Fehlbildungen nach Valproatexposition

Ermittlungsverfahren gegen Sanofi eingeleitet

Stuttgart - 04.02.2020, 12:45 Uhr

Frankreichs Justiz hat gegen Sanofi ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Nach Angaben der französischen Nachrichtenagentur AFP wird gegen Sanofi wegen fahrlässiger Körperverletzung und schwerer Täuschung im Zusammenhang mit dem Epilepsiemittel Depakine ermittelt. (s / Foto: imago images / PanoramiC)

Frankreichs Justiz hat gegen Sanofi ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Nach Angaben der französischen Nachrichtenagentur AFP wird gegen Sanofi wegen fahrlässiger Körperverletzung und schwerer Täuschung im Zusammenhang mit dem Epilepsiemittel Depakine ermittelt. (s / Foto: imago images / PanoramiC)


Knapp 15.000 Schwangere in Frankreich sollen zwischen 2007 und 2014 das valproinsäurehaltige Epilepsiemittel Depakine eingenommen haben, obwohl das Fehlbildungsrisiko offenbar schon lange absehbar war. Deswegen waren sowohl die französischen Behörden als auch Hersteller Sanofi in die Kritik geraten. Gegen den französischen Pharmakonzern wurde nun ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Hier soll nun geprüft werden, ob Sanofi schwangere Patientinnen nicht ausreichend über die bekannten Risiken informiert hat.

Frankreichs Justiz hat gegen den Pharmakonzern Sanofi wegen des umstrittenen Epilepsie-Arzneimittels Depakine ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Das gab der französische Pharmakonzern am gestrigen Montagabend bekannt. Das Verfahren werde für das Unternehmen eine Gelegenheit sein, nachzuweisen, dass es seiner Informations- und Transparenzpflicht nachgekommen sei, hieß es in einer Mitteilung. Nach Angaben der französischen Nachrichtenagentur AFP wird gegen Sanofi wegen fahrlässiger Körperverletzung und schwerer Täuschung ermittelt.

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Risiko schwerwiegender Missbildungen bei Einnahme in der Schwangerschaft

Das Antikonvulsivum mit dem Wirkstoff Valproinsäure kann, wenn Mütter es während der Schwangerschaft einnehmen, bei Babys zu schwerwiegenden Missbildungen wie Neuralrohrdefekten, Kiefer-Lippen-Gaumenspalten und Schädigungen des Herzens oder der Nieren führen. Vor etwa zehn Jahren stellte sich zudem heraus, dass 30 bis 40 Prozent der Kinder aus solchen Schwangerschaften im Vorschulalter unter Entwicklungsstörungen oder einem verminderten Intelligenzquotienten leiden. Das Risiko für Autismus ist bei ihnen fünfmal höher als bei anderen Kindern. In Frankreich hatten Untersuchungen ergeben, dass Frauen unzureichend über diese Risiken aufgeklärt worden waren. Nach dem Bericht der Gesundheitsbehörden nahmen zwischen 2007 und 2014 knapp 15.000 Frauen das Medikament während der Schwangerschaft ein – obwohl das Fehlbildungsrisiko zu diesem Zeitpunkt schon lange bekannt war. Unklar blieb allerdings, für wie viele Kinder das Medikament tatsächlich gesundheitliche Folgen hatte. Das Medikament wird in Frankreich seit 1967 verkauft. Im Jahr 2016 entschied das französische Parlament, das Opfer entschädigt werden.

Die Staatsanwaltschaft hatte bereits 2015 Vorermittlungen eingeleitet und den Fall ein Jahr später an Ermittlungsrichter weitergegeben. Es wird geprüft, ob Sanofi schwangere Patientinnen nicht ausreichend über die bekannten Risiken informiert hat. Das Unternehmen versicherte nun, weiterhin mit den Justizbehörden zusammenarbeiten zu wollen. Das eingeleitete Verfahren kann am Ende zu einem Strafprozess führen, falls die Ermittler ausreichend Beweise sehen. Andernfalls können sie das Verfahren auch wieder einstellen.

Maßnahmen, um Valproat sicherer zu machen

Der Wirkstoff Valproinsäure ist in Deutschland unter anderem unter den Produktnamen Ergenyl, Orfiril und in Form zahlreicher Generika im Handel. Valproat wird nicht nur bei Epilepsie, sondern auch in der manischen Phase bei bipolaren Störungen eingesetzt. Im Jahr 2014 war das Risikoprofil von Valproat Gegenstand einer Überprüfung durch die EMA. Das damalige Ergebnis führte zur Verstärkung der Warnhinweise und Einschränkungen für die Anwendung bei weiblichen Jugendlichen und Frauen im gebärfähigen Alter. So soll der Wirkstoff bei ihnen seitdem nur noch eingesetzt werden, wenn andere Arzneimittel gegen Epilepsie und manischen Episoden bei bipolaren Störungen nicht wirksam sind oder nicht vertragen werden. Im Dezember 2014 stellte das BfArM dann als Teil der auf europäischer Ebene verabschiedeten Risikominimierungsmaßnahmen neben einem Rote-Hand-Brief auch Schulungsmaterialien und ein Formular zur Bestätigung über die Risikoaufklärung auf seiner Homepage bereit. Zudem sah das Risikobewertungsverfahren vor, dass auf europäischer Ebene Studien durchgeführt werden, die die Wirksamkeit der eingeleiteten Maßnahmen untersuchen.

Zweifel an den Auflagen

2016 wurden die Auflagen dann evaluiert. Es bleiben aber offenbar erhebliche Zweifel, ob alle Ärzte und Patienten davon ausreichend Kenntnis genommen haben. Seit 2017 müssen alle Packungen eine Patientenkarte enthalten. Außerdem äußerte die französische Arzneimittelbehörde ANSM Zweifel an der Wirksamkeit der Auflagen. Sie forderte die EMA auf, die bestehenden Maßnahmen zu evaluieren und möglicherweise weitere zu veranlassen, um das Risiko zu minimieren. Der PRAC (Pharmakovigilanzausschuss der EMA) prüfte die Sache und hielt weitere Maßnahmen für notwendig, um eine Einnahme von Valproat während der Schwangerschaft zu vermeiden. Er empfahl ein neues Schwangerschaftsverhütungsprogramm und neue Anwendungseinschränkungen. 

Ende 2018 informierten die Hersteller entsprechender Arzneimittel in einem Rote-Hand-Brief darüber. Demnach darf Valproat nur dann bei Mädchen und Frauen im gebärfähigen Alter angewendet werden, wenn andere Behandlungen nicht wirksam sind oder nicht vertragen werden. Eine Anwendung in der Schwangerschaft ist in allen Indikationen (Epilepsie, Migräneprophylaxe, bipolare Störung) kontraindiziert, einzige Ausnahmen sind Patientinnen mit Epilepsie, für die keine geeignete alternative Behandlung zur Verfügung steht. Soll Valproat bei Frauen im gebärfähigen Alter verschrieben werden, müssen die Bedingungen des Schwangerschaftsverhütungsprogramms eingehalten werden. Andernfalls ist es bei dieser Patientengruppe kontraindiziert.

Auch Apotheker sind involviert

Auch Apotheker spielen beim Schwangerschaftsverhütungsprogramm explizit eine Rolle. Sie müssen sicherstellen, dass

  • die Patientenkarte bei jeder Abgabe von Valproat ausgehändigt wird und dass die Patientinnen deren Inhalt verstehen,
  • auf die Sicherheitshinweise verstärkt eingegangen wird, insbesondere auf die Notwendigkeit zuverlässiger Verhütungsmethoden,
  • Patientinnen darüber informiert sind, die Anwendung von Valproat nicht abzubrechen und im Falle einer geplanten oder vermuteten Schwangerschaft unverzüglich einen Spezialisten aufzusuchen,
  • Valproat in der Originalverpackung mit einem außen angebrachten Warnhinweis abgegeben wird.

Außerdem wird darauf hingewiesen, dass Valproat in der Apotheke nicht ausgepackt werden sollte, wie es in einigen Ländern offenbar der Fall ist. Ist dies nicht zu vermeiden, müssen immer, sofern verfügbar, eine Kopie der Packungsbeilage, der Patientenkarte und der äußeren Verpackung mit abgegeben werden, heißt es im Rote-Hand-Brief.



dpa-afx / jb
redaktion@daz.online


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