunsystems von Bakterien, CRISPR/Cas, ist, das Viren durch die Spaltung ihrer DNA entwaffnet“, erklärt die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften. Schon 2015 schrieben Dingermann und Zündorf in der DAZ, dass das am weitesten eingesetzte CRISPR/Cas-System das CRISPR/Cas9-System aus Streptomyces pyogenes sei

Charpentier veröffentlichte ihre Entdeckung im Jahr 2011. Im selben Jahr begann sie die Zusammenarbeit mit Jennifer Doudna. Doudna sei eine erfahrene Biochemikerin mit breitem Wissen über RNA. Gemeinsam sei es den beiden gelungen, die genetische Schere des Bakteriums im Reagenzglas nachzubauen und die molekularen Bestandteile der Schere zu vereinfachen, heißt es: Ihre Studie erschien am 17. August 2012 im Fachjournal „Science“. Kurz darauf stellte der Bioingenieur Feng Zhang vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) im gleichen Journal eine Arbeit zur universellen Einsetzbarkeit der Methode vor, erklärt die Deutsche Presse-Agentur (dpa).

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Seit Charpentier und Doudna 2012 die genetische Schere CRISPR/Cas9 entdeckt haben, sei ihr Gebrauch explodiert. Das Werkzeug habe zu vielen wichtigen Entdeckungen in der Grundlagenforschung beigetragen. Pflanzenforscher waren außerdem in der Lage, Nutzpflanzen zu entwickeln, die Schimmel, Schädlingen und Dürre widerstehen. „Diese genetische Schere hat die Biowissenschaften in eine neue Epoche geführt und bringt in vielerlei Hinsicht den grössten Nutzen für die Menschheit“, heißt es in der Pressemitteilung.

Viele Menschen hätten den Preis für diese Entwicklung schon erwartet, sagte Pernilla Wittund Stafshede vom Nobelkomitee. Charpentier sagte in einer ersten Reaktion: „Mir wurde oft gesagt, dass ich den Preis erhalten könnte, aber als es jetzt passierte, war ich dennoch überrascht.“

„Wie jede mächtige Technologie muss auch diese Genschere reguliert werden“

Allerdings betont das Komitee in seiner Begründung auch den möglichen Missbrauch des Werkzeugs. „Wie jede mächtige Technologie muss auch diese Genschere reguliert werden.“ Für weltweite Empörung sorgte im November 2018 das Video eines chinesischen Forschers, der die Geburt zweier Zwillingsmädchen bekanntgab, deren Erbgut er mit CRISPR/Cas9 manipuliert hatte. „Wir brauchen eine verstärkte Debatte und internationale Regularien zu den potenziellen Risiken von CRISPR/Cas9 als Gen-Editing-Technik“, sagte Charpentier 2018 der dpa. „Als Wissenschaftler tragen wir auch eine gewisse Verantwortung: Wir müssen sicherstellen, dass es für jede potenzielle Therapie am Menschen angemessene Sicherheits- und Effizienz-Maßnahmen gibt und dass jede ethisch fragwürdige Nutzung dieser Technik verboten wird.“

Seit 1901 wurde der Chemie-Nobelpreis an 185 verschiedene Forscher vergeben. Einer von ihnen, der Brite Frederick Sanger, erhielt ihn zweimal. Unter den Preisträgern waren zuvor nur fünf Frauen, etwa Marie Curie 1911, die die radioaktiven Elemente Polonium und Radium entdeckte. Der jetzt für das CRISPR/Cas9-System verliehene Chemie-Nobelpreis ist der erste wissenschaftliche Nobelpreis, den sich ausschließlich Frauen teilen. 

Die renommierteste Auszeichnung für Chemiker ist in diesem Jahr mit insgesamt 10 Millionen Kronen (rund 950.000 Euro) dotiert – 1 Million Kronen mehr als im Vorjahr. Die feierliche Übergabe der Preise findet traditionsgemäß am 10. Dezember statt, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel.

Die Chemie-Nobelpreisträger seit 2010

Die seit 1901 verliehenen Chemie-Nobelpreise gingen vor allem an amerikanische Forscher. Die erste Auszeichnung erhielt der Niederländer Jacobus van't Hoff für die Entdeckung von Gesetzen der Osmose. Die Preisträger der vergangenen zehn Jahre sind:

2019: Der US-Amerikaner John Goodenough, der in Großbritannien geborene Stanley Whittingham und der Japaner Akira Yoshino. Sie waren entscheidend an der Entwicklung von wiederaufladbaren Lithium-Ionen-Batterien beteiligt.

2018: Die US-Amerikanerin Frances Arnold, ihr Landsmann George Smith und der Brite Gregory Winter haben Methoden entwickelt, mit denen es möglich ist, etwa Biokraftstoffe, Arzneimittel und therapeutisch wirkende Antikörper umweltfreundlich herzustellen.

2017: Der Deutsch-Amerikaner Joachim Frank, der Schweizer Jacques Dubochet und der Brite Richard Henderson für die Kryo-Elektronenmikroskopie. Damit lassen sich Biomoleküle im Detail untersuchen – sie zeigt etwa dreidimensionale Bilder von Proteinen.

2016: Der Franzose Jean-Pierre Sauvage, der gebürtige Brite James Fraser Stoddart und der Niederländer Bernard Feringa. Sie bauten aus nur wenigen Molekülen etwa künstliche Muskeln und ein Mini-Auto.

2015: Tomas Lindahl (Schweden), Paul Modrich (USA) und Aziz Sancar (USA/Türkei), die Erbgut-Reparatursets beschrieben hatten. Diese Erkenntnisse dienen unter anderem zur Suche nach Krebsmedikamenten.

2014: Der deutsche Forscher Stefan Hell sowie die US-Amerikaner Eric Betzig und William Moerner für die Erfindung superauflösender Mikroskope. Damit kann man in lebende Zellen blicken und Abläufe bei Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson beobachten.

2013: Martin Karplus (USA/Österreich), Michael Levitt (USA/Großbritannien) und Arieh Warshel (USA/Israel) für Methoden, mit denen sich auch komplexe chemische Reaktionen virtuell nachvollziehen lassen.

2012: Robert Lefkowitz und Brian Kobilka aus den USA für die Entdeckung von Rezeptoren, die zahlreiche Signale von außen in die Körperzellen übermitteln.

2011: Dan Shechtman (Israel), der Quasikristalle entdeckt hatte, die zuvor von vielen Chemikern für unmöglich gehalten wurden.

2010: Richard Heck (USA) sowie die Japaner Ei-ichi Negishi und Akira Suzuki, die komplexe Substanzen aus Kohlenstoff herstellten. Sie bauten so unter anderem natürliche Wirkstoffe gegen Krebs nach.



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