3 mg NDMA in Zantac?

Ranitidin: US-Online-Apotheke gab entscheidenden Nitrosamin-Hinweis

Stuttgart - 17.09.2019, 10:14 Uhr

Die US-amerikanische Online-Apotheke Valisure gibt an, die FDA auf die NDMA-Verunreinigung in Ranitidin aufmerksam gemacht zu haben. Das Bild lässt erahnen, dass Ranitidin in den USA eine größere Rolle spielt als in Deutschland. ( r / Foto: imago images / ZUMA Press)

Die US-amerikanische Online-Apotheke Valisure gibt an, die FDA auf die NDMA-Verunreinigung in Ranitidin aufmerksam gemacht zu haben. Das Bild lässt erahnen, dass Ranitidin in den USA eine größere Rolle spielt als in Deutschland. ( r / Foto: imago images / ZUMA Press)


Sowohl die US-amerikanische (FDA) als auch die europäische Arzneimittelbehörde (EMA) untersuchen seit vergangenem Freitag, wie es zu der in Ranitidin gefundenen Nitrosaminverunreinigung NDMA kommen konnte und wie das dadurch entstehende Risiko für Patienten einzuschätzen ist. Zum Ausmaß der Verunreinigung äußerten sich die Behörden nicht näher. Die FDA sprach jedoch von „geringen Mengen“, erwähnte aber nicht, wie sie auf die Verunreinigung gestoßen ist. Nun meldet sich eine Online-Apotheke zu Wort und gibt an, aufgrund eigens durchgeführter Tests den Hinweis gegeben zu haben.

Eigenen Angaben zufolge hat die Online-Apotheke „Valisure“ den entscheidenden Hinweis geliefert, sodass seit vergangenem Freitag sowohl die US-amerikanische (FDA) als auch die europäische Arzneimittelbehörde (EMA) das H₂-Antihistaminikum Ranitidin näher auf Nitrosaminverunreinigungen untersuchen. Valisure wirbt damit, die einzige Apotheke zu sein, die jede Charge jedes Arzneimittels, das sie verkauft, selbst testet. Bei einem solchen Test ist die Apotheke offenbar auf NDMA (N-Nitrosodimethylamin) in Ranitidin gestoßen – Ranitidin wird bei Sodbrennen (auch im OTC-Bereich) und Magenulcera eingesetzt.

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Valisure verweist auf seinem Internetauftritt auf einen Artikel des Nachrichtenportals Bloomberg. Diesem ist zu entnehmen, dass NDMA in den USA sowohl im Originalprodukt Zantac® von Sanofi als auch in Generika gefunden wurde. In Deutschland gibt es Zantac® nicht. Laut Bloomberg wird Zantac® in Mexiko hergestellt, der Wirkstoff stammt aus Spanien.

Anders als die FDA spricht Valisure von „hohen“ Konzentrationen an NDMA, die in Ranitidin gefunden wurden: Die FDA habe noch nicht genügend Proben gesammelt, um eine Mengenangabe zu machen. Offenbar verwendet Valisure andere Testmethoden als die Behörden. Sobald sich die Behörden international auf eine Methode geeinigt hätten, werde man aber die Hersteller auffordern ihre Präparate entsprechend zu testen, erklärte die FDA gegenüber Bloomberg. Die FDA werde auch selbst testen und benötigt dazu Proben. Sie rechnet damit, dass es ein paar Wochen dauern wird, bis man mehr Informationen hat.

Wie das NDMA in Ranitidin-Fertigarzneimittel gelangt ist, weiß noch niemand. Die FDA geht aber vorläufig davon aus, dass es auf andere Weise in die Tabletten gelangt sein könnte als bei den Sartanen. Valisure nimmt offenbar an, dass NDMA in Ranitidin „inhärent“ vorkommt. 

Valisure soll deutlich höhere Konzentrationen gemessen haben

Was mit „inhärent“ gemeint sein könnte, verrät der Titel einer wissenschaftlichen Veröffentlichung vom Juni 2016: „Die orale Einnahme von Ranitidin erhöht die Harnausscheidung von N-Nitrosodimethylamin.“ Im zugehörigen Abstract heißt es, dass frühere Studien bereits gezeigt hätten, dass Amine N-Nitrosamine bilden können, wenn sie Nitrit und einem pH wie im Magensaft ausgesetzt sind. Bei einem Arzneimittel wie Ranitidin sei die N-Nitrosaminbildung unter diesen Bedingungen mit dieser Arbeit 2016 neu in vitro nachgewiesen worden.

Das mit dem Urin ausgeschiedene NDMA soll sich bei zehn Probanden nach Ranitidin-Einnahme (150 mg) über 24 Stunden von 110 auf 47.600 ng erhöht haben. Die vorübergehend tolerierte tägliche Aufnahmemenge für NDMA in Sartanen beträgt pro Tag lediglich 96 ng. 

In den Ranitidin-Pillen selbst soll Valisure bis zu 3.000 Mikrogramm NDMA gefunden haben. Das würde selbst die maximal in Sartanen gefundenen Mengen weit überschreiten (rund 20 Mikrogramm).

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Wasseraufbereitung: Ranitidin – ein Umweltproblem?

Aufgrund der hohen Verkaufsmenge und der in Oberflächen-, Grund-und Rohwässern nachgewiesenen Konzentrationen wird Ranitidin selbst zudem als potenziell umweltrelevant eingestuft. Das geht aus einem entsprechenden deutschen Dokument von 2011 hervor. Deshalb sind Ranitidin – sowie Nitrosamine – auch bei der Trinkwasseraufbereitung ein Thema. In einem anderen Dokument von 2011 heißt es: „In Magensaft kann sich in vitro aus Ranitidin ein Nitrosoderivat bilden, das im Ames-Test mutagen ist. Jedoch wurde bei Ranitidin-behandelten Patienten kein Anstieg der Mutagenität von Magensaft im Ames-Test gegenüber Kontrollpersonen beobachtet.“

Zur Nitrosaminbildung durch Ranitidin in der Wasseraufbereitung scheint es zahlreiche Untersuchungen zu geben. Wie das NDMA nun aber in den Tabletten selbst nachgewiesen werden konnte, scheinen auch diese „inhärenten“ Theorien nicht wirklich beantworten zu können. Eine Arbeit, die im November 2018 veröffentlicht wurde („NDMA impurity in valsartan and other pharmaceutical products:Analytical methods for the determination of N-nitrosamines“) spekuliert hingegen, dass auch die Exposition des Wirkstoffs Ranitidin gegenüber Luft und Licht zur Bildung von NDMA während der Lagerung führen könnte.

Wer ist Valisure und welche Rolle spielt Dimethylformamid?

Wer den Sartan-Skandal (um verunreinigte Blutdrucksenker) des Sommers 2018 näher verfolgt hat, dem dürfte der Name Valisure bekannt vorkommen. Denn während zunächst bestimmte Syntheseschritte als Ursache der Nitrosaminverunreinigungen in bestimmten Blutdrucksenkern ausgemacht wurden, standen zuletzt auch die eingesetzten Lösungsmittel im Fokus der Ursachensuche. Offenbar können sich die Nitrosaminverunreinigungen in wiederaufbereiteten Lösungsmitteln anreichern und so in die Arzneimittel gelangen.

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Valisure ging zuletzt sogar so weit, das Lösemittel DMF (Dimethylformamid) selbst anzuprangern: In einem öffentlichen Brief machte die Online-Apotheke darauf aufmerksam, dass auch DMF (und nicht nur Nitrosamine) noch in Valsartan-Fertigarzneimitteln nachweisbar sei. Zwar in erlaubten Mengen – doch die Apotheke mit angeschlossenem Labor hält diese Mengen für bedenklich und fordert die FDA auf, wie die Nitrosamin-Limits, auch die aktuellen DMF-Grenzwerte zu überdenken. Von der IARC (International Agency for Research on Cancer) wird Dimethylformamid seit 2018 nämlich, wie NDMA oder NDEA, in die Gruppe 2 A einsortiert (wahrscheinlich krebserregend für den Menschen). 

Wie diese Forderung einzuordnen ist, bleibt offen, die FDA scheint sich bislang nicht näher dazu geäußert zu haben.

Könnte auch bei Ranitidin das Lösungsmittel eine Rolle spielen?

Gerade das Lösungsmittel Dimethylformamid (DMF) spielt aber dennoch von Beginn an im Sartan-Skandal eine entscheidende Rolle.

Prof. Dr. Ulrike Holzgrabe und Dr. Helmut Buschmann erklärten in der DAZ 29/2018, dass sich DMF in geringen Spuren zu Dimethylamin zersetzen kann (thermisch oder auch basenkatalysiert). Die Bildung von Dimethylamin aus DMF sollte per se zwar kein Problem darstellen. „Aber die gleichzeitige Anwesenheit von Natriumnitrit führt dazu, dass sich aus dem Abbauprodukt des DMF-Lösungsmittels unter Reaktion von Nitrit-Ionen die Bildung von NDMA bedingt.“

Wie das NDMA letztlich ins Ranitidin kommt, müssen die Behörden und Wissenschaftler nun klären. Allerdings verrät ein Patent von 1986, dass DMF auch in der Ranitidin-Synthese zum Einsatz kommen kann.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Lösung im Patent

von Captain Obvious am 18.09.2019 um 15:08 Uhr

Würde man eine Synthese von Ranitidin nach dem Patent von 1986 voraussetzen, dann wäre der Einfluss von DMF sicherlich nahezu unerheblich, denn es wird Dimethylamin als Edukt direkt zur Synthese verwendet.
Folgt man also der Erklärung von Prof. Holzgrabe, dann kann eine Verunreinigung der Synthese durch Natriumnitrit logischerweise zu deutlich größeren Mengen NDMA führen, als bei bloßer Zersetzung von DMF.

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