COVID-19 in der Schwangerschaft

SARS-CoV-2-Infektion des Babys schon im Mutterleib möglich

Stuttgart - 23.07.2020, 07:00 Uhr

SARS-CoV-2 kann nach aktuellem Stand der Wissenschaft von einer infizierten Mutter in der Schwangerschaft auf ihr ungeborenes Baby übertragen werden. (Foto: Zffoto / stock.adobe.com)

SARS-CoV-2 kann nach aktuellem Stand der Wissenschaft von einer infizierten Mutter in der Schwangerschaft auf ihr ungeborenes Baby übertragen werden. (Foto: Zffoto / stock.adobe.com)


Können sich Babys bereits im Mutterleib mit SARS-CoV-2 infizieren und können Coronaviren von einer an COVID-19 erkrankten Schwangeren auf das Ungeborene übergehen? Die Datenlage war bislang unklar. Nun zeigt der Fall einer Schwangeren aus Frankreich, dass eine Ansteckung des Säuglings über die Plazenta im Mutterleib möglich ist. Wieder einmal könnte ACE2, die Eintrittspforte von SARS-CoV-2 in die Zelle, eine Rolle spielen.

Schon länger wurde diskutiert, ob SARS-CoV-2 von infizierten Schwangeren auch auf deren ungeborene Kinder übertragen werden kann: Ende März veröffentlichten Wissenschaftler um Hui Zeng im amerikanischen Ärzteblatt (Journal of the American Medical Association, JAMA), dass sie zwar Antikörper gegen Coronaviren bei Neugeborenen von infizierter Müttern gefunden hatten, nicht jedoch das Virus selbst (negative PCR-Tests nach Geburt). Die Antikörper (IgG) könnten von der Mutter über die Plazenta auf das Baby übergegangen sein, vermuteten sie. Jedoch wurden manche Säuglinge auch positiv auf IgM getestet – und diese Antikörpergruppe sei zu groß, um die Plazentaschranke zu überqueren. Somit könnten die Coronaviren alternativ bereits über die Plazenta auf das Kind übertragen und das gefundene IgM vom Kind selbst produziert worden sein, lautete eine mögliche Erklärung im JAMA.

Nun erhärtet sich der letztere Verdacht einer intrauterinen (innerhalb der Gebärmutter) Übertragung: Eine SARS-CoV-2-infizierte Schwangere brachte in Frankreich einen coronapositven Jungen zur Welt. Veröffentlicht wurde der Einzelfallbericht Mitte Juli in Nature Communicatons („Transplacental transmission of SARS-CoV-2 infection“).

Coronapositiver Säugling

Den Wissenschaftlern um  Alexandre J. Vivanti zufolge wurde bereits im März 2020 eine 23-jährige schwangere Frau (Schwangerschaftswoche 35+2) in ein französisches Universitätsklinikum aufgenommen: Sie hatte Fieber (38,6 °C), schweren Husten und konnte mittels PCR positiv auf SARS-CoV-2 getestet werden (die E- und S-Gene von SARS-CoV-2 wurden im Blut, im Nasopharynx [Nasenrachenraum] und in der Vagina nachgewiesen). Die Schwangerschaft verlief bis zu diesem Zeitpunkt ohne Komplikationen, das Baby wurde drei Tage später per Kaiserschnitt entbunden (Schwangerschaftswoche 35+5).

SARS-CoV-2 konnte beim Neugeborenen mittels RT-PCR im Nasopharynx  (1 Stunde nach Entbindung, dann an den Tagen 3 und 18), im Blut, rektal und im Bronchialsekret (nicht-bronchoskopische broncheoalveoläre Lavage) nachgewiesen werden. Die späteren Abstriche (Tage 3 und 18) konnten mehr Virus nachweisen als direkt nach der Geburt, das sei eine Bestätigung, dass das Baby bei Geburt tatsächlich infiziert gewesen sei und nicht einfach durch die Mutter kontaminiert, schlussfolgern die Wissenschaftler.

Neurologische Auffälligkeiten beim Baby

Drei Tage nach Entbindung zeigte der Säugling neurologische Symptome und Auffälligkeiten, ähnlich derer, die man von erwachsenen Coronapatienten kenne. Andere Infektion konnten die Wissenschaftler ausschließen (Bakterien, Pilze oder Herpesviren). Die neurologischen Symptome seien insofern interessant, so die Wissenschaftler, da in anderen Fällen sich vermutete SARS-CoV-2-Infektionen bei Säuglingen mit unspezifischen Symptomen oder einer Lungenentzündung gezeigt hätten. Neurologische Symptome hingegen würden eher bei Erwachsenen beobachtet. So wissen die Wissenschaftler mindestens von einem weiteren Säugling mit neurologischen Symptomen am Städtischen Klinikum Dresden. Dort war jedoch der Übertragungsweg unklar, auch wenn die Dresdner Ärzte aufgrund der sehr frühen Symptomatik nach Geburt eine intrauterine SARS-COV-2-Infektion zur Debatte stellten. („Neonatal Early-Onset Infection With SARS-CoV-2 in a Newborn Presenting With Encephalitic Symptoms“, veröffentlicht im Mai 2020 als Brief in The Pediatric Infectious Disease Journal).

Im Falle des französischen Babys beschrieben die Wissenschaftler unter anderem eine Erregbarkeit, schlechtere Nahrungsaufnahme, Hypertonie und Krämpfe – vor allem in der Streckmuskulatur des Rückens (Opisthotonus) –, und sie konnten Entzündungen im Liquor (Nervenwasser) nachweisen. Die Symptome besserten sich nach Tagen wieder, zwei Monate später bezeichneten die Wissenschaftler die neurologischen Symptome als „verbessert“ (weniger Läsionen der weißen Hirnsubstanz), das Wachstum des Babys sei normal.

Coronaviren vor allem in der Plazenta

Auch das Fruchtwasser wurde positiv auf SARS-CoV-2 getestet, besonders hoch war die Konzentration der E- und S-Gene von SARS-CoV-2 in der Plazenta. Zudem zeigte die Plazenta Anzeichen von Entzündungen, wie sie bereits früher bei mit anderen Coronaviren (SARS-CoV-1) infizierten Schwangeren gezeigt werden konnten. Die Wissenschaftler vermuten, dass es zu einer aktiven Vermehrung des Virus in der Plazenta kommt, sie sehen den Nachweis einer intrauterinen Übertragung über die Plazenta dadurch als erbracht: „Da die RT-PCR auf dem Plazentagewebe positiv für SARS-CoV-2 war und sowohl die mütterlichen als auch die neonatalen Blutproben ebenfalls positiv waren, erfolgte die Übertragung eindeutig über die Plazenta“, folgert Alexandre J. Vivanti.

ACE2: Türöffner von SARS-CoV-2 besonders hoch in Plazenta

Interessanterweise könnte auch hier ACE2 (Angiotensin Converting Enzyme 2) eine Rolle spielen. Nach aktuellem Kenntnisstand ist ACE2 die Eintrittspforte von SARS-CoV-2 in die menschliche Zelle – und ACE2 wird in der Plazenta besonders stark gebildet: „Es ist bekannt, dass Angiotensin-konvertierendes Enzym 2 (ACE2) der Rezeptor von SARS-CoV-2 ist und in Plazentageweben hoch exprimiert wird“, schreiben die Wissenschaftler. Sie belegen ihre Aussage mit einer früheren Arbeit aus dem April dieses Jahres „The SARS-CoV-2 receptor ACE2 expression of maternal-fetal interface and fetal organs by single-cell transcriptome study“, veröffentlicht in PLOS One. Tierversuche in Mäusen zeigten, dass sich die Expression von ACE2 in fetalen/neonatalen Geweben im Laufe der Zeit verändere, besonders hoch sei ACE2 in den letzten Tagen der Schwangerschaft und den ersten Tagen nach Geburt.

ACE2 als Eintrittspforte für SARS-CoV-2

Um sich zu vermehren, muss das Coronavirus SARS-CoV-2 in die menschliche Zelle gelangen. Dabei scheint das Angiotensin Converting Enzyme 2 (ACE2) eine wichtige Rolle zu spielen. Dieses Enzym durchzieht die Membran der menschlichen Zelle und soll als Eintrittspforte (Rezeptor) des Virus in die Zelle fungieren.

Die Wissenschaftler sehen ihre Befunde durch diese früheren Untersuchungen zusätzlich bestätigt: „Die Kombination dieser Daten und unserer Ergebnisse bestätigt, dass eine transplazentare Übertragung in den letzten Schwangerschaftswochen tatsächlich möglich ist, obwohl wir eine mögliche Übertragung und deren Auswirkungen auf den Fetus zu einem früheren Zeitpunkt während der Schwangerschaft nicht ausschließen können.“

Übertragung über die Plazenta möglich

Das Fazit der Wissenschaftler: „Zusammenfassend haben wir gezeigt, dass die transplazentare Übertragung einer SARS-CoV-2-Infektion während der letzten Schwangerschaftswochen möglich ist.“

Übertragung im Mutterleib eher selten?

Im Ärzteblatt nimmt PD Dr. Ulrich Pecks, leitender Oberarzt an der Klinik für Geburtshilfe der Universität Kiel und Experte der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), zu den neuen Erkenntnissen Stellung. „Wir müssen davon ausgehen, dass das Neugeborene auch ansteckend ist“, erklärt Pecks. Unklar sei jedoch, ob bestimmte Begleitumstände und prädisponierende Faktoren bei der französischen Schwangeren und ihrem Neugeborenen den „schweren Verlauf“ erklären könnten.

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Im Ärzteblatt schätzt Susanne Modrow,  Professorin für Molekulare Virologie und Genetik am Institut für Mikrobiologie und Hygiene der Universität Regensburg, dass „Übertragungen und Infektionen aber wohl nur vorübergehend zu bestimmten Zeitfenstern möglich“ seien, da die Produktion von ACE2 von der Zellentwicklung abhängig sei. Das bedeute, dass mehrere Faktoren für eine Infektion des Ungeborenen zusammenkommen müssten, eine „hinreichend hohe Virämie der Mutter“ und gleichzeitig „die Synthese ausreichender Mengen von ACE2“. Dadurch sei nach aktuellem Stand eine „fetale SARS-CoV-2-Infektion wohl ein recht seltenes Ereignis“. Erfolge die Übertragung von SARS-CoV-2 eher in der Spätschwangerschaft, sei zudem die „Organentwicklung weitgehend abgeschlossen“, sie geht dann davon aus, dass sich  deswegen die Symptome der fetalen und postnatalen Erkrankung ähneln.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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