- DAZ.online
- News
- Pharmazie
- WHO-Leitlinie ...
Zuletzt aktualisiert 1996
WHO-Leitlinie Tumorschmerzen: Vom Stufenschema zur Patientenzentrierung
Möglichst oral, in fixen Zeitabständen und patientenindividueller Dosierung: Das und vieles mehr empfiehlt die WHO beim Management von Tumorschmerzen. Die neue WHO-Tumorschmerz-Leitlinie, die vor einigen Tagen erschienen ist, beschreibt den Einsatz in den einzelnen Behandlungsphasen sowie die Verwendung von Adjuvantien wie beispielsweise Glucocorticoiden.
Krebs hat viele Gesichter. Schmerz ist der gemeinsame Nenner der meisten Entitäten. Nach Angaben der WHO leiden 55 Prozent der Tumorpatienten unter Schmerzen, die entweder durch den Tumor direkt oder dessen Behandlung verursacht werden. In fortgeschrittenen Stadien sind es zwei Drittel.
Vor einigen Tagen hat die WHO eine neue Leitlinie zur Behandlung von Tumorschmerzen bei Erwachsenen und Jugendlichen verabschiedet. Das 140-seitige Dokument richtet sich an Mediziner, Apotheker, Pflegekräfte und Angehörige. Die letzte Version der WHO-Empfehlungen zu Tumorschmerzen stammt aus dem Jahre 1996.
Die Symptomatik entscheidet
Im Mittelpunkt dieser Vorversion stand das WHO-Stufenschema aus dem Jahre 1986, das inzwischen auch in zahlreiche nationale Leitlinien Einzug gehalten hat. Diesem dreiteiligen Schema zufolge beginnt eine Schmerztherapie mit einem Nicht-Opioid-Analgetikum, die nächste Eskalationsstufe bildet ein schwach wirksames Opioid (z.B. Tramadol oder Codein) und die dritte Stufe fußt auf einem starken Opioid (z.B. Morphin oder Fentanyl). Adjuvanzien wie etwa Antidepressiva können in allen drei Phasen eingesetzt werden.
Die aktuelle Leitlinie gibt mehr Raum für Flexibilität bei der Medikamentenauswahl und orientiert sich vor allem an der Symptomatik des Patienten. Das dreiteilige Stufenschema sei nach wie vor ein hilfreiches Modell, aber müsse nicht wie ein striktes Protokoll befolgt werden, schreiben die Autoren im Vorwort der aktuellen Neufassung. So könne die analgetische Behandlung entweder mit Paracetamol, einem NSAR oder auch direkt mit einem Opioid begonnen werden – entweder als Monotherapie oder in Kombination. Wird ein Patient mit mittleren oder starken Schmerzen vorstellig, soll er direkt mit einem Opioid behandelt werden.
Schnellfreisetzende Formulierungen bereithalten
Auch in der weiteren Fortführung der Therapie richten sich die Wahl des Analgetikums und die Dosierung nach dem Patienten. Zur Erhaltungstherapie kommen prinzipiell Opioide in Frage – alleine oder in Kombination mit einem Nicht-Opioid.
Die Basis-Schmerzkontrolle mit Opioiden kann entweder mit Retardformen, die in längeren Zeitabständen gegeben werden, erfolgen oder mit schnell freisetzenden Arzneiformen, die der Patient häufiger einnimmt. Leidet der Patient unter Durchbruchschmerzen, sollten ihm schnellfreisetzende Formulierungen als zusätzliche Notfalldosis zur Verfügung stehen, auch wenn seine Basistherapie mit retardierten Arzneimitteln erfolgt.
Welche Alternativen gibt es?
Soll die Opioidtherapie infolge einer Abhängigkeit beendet werden, sollte das Absetzen schrittweise erfolgen, um die Entzugssymptomatik gering zu halten. In welchen Fällen eine Abhängigkeit tolerabel ist, ist möglicherweise eine individuelle Entscheidung. An dieser Stelle ist zudem anzumerken, dass es auch Patienten gibt, die Opioide etwa wegen ihrer emetischen Nebenwirkungen auch dann nicht vertragen, wenn sie zusätzlich Antiemetika einnehmen.
Welche alternativen Analgetika Patienten anstelle von Opioiden bekommen könnten, lässt die Leitlinie allerdings offen. Eine verträgliche Alternative, die nicht erwähnt wird, würden Cannabisarzneimittel darstellen. Weniger verträglich aber noch stärker wirksam als Opioide ist der Calciumantagonist Zicotonid, der allerdings intrathekal verabreicht werden muss. Ansonsten gibt es kaum Analgetika, die hinsichtlich ihrer Wirksamkeit an Opioide heranreichen. Flupirtin wurde in Europa wegen leberschädigender Nebenwirkungen vom Markt genommen.
Die vier Säulen der onkologischen Schmerztherapie
Für die tägliche Praxis gibt die WHO den Heilberufen vier Grundprinzipien für die Schmerzkontrolle bei Tumorpatienten auf den Weg:
- „by mouth“: Soweit möglich ist die orale Gabe zu bevorzugen. Die zweitbeste Lösung ist ein transdermales System. Wenn gespritzt werden muss, eignet sich die subkutane Applikation besser als die intramuskuläre, weil sie schmerzärmer ist.
- „by the clock“: Die Analgetikadosen sollen in fixen Zeitintervallen gegeben werden und die Dosierung so lange gesteigert, bis eine effektive Linderung zustande kommt. Eine Notfalldosis bei Durchbruchschmerzen (siehe oben) ist eine zusätzliche Maßnahme und sollte nicht die nächste Dosis der Basisbehandlung ersetzen.
- „for the individual“: Die Menschen sprechen unterschiedlich auf die Wirkungen und Nebenwirkungen der Analgetika an. Deshalb richten sich Arzneistoffauswahl und -dosierung nach dem Patienten.
- „with
attention to detail“: Heilberufe sollten den
Patienten oder Angehörigen einen detaillierten Medikationsplan mitgeben, bei
dem die Dosierungen und Intervalle verständlich dargestellt sind. Eine gründliche Aufklärung über Risiken und
Nebenwirkungen gehört ebenfalls dazu.
Dieselben Punkte wurden auch in der Vorversion genannt, die allerdings noch einen zusätzlichen fünften Punkt enthielt, nämlich das Stufenschema zu befolgen ("by the ladder").
Glucocorticoide mit geringer mineralcorticoider Wirkung
Zusätzlich zu direkt wirkenden Analgetika werden sogenannte Adjuvantien oder Ko-Analgetika verabreicht, welche die Wirkung der Schmerzmittel unterstützen können. Ein bekanntes Beispiel sind Antidepressiva oder Antiepileptika. In der Onkologie werden auch Glucocorticoide gegeben, wenn durch den Tumor ein perineurales Ödem entstanden ist, das zusätzliche Schmerzen verursacht. Bei dieser Indikation empfehlen die Leitlinienautoren, die Steroide möglichst kurzfristig anzuwenden und Steroide vorzuziehen, deren mineralocorticoide Komponente möglichst gering ist.
Weitere Empfehlungen betreffen den Einsatz von Bisphosphonaten und der Radiotherapie bei Knochenschmerzen, die gleichzeitig auch kausale Therapieansätze darstellen.
Ergänzend zur pharmakologischen oder radiologischen Behandlung weisen die Autoren auf die Bedeutung von psychosozialer Betreuung hin.
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.