Überstürzte Aktion

Russische COVID-19-Vakzine soll bald in die Massenproduktion gehen

Remagen - 06.08.2020, 11:45 Uhr

Überspringt Russland bei seinem COVID-19-Impfstoffkandidaten wichtige klinischen Phase-3-Studien und behandelt diese eher wie eine Phase-4-Sicherheitsstudie nach dem Inverkehrbringen? (Foto: imago images / Fotoarena)

Überspringt Russland bei seinem COVID-19-Impfstoffkandidaten wichtige klinischen Phase-3-Studien und behandelt diese eher wie eine Phase-4-Sicherheitsstudie nach dem Inverkehrbringen? (Foto: imago images / Fotoarena)


Angeblich soll Russlands COVID-19-Impfstoff aus dem staatlichen Gamaleya-Forschungsinstitut kurz vor dem Einsatz in großem Maßstab stehen. „Wie kann das möglich sein?“ fragt das Fachportal TrialSiteNews, nach nur etwa drei Monaten klinischer Erprobung und bislang ohne staatliche Zulassung.

Russland behauptet, dass sein nationaler Impfstoff auf Adenovirus-Basis, der von der staatlichen Forschungseinrichtung in Moskau Gamaleya Research Institute entwickelt wurde, bald in die Massenproduktion gehen soll. Das ist in dem US-Fachprotal „TrialSiteNews“ nachzulesen. Gegenüber „Tass“, eine der größten russischen Nachrichtenagenturen mit Hauptsitz in Moskau, habe der russische Gesundheitsminister Mikhail Murashko berichtet, dass die klinischen Studien abgeschlossen und die Unterlagen für die Genehmigung eingereicht worden seien. 

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Der Impfstoff soll im August den Regulierungsprozess durchlaufen und bald darauf an Gesundheitspersonal verabreicht werden. Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters soll Murashko nach Abschluss der klinischen Studien außerdem eine „Massenimpfkampagne gegen das neuartige Coronavirus für Oktober“ vorbereiten. Demzufolge scheine der Gamaleya-Impfstoff in etwa drei Monaten den gesamten klinischen Forschungsprozess durchlaufen zu haben, schlussfolgert TrialSite und fragt verwundert: „Wie kann das alles sein?“

Skepsis im Westen

Viele im Westen, einschließlich TrialSite selbst, stünden dem Zeitplan des Gamaleya-Instituts ziemlich skeptisch gegenüber, heißt es dort weiter. Der US-Immunologe Anthony Fauci soll gegenüber einem Gremium von US-Gesetzgebern geäußert haben: „Ich hoffe, dass die Chinesen und Russen die Impfstoffe tatsächlich testen, bevor sie den Impfstoff an irgendjemanden verabreichen“. Aber angesichts der „hyperbeschleunigten“ Zeitspanne für die Impfstoffentwicklung befürchteten eine Reihe westlicher Medien, dass Moskau seinen Nationalstolz über die Wissenschaft und Sicherheit der Bürger stellen könnte. Schließlich sei die Phase 1 erst vor nicht viel mehr als einem Monat abgeschlossen worden und die Phase 2 dauere wahrscheinlich noch an. Es scheine fast, als ob die Russen ihren nationalen Primärimpfstoff schnell vorantreiben würden, damit er sogar ohne Abschluss einer entscheidenden klinischen Phase-3-Studie zugelassen werde. Oder Russland überspringe diese entscheidende Phase und behandele diese eher wie eine Phase-4-Sicherheitsstudie nach dem Inverkehrbringen.

Wo der Impfstoff herkommt

In einen früheren Bericht von Anfang Juni dieses Jahres hatte TrialSite schon einmal einen Blick hinter die Kulissen der russischen Turbo-Entwicklung eines COVID-19-Impfstoffs geworfen. Eine wichtige Rolle in diesem Szenario spielt der russische Direktinvestitionsfonds (Russian Direct Investment Fund, RDIF), der 2011 gegründet wurde, um in führende wachstumsstarke Unternehmen in Russland zu investieren und ausländische Direktinvestitionen anzuziehen. Laut RDIF wurde der russische COVID-19-Impfstoff von denselben Regierungslabors entwickelt, die einen „wirksamen Wirkstoff gegen das Ebola-Virus sowie einen Impfstoff gegen das MERS-Virus (Middle East Respiratory Syndrome) entwickelt haben.“ Der Impfstoff soll die Zeit verkürzen, die für die tatsächliche Entwicklung der Immunität gegen SARS-CoV-2 benötigt wird. Der Hauptentwickler, das von der Regierung unterstützte Gamaleya National Research Institute für Epidemiologie und Mikrobiologie, berichtet, dass die erste Impfung zu einer humoralen zellulären Immunität führt. Nach der zweiten Verabreichung soll das Schlüsselmerkmal der Vakzine zum Tragen kommen, die Bildung von immunologischen Gedächtniszellen.

Testung an Militär und VIPs

Nach einer erfolgreichen präklinischen Erforschung an Hamstern und Affen begann die Testung am Menschen Mitte Juni. Laut Tass wurden hierfür zwei Gruppen von Freiwilligen aus einem Pool von Militärpersonal und Zivilisten ausgewählt. Am 4. und 9. Juni sollen nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums 50 „Soldaten“, darunter zehn Mediziner, für die Studie in eine 14-tägige Quarantäne gebracht worden sein, um die Möglichkeit einer Übertragung der Infektion auf andere Teilnehmer und medizinisches Personal auszuschließen.

Außerdem soll ein Programm erstellt worden sein, das es wohlhabenden, mächtigen und einflussreichen Russen ermöglichte, sich frühzeitig anzumelden, „um dem Staat im Wesentlichen als menschliche Meerschweinchen zu dienen“. Diese Nachricht sei aus einem Bloomberg-Bericht aufgetaucht, wonach Russlands geschäftliche, politische und militärische Elite frühzeitig Zugang zu dem Impfstoff gegen COVID-19 erhalten haben soll. Auch der mächtige Leiter des russischen Staatsfonds (RDIF), Kirill Dmitriev, soll zugegeben haben, den Impfstoff erhalten zu haben.

Zahlreiche Anfragen aus anderen Ländern

Bald soll es auch schon mit der Massenproduktion losgehen. Hergestellt werden soll der Impfstoff im „Alium-Werk“ in Zelenograd in der Moskauer Metropolregion. Alium gehört zu den zehn größten Pharmaunternehmen Russlands. Wie die indische Economic Times berichtet sollen Indien und eine Reihe anderer Länder, darunter Brasilien, bereits Interesse an der Produktion eines russischen Impfstoffs angemeldet haben. Die Zeitung beruft sich hierbei auf Äußerungen des RDIF-Chefs Dmitriev in einem Interview mit dem Fernsehsender Rossiya-24. Seine Organisation habe Anfragen für den russischen Impfstoff aus insgesamt mehr als zwanzig Ländern erhalten, habe er verlauten lassen. 



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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