Lehren aus der Sartan-Krise

Warum es im Arzneimittelmarkt dringend mehr Transparenz braucht

Stuttgart - 11.09.2020, 11:45 Uhr

Valsartan, Candesartan, Irbesartan, Olmesartan – es gibt zahllose Wirkstoffe zur Blutdrucksenkung und noch mehr entsprechende Fertigarzneimittel. Aber wie unterscheiden sich eigentlich die Wirkstoffe in den jeweiligen Präparaten? Woher beziehen die Zulassungsinhaber ihren Wirkstoff? (c / Foto: Schelbert)

Valsartan, Candesartan, Irbesartan, Olmesartan – es gibt zahllose Wirkstoffe zur Blutdrucksenkung und noch mehr entsprechende Fertigarzneimittel. Aber wie unterscheiden sich eigentlich die Wirkstoffe in den jeweiligen Präparaten? Woher beziehen die Zulassungsinhaber ihren Wirkstoff? (c / Foto: Schelbert)


Die Sartan-Krise: Wenn keiner weiß, was der andere tut

Aus dem EMA-Dokument geht hervor, dass die Behörden international in einer ersten Reaktion auf das Bekanntwerden einer Nitrosaminverunreinigung zwischen Juni und Juli 2018 schnell reagierten – nachdem ein potenzieller Kunde des chinesischen Wirkstoffherstellers Zhejiang Huahai den Wirkstoffhersteller über eine unerwartete Verunreinigung im Wirkstoff Valsartan informiert hatte. Ab August 2018 entwickelte sich die Situation dann allerdings schnell weiter. Es bestätigten sich nämlich der Verdacht, dass die Nitrosaminverunreinigungen sich nicht nur auf den Wirkstoff Valsartan von Zehjiang Huahai beschränken. Die EMA und die national zuständigen Behörden standen damit der Herausforderung gegenüber, schnell herauszufinden, welche Fertigarzneimittel tatsächlich betroffen sind.

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In dem Dokument heißt es, dass dabei eine Reihe von Systemmängeln angesichts „eines Vorfalls solchen Ausmaßes“ deutlich wurden:

  • Erstens verfügten die Regulierungsbehörden nicht über geeignete Datenbanken, um die Wirkstoffhersteller mit den Endprodukten zu verknüpfen, unter Berücksichtigung von ASMFs (Wirkstoff-Stammdokumentation) und CEPs (Certificate of Suitability of Monographs of the European Pharmacopoeia).
  • Zweitens hatten auch die Zulassungsinhaber offenbar keine leicht zugänglichen Informationen darüber, welche Fertigarzneimittel mit den betreffenden Wirkstoffchargen hergestellt worden waren und wohin sie weiter verkauft worden waren.
  • Drittens hatten wiederum die Wirkstoffhersteller wohl nur wenige Informationen darüber, welche Fertigarzneimittel ihre Wirkstoffe enthalten.
  • Viertens wurde die Rückverfolgung der betroffenen Produkte durch das Vorhandensein von Parallelimporten beeinträchtigt. In manchen Fällen seien diese mit den Originalnamen gekennzeichnet worden, obwohl es sich um generische Versionen gehandelt habe. Dadurch wurde zusätzlich erschwert, schnell zu ermitteln, welche parallel importierten Produkte Valsartan von Zhejiang Huahai und anderen betroffenen Wirkstoffherstellern enthielten.
  • Und als wäre all dies nicht genug, wird in dem Dokument als fünfter Mangel aufgeführt, dass auch die Nutzung von ASMFs und CEPs zusätzliche Komplexität in die Verfolgung betroffener Produkte gebracht habe. Denn häufig habe es hinsichtlich wichtiger Details wie Namen und Adressen von Firmen Diskrepanzen zwischen den Dossiers, CEPs und ASMFs gegeben.

Schließlich sei die Rückverfolgung der Herkunft von Wirkstoffen zwar nicht die einzige Herausforderung gewesen, die sich den Zulassungsbehörden mit zunehmendem Ausmaß des Falls präsentierte. Auch der Mangel an validierten analytischen Methoden bedeutete, dass einige Zulassungsinhaber und Hersteller nicht wussten, wie man auf Nitrosamine testet. Letztlich sei aber schon allein herausfordernd gewesen, den sich schnell entwickelnden Fall überhaupt im Blick zu behalten, da es keine zentrale Datenbank gab, um die Entwicklungen zu erfassen. Zusätzlich habe die Gefahr bestanden, dass nicht alle nationalen Behörden immer über die aktuellsten Informationen verfügten, weil das E-Mail-System die Nutzung einzelner Mail-Adressen erforderte – sodass manche vergessen werden konnten.

So komplex sich also die Nitrosamin-Krise entwickelt haben mag. Es lässt sich kaum bestreiten, dass – neben mangelndem pharmazeutischen, analytischen und chemischen Wissen – vieles hätte besser laufen können, wären die Lieferketten im Arzneimittelmarkt transparenter. 

Mit mehr Transparenz könnte man in einer weiteren Krise nicht nur schneller reagieren. Wahrscheinlich wäre auch, dass mit den Lieferwegen vonseiten der Pharmaunternehmen bereits präventiv verantwortungsvoller umgegangen wird. Mit dem Gewinn an Wissen über die beteiligten Firmen ließe sich schließlich nicht nur ein mögliches Verunreinigungsrisiko besser nachverfolgen, sondern auch Umweltaspekte und Menschenrechte könnten in der Arzneimittelindustrie zunehmend berücksichtigt werden.

Nicht zuletzt geht das Dokument auch auf einen weiteren bereits viel diskutierten Punkt ein, der durch mehr Transparenz offengelegt werden würde: Die starke Abhängigkeit von einem einzelnen Wirkstoffhersteller (und den zugehörigen Arzneimittelherstellern und Zulassungsinhabern) – zur Sicherstellung der Qualität und Sicherheit des Wirkstoffs. Sie zeige ein Problem auf, das erkannt und angegangen werden sollte, heißt es.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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