Immunthrombosen durch SARS-CoV-2

Gibt es einen gemeinsamen Risikofaktor für schwere COVID-19-Verläufe?

Stuttgart - 12.08.2020, 17:50 Uhr

Neben dem besonderen Verhalten des Immunsystems wurde in den vergangenen Monaten auch immer wieder über rätselhafte Blutgerinnsel im Zusammenhang mit schweren Verläufen einer COVID-19-Erkrankung berichtet. (s / Bild: rost9 / stock.adobe.com)

Neben dem besonderen Verhalten des Immunsystems wurde in den vergangenen Monaten auch immer wieder über rätselhafte Blutgerinnsel im Zusammenhang mit schweren Verläufen einer COVID-19-Erkrankung berichtet. 
(s / Bild: rost9 / stock.adobe.com)


Konkrete Folgen für die COVID-19-Therapie?

Ebenfalls am 3. August haben Wissenschaftler der Goethe-Universität und des Universitätsklinikums Frankfurt sowie der britischen University of Kent eine Pressemitteilung veröffentlicht. Sie beziehen sich auf eine Publikation in „Diagnostics“ und haben dabei ebenfalls den Faktor Blutgerinnung näher untersucht. Konkret heißt das: Das Wissenschaftsteam hat bestehende Genexpressionsdaten menschlicher Gewebe mit Daten verglichen, die aus SARS-CoV-2-infizierten, kultivierten Zellen gewonnen worden waren, wobei sie nach Molekülen suchten, die an der Blutgerinnung beteiligt sind. Außerdem sollte sich deren Vorkommen bei Frauen und Männern unterscheiden, sich mit dem Alter verändern und mit einer SARS-CoV-2-Infektion anders reguliert werden.

Das Ergebnis: Möglicherweise spielt das Glykoprotein Transferrin bei schwerem COVID-19-Verlauf eine Rolle. „Der molekulare Eisen-Transporter ist ein Molekül, das die Blutgerinnung fördert. Seine Konzentration im Blut steigt mit dem Alter, sie ist bei Männern höher als bei Frauen und Transferrin wird in SARS-CoV-2-infizierten Zellen hochreguliert“, heißt es zur Erklärung. Könnte Transferrin also ein Frühindikator sein, wenn ein schwerer Krankheitsverlauf droht?

Angenommen, die Blutgerinnung nimmt bei schweren COVID-19-Verläufen tatsächlich eine so zentrale Rolle ein, wie aus den Medienberichten der Eindruck entstehen kann – welche Konsequenzen hätte das für die Behandlung der mit SARS-CoV-2 infizierten Menschen? 

Schon seit dem 21. April empfiehlt die Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung (GTH) die großzügige Thromboseprophylaxe mit niedermolekularem Heparin (NMH) bei COVID-19, unabhängig von der Notwendigkeit einer Hospitalisierung. Die Dosierung sollte dabei in einer für den Hochrisikobereich zugelassenen Dosierung erfolgen. Bei Kontraindikationen für eine Antikoagulation seien physikalische Maßnahmen wie Kompressionsstrümpfe empfehlenswert. Hospitalisierte Patienten sollen fortlaufend hämostaseologisch überwacht werden, heißt es außerdem in den Empfehlungen

Die FAU-Forscher, die über die Immunthrombose berichtet haben, sehen außerdem darin einen Behandlungsansatz, die Zusammenballung von neutrophilen Granulozyten zu hemmen und die vermehrte NET-Bildung zu verhindern. In der Mitteilung heißt es dazu beispielsweise, dass dies etwa durch Dexamethason, das Zellaggregation hemme, geschehen könnte sowie durch Wirkstoffe, die der NET-Bildung entgegenwirken. Die EMA prüft derzeit Dexamethason zur Behandlung von Erwachsenen mit COVID-19 und in den Empfehlungen zur intensivmedizinischen Therapie von Patienten mit COVID-19 steht mittlerweile wörtlich: „Ein Einsatz von Dexamethason (Dosis 6 mg/d einmal täglich für 10 Tage) bei beatmungspflichtigen Patienten mit COVID-19 wird empfohlen.“ Ist die Behandlung mit Dexamethason also vielleicht auch deshalb so vielversprechend, weil es Immunthrombosen vorbeugen könnte?

Aber auch was Heparin angeht, haben die FAU-Wissenschaftler offenbar eine bislang wenig beachtete Funktion des Blutgerinnungshemmers beobachtet: Es unterstütze den Abbau von NETs und verbessere so die Blutzirkulation. Die DAZ 20/2020 hatte noch berichtet, dass eine Heparinprophylaxe bei COVID-19 (in Standarddosen) interessanterweise nur begrenzt zu wirken scheint. 



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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