Erfolg vor dem Bundesverwaltungsgericht

Hexal klagt erfolgreich auf OTC-Switch für Desloratadin

Berlin - 19.09.2019, 14:00 Uhr

Hexal ist für einen OTC-Switch bis vor das Bundesverwaltungsgericht gezogen. (Foto: dpa)

Hexal ist für einen OTC-Switch bis vor das Bundesverwaltungsgericht gezogen. (Foto: dpa)


Das Antihistaminikum Desloratadin wird es künftig auch verschreibungsfrei in Apotheken geben. Dafür hat vergangene Woche das Bundesverwaltungsgericht den Weg frei gemacht. Mit dem Urteil ist ein langjähriger Rechtsstreit beendet, den Hexal gegen das Bundesgesundheitsministerium geführt hat. 

Hexal kann sein Portfolio rezeptfreier Allergie-Arzneimittel bald erweitern. Schon in der Vergangenheit hat sich das Unternehmen dafür eingesetzt, dass verschiedene Wirkstoffe zur Behandlung von Allergien aus der Verschreibungspflicht entlassen wurden – etwa Mometason (MometaHexal®) und Levocetirizin. Bald dürfte es bei Hexal auch Desloratadin als Präparat für die Selbstmedikation geben. Dafür hat das Unternehmen diesmal besonders vehement kämpfen müssen: Denn obwohl der beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ansässige Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht bereits 2013 empfohlen hat, Desloratadin zur symptomatischen oralen Behandlung bei allergischer Rhinitis und Urtikaria bei Erwachsenen, Jugendlichen und Kindern ab zwei Jahren aus der Verschreibungspflicht zu entlassen, ist das Bundesgesundheitsministerium (BMG) nicht tätig geworden. Eine entsprechende Anpassung der Arzneimittelverschreibungsverordnung hat bis heute nicht stattgefunden. 

BMG verweist auf zentral zugelassene Präparate

Und das geschah nicht aus medizinischen Gründen – dass es sich um sichere Arzneimittel handelt, bezweifelte keiner. Vielmehr verwies das Ministerium darauf, dass es im deutschen Markt neben national zugelassenen Arzneimitteln mit dem Wirkstoff Desloratadin auch solche mit zentraler Zulassung gebe. Eine Entlassung aus der Verschreibungspflicht komme erst dann in Betracht, wenn die EU-Kommission dies auch für die zentral zugelassenen Arzneimittel anordne. 

Hexal ließ das nicht auf sich sitzen und bohrte nach. Und so erbat das BMG bei der EU-Kommission selbst eine Stellungnahme. Diese erklärte daraufhin, sie erkenne das Recht der EU-Mitgliedsstaaten an, selbst über die Verschreibungspflicht zu entscheiden. Dennoch hielt das BMG an seiner zuvor getroffenen Entscheidung fest. Aus Gründen der Arzneimittelsicherheit könne es keinen gespaltenen Markt für identische Produkte geben, so das Argument. Es sei nicht vermittelbar dass Arzneimittel mit identischer Risikolage teilweise verschreibungspflichtig sind und teilweise nicht. Daraufhin erhob Hexal Klage: Das Unternehmen wollte festgestellt wissen, dass es einen Anspruch auf Aufhebung der Verschreibungspflicht hat. 

Die erste Klage dieser Art

Damit betrat Hexal Neuland. Eine Klage dieser Art auf einen OTC-Switch hatte zuvor noch kein Unternehmen gewagt. Dafür gibt es Gründe: Rechtlich ist dies nicht ganz einfach. Das Verfahren zur Entlassung von Arzneimitteln aus der Verschreibungspflicht ist nicht gesetzlich oder durch eine Verordnung geregelt. Es sind verschiedene Behörden beteiligt: Ein BfArM-Ausschuss empfiehlt, das Ministerium greift dies dann in einer Verordnung, der der Bundesrat zustimmen muss, auf – oder eben nicht. Einen richtigen Verwaltungsakt, den man als Bürger oder Unternehmen juristisch angreifen könnte, gibt es nicht. Ebenso wenig einen direkten Anspruch. 

Hexal beweist langen Atem – und wird belohnt

Hexal hat es dennoch versucht und scheiterte damit zunächst. Das Verwaltungsgericht Köln hielt die Klage in erster Instanz zwar für zulässig, meinte aber, das BMG habe seine Entscheidung im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens getroffen (Urteil vom 22. September 2015, Az.: 7 K 6109/14). Im Berufungsverfahren ging es nicht besser aus für Hexal: Das Oberverwaltungsgericht Münster entschied, die Klage sei schon nicht zulässig (Urteil vom 17. Februar 2017, Az.: 13 A 2505/15). Hexal hätte die Angelegenheit auch direkt mit dem BfArM als Zulassungsbehörde klären können, insbesondere eine Änderungsanzeige abgeben können. Im Rahmen dieses Verfahrens hätte dann eine inzidente Prüfung der Arzneimittelverschreibungsverordnung stattfinden können.

Doch bei Hexal hatte man einen langen Atem und viel Zuversicht. Zunächst erstritt sich das Unternehmen die Zulassung der Revision zum Bundesverwaltungsgericht. Und das hat sich gelohnt:  Am 12. September verhandelten die Leipziger Richter den Fall und entschieden im Anschluss zugunsten des Pharmaunternehmens. Die Urteilsgründe liegen noch nicht vor, aber der Tenor ist deutlich:


Es wird festgestellt, dass die Aufrechterhaltung der Verschreibungspflicht für Desloratadin auch zur oralen Anwendung in den Indikationen allergische Rhinitis und Urtikaria bei Erwachsenen, Jugendlichen und Kindern ab zwei Jahren in Anlage 1 der Arzneimittelverschreibungsverordnung die Klägerin in ihren Rechten verletzt“. 

Aus dem Tenor des Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (Az.: BVerwG 3 C 3.18)


Das Urteil dürfte nicht nur Hexal, sondern auch andere OTC-Hersteller höchst fröhlich stimmen. Zunächst sind zwar die Urteilsgründe abwarten, aber die Erwartung dürfte groß sein, darin Hinweise zu finden, wie OTC-Switche künftig gezielter und erfolgreich angegangen werden können. Beim Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) sieht man das nicht ganz durchsichtige und oft schwerfällige Verfahren, ein Arzneimittel aus der Verschreibungspflicht zu entlassen, schon lange kritisch. Der BAH plädiert dafür, allein das BfArM über die Entlassung eines Arzneimittels aus der Verschreibungspflicht entscheiden zu lassen. 

BMG: Urteilsgründe auswerten, Handlungsbedarf prüfen

Bei Hexal hält man sich zum Ausgang des Rechtsstreits bedeckt. Doch es bedarf keiner allzu großen Phantasie, um sich vorstellen zu können, dass im Holzkirchener Unternehmen vergangene Woche die Sektkorken knallten. Die Vorbereitungen für den OTC-Launch dürften schon angelaufen sein. Bis die ersten Desloratadin-OTC –Präparate in die Apotheken kommen, wird es allerdings noch etwas dauern. Dass das BMG unmittelbar aktiv wird, steht nicht zu erwarten. Ein Sprecher verwies gegenüber DAZ.online darauf, dass das BMG „die Urteilsbegründung nach Eingang sorgfältig auswerten und ggf. erforderlichen Handlungsbedarf prüfen“ werde. Und es kann durchaus eine Weile dauern, bis das Bundesverwaltungsgericht die schriftlichen Gründe vorlegt. Doch dann wird das BMG die nächste Änderung der Arzneimittelverschreibungsverordnung angehen müssen.

Erinnerungen an die „Pille danach“

Der Fall weckt Erinnerungen an die „Pille danach“: Denn auch mit dem OTC-Switch für das Notfallkontrazeptivum Levonorgestrel (z. B. Pidana®) tat sich das BMG vor einigen Jahren sehr schwer. Der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht hatte sich bereits 2003 für eine Entlassung ausgesprochen, ohne dass das BMG dies aufgriff. Anfang 2014 erneuerte der Ausschuss seine Empfehlung. Sodann forderte der Bundesrat die Regierung auf, diesem Votum zu folgen. Doch das BMG sperrte sich weiterhin. Erst nachdem Anfang 2015 die EU-Kommission die Rezeptpflicht für den zentral zugelassenen Wirkstoff Ulipristal (EllaOne) europaweit aufhob, sah sich die Bundesregierung in Zugzwang – und entschied sich, auch das national zugelassene Levonorgestrel aus der Verschreibungspflicht zu entlassen. Seit Mitte März 2015 sind die entsprechenden Präparate ohne Rezept erhältlich. 



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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