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Expertentreffen Parallelimporte
„Bitte nicht schütteln“ – Warum Biopharmazeutika so transportsensibel sind
Im Zuge der sogenannten Lunapharm-Affäre wurde auch der breiten Öffentlichkeit klar: Biopharmazeutika können durch unsachgemäßen Transport an Wirksamkeit verlieren. Warum proteinbasierte Arzneimittel so empfindlich sind und was das mit dem Lunapharm-Skandal zu tun hat, darum ging es vergangene Woche auf einem Expertentreffen zu Importarzneimitteln in Berlin, veranstaltet von der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft und „House of Pharma“.
Was hat ein Spiegelei mit dem Transport von Biopharmazeutika zu tun? Nun, Temperaturveränderungen können Eiweiße irreversibel verändern. Werden proteinhaltige Arzneimitteln zu warm oder zu kalt, kann dies zum Wirkverlust oder zu erhöhter Immunogenität führen, auch wenn die Veränderung makroskopisch nicht immer zu erkennen ist.
3D-Struktur für Wirksamkeit entscheidend
Was die besonderen physikalischen Eigenschaften von Biologika für die Importsicherheit bedeuten, darüber diskutierten Apotheker und Behördenvertreter auf einem Expertentreffen zu Parallelimporten in Berlin. Die Veranstaltung, bei der unter anderem Professor Martin Schulz (Vorsitzender AMK), Dr. Gert Wolf (Sanofi-Aventis) und Professor Stefan Vieths (Vizepräsident Paul-Ehrlich-Institut) referierten, wurde von der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG) und „House of Pharma and Healthcare“ organisiert.
Proteine sind dreidimensionale Gebilde, deren Struktur durch Disulfidbrücken, Wasserstoffbrücken, hydrophobe Wechselwirkungen sowie durch elektrostatische Anziehung entgegengesetzt geladener Aminosäurereste bestimmt wird, erläuterte Dr. Gert Wolf (Sanofi-Aventis). Der Biologika-Experte erklärte den Teilnehmern, welche Auswirkungen Temperaturschwankungen auf die biologische Aktivität von proteinbasierten Arzneimitteln haben können.
Nicht zu warm, nicht zu kalt
Und zwar sei die Wirksamkeit von einer intakten Proteinstruktur abhängig, deren Stabilität nur in einem bestimmten Temperaturintervall gegeben sei. Ungekühlte Transporte oberhalb von 8 Grad Celsius könnten bei einigen Biopharmazeutika zu oxidativem Stress führen, wodurch beispielsweise Wasserstoff- oder Disulfidbrücken gelöst werden könnten. Dies könne zur Aggregation von Proteinen führen.
Einfrieren könne sich allerdings ebenfalls fatal auf die biologische Wirksamkeit auswirken, weil lokale Unterschiede in den Pufferkonzentrationen zu pH-Schwankungen führten. Außerdem könnten die Packmittel bei zu tiefen Temperaturen feinste Risse bekommen, durch die Mikroorganismen eindringen könnten.
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Auch mechanischer Stress, wie er bei längeren Transporten entstehe, könne bei proteinhaltigen Lösungen zu Ausfällungen führen, da sich die Wasser-Luft-Grenzflächen in den Flaschen, an denen Proteine zur Aggregation neigen, durch das Schütteln erheblich vergrößerten. Dieses Problem trete vor allem bei Flaschen und Vials auf. Biologika in Form von Lyophilisaten seien weniger gefährdet.
Komplexe Vertriebswege von Importarzneimitteln
Zwar sei die Temperatur bei einem Arzneimitteltransport innerhalb der klassischen Lieferkette Hersteller-Großhändler-Apotheke mit Temperaturloggern gut zu überwachen. Beim Parallelimport oder -vertrieb seien die Arzneimittelvertriebswege allerdings wesentlich komplizierter, erklärte Professor Schulz (Vorsitzender AMK). Dabei wanderten die Arzneimittelpackungen zusätzlich durch die Hände von Umpackern, Logistikdienstleistern, Zwischengroßhändlern oder Parallelvertreibern und passierten oft mehrere Landesgrenzen.
Jeder zusätzliche Zwischenschritt könne Unterbrechungen der Kühlkette oder sonstige Fehler beim Transport begünstigen. Die Lieferkette sei oft völlig intransparent und damit anfällig für das Einschleusen gefälschter Ware, wie es vor fünf Jahren mit gestohlenem Herceptin aus Italien und im vergangenen Sommer im Zuge der sogenannten Lunapharm-Affäre mit verschiedenen Onkologika, die mutmaßlich unter anderem aus Griechenland gestohlen worden sein sollten, geschehen sei.
Schulz: Securpharm schützt nur bedingt
Sind durch die Umsetzung der Fälschungsschutzrichtlinie künftige Gefahren gebannt? „Was Securpharm betrifft, habe ich eine schlechte Nachricht für Sie“, mahnte Schulz. Zum einen seien ausgerechnet Griechenland und Italien, wo es in der Vergangenheit Fälschungsvorkommnisse gegeben hatte, bis auf weiteres ausgenommen. Zum anderen handele es sich bei Securpharm lediglich um eine End-to-End-Verifikation, die vor kriminellen Energien nur bedingt schütze.
Betroffene oft schwer zu identifizieren
Aufgrund des internationalen Preisgefälles sei es attraktiv, hochpreisige Onkologika nach Deutschland zu schmuggeln. Bei gefälschten Krebsmedikamenten lasse sich im Nachhinein schwer feststellen, ob sie aufgrund des unsachgemäßen Transportes unwirksam geworden seien oder ob der Patient aufgrund seiner Erkrankung des Tumors eine Verschlechterung erlitten habe oder verstorben sei. „Erklären Sie das mal den Angehörigen“, appellierte Schulz.
Die Betroffenen im Falle eines Arzneimittelskandals ausfindig zu machen, sei jedoch schwierig, erklärte Professor Vieths vom Paul-Ehrlich-Institut. Zum einen wegen der komplexen Vertriebswege. Hinzu käme, dass sich die Interessen der Strafverfolgungsbehörden nicht immer mit denen der Überwachung deckten. So wolle die Justiz, um laufende Ermittlungen nicht zu gefährden, so wenige Informationen wie möglich preisgeben.
Überwachungsbehörden sollen Proteinanalytik lernen
Wenn Securpharm nicht komplett vor kriminellen Energien schützt, wie lässt sich die Sicherheit von Importarzneimitteln verbessern? Vieths schlug vor, dass Importe nur aus demjenigen Land erfolgen sollten, wo die Arzneimittel hergestellt werden, um die Lieferkette zu vereinfachen.
Außerdem fanden es einige Teilnehmer wünschenswert, wenn sich die Überwachungsbehörden die Analytik von Biopharmazeutika aneignen würden, um nicht vom Originalhersteller abhängig zu sein. Der Nachweis der Wirksamkeit von Biologika erfolgt in Form von speziellen „Potency-Tests“. Da diese sehr aufwändig sind, musste beispielsweise das Land Brandenburg im vergangenen Jahr einige bei Lunapharm sichergestellten Rückstellmuster von der Firma Roche analysieren lassen.
5 Kommentare
biopharmazeutische Medikamente-Lunapharm
von Gunter Kowalski am 29.05.2019 um 10:34 Uhr
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biopharmazeutische Medikamente- Lunapharm
von Gunter Kowalski am 27.05.2019 um 10:44 Uhr
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AW: biopharmazeutische Medikamente
von Michael Ostwald am 29.05.2019 um 8:23 Uhr
biopharmazeutische Medikamente, Lunapharm
von Günter Kowalski am 06.05.2019 um 23:50 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort
AW: biopharmazeutische Medikamente
von Michael Ostwald am 27.05.2019 um 8:28 Uhr
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