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Influenzasaison 2018/19
Wer ist schuld am Grippeimpfstoffmangel? (2)
Welchen Einfluss haben Vorbestellungen seitens der Apotheke überhaupt auf die tatsächlich produzierte Menge an Grippeimpfstoffen? Zwar sind Vorbestellungen teilweise bis Mai möglich – an diesem Punkt ist jedoch die Antigenherstellung längst abgeschlossen. Und: Hat der G-BA schlicht getrödelt, seinen Beschluss pro Vierfach-Grippeschutz zu fassen? Warum also reichen die Influenzavakzine 2018/19 nicht? Hier der zweite Teil unserer Analyse zur Versorgungssituation.
Im Zuge um die derzeitigen Versorgungsschwierigkeiten bei den Grippeimpfstoffen betonen die Hersteller unermüdlich, wie wichtig Vorbestellungen seitens der Ärzte und Apotheker bei Grippeimpfstoffen sind. Stimmt das wirklich? Es stellt sich nämlich durchaus die Frage: Welche Rolle spielen Vorbestellungen bei der produzierten Menge überhaupt? Denn ist es nicht so, dass Grippeimpfstoffe – zumindest hierzulande – derzeit noch in vorbebrüteten Hühnereiern produziert werden? Die Anzahl der Eier bestimmt unter anderem die produzierte Menge an Antigen – und somit auch die Menge der am Ende fertigen Grippeimpfstoffe. Ein grober Anhaltspunkt ist, dass pro Ei eine Impfdosis entsteht. Da diese Eier nicht gerade 08/15-Eier aus dem Tante-Emma-Laden nebenan sind, müssen diese perfekt ovalen, weißen Serumeier mit einem Gewicht zwischen 52 und 56 Gramm bereits rund 18 Monate vor der Grippesaison bestellt werden, in der der darin produzierte Impfstoff letztendlich zum Einsatz kommt.
Zeitpunkt der Vorbestellung: Antigenproduktion längst abgeschlossen
Allerdings stolpert man hier unweigerlich darüber, dass Ärzte und Apotheken ihren Grippeimpfstoffbedarf ja nicht anderthalb Jahre vorher, bereits zur Serumeibestellung, anmelden, sondern deutlich später. In diesem Jahr war dies laut GSK bis Ende Mai möglich, bei Sanofi konnten Apotheken sogar bis Ende Juni Grippeimpfstoffe vorbestellen. Wie passt das zusammen? Die Antigenproduktion beginnt laut GSK im Dezember des Vorjahres. DAZ.online erfuhr beim Besuch der Influsplit®-Produktion in Dresden, dass die Antigenherstellung im darauffolgenden Mai abgeschlossen ist. Welchen Einfluss haben also Vorbestellungen zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch? Mehr Antigen kann nicht mehr produziert werden, falls die Nachfragen nach Influenzavakzinen wider Erwarten exorbitant steigen würden.
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Fragt man GSK, so heißt es, dass das späte „Closing“ der Vorbestellfrist 2018 eine absolute Ausnahme war, geschuldet der gesetzlichen Änderung des AMVSG und der ausstehenden Entscheidungen einiger Kassenärztlichen Vereinigungen. „Normal ist: Bis Ende März muss die Bedarfsplanung abgeschlossen sein.“ Dennoch ist Mai wohl ein kritischer Zeitpunkt für die Grippeimpfstoffproduktion. Dr. Anke Helten von GSK erklärt, warum.
Abpackung wichtig für Spritzenmenge
„Der besagte Zeitpunkt ist für uns sehr wohl kritisch, weil wir neben der Antigenproduktion auch die Abfüllung und Verpackung planen müssen. Gerade die Verpackung (andere Länder, andere Packungen) ist für uns die letzte Gelegenheit bei geringer Nachfrage in einem Land, die abgefüllten Spritzen in eine andere Packung zu konfektionieren“. Somit entscheidet auch die finale Abpackung, welches Land wie viel Grippeimpfstoff erhält und nicht allein die produzierte Antigenmenge. Dabei orientiert man sich laut Helten „an der Menge vorbestellter Dosen, der Gesamtnachfrage in der Vorsaison und der Marktanteilsverteilung sowie dem Marktzugang.“
Zu letzterem Punkt: Sei der Marktzugang durch Verträge mit einer Verordnungssteuerung zu einem oder mehreren Anbietern blockiert, können die betroffenen KV-Regionen bei der Planung nicht berücksichtigt werden. So geschehen auch in dieser Grippesaison: Als einziger Influenzaimpfstoffproduzent ging Mylan auf das Festpreismodell der AOK Nordost in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern ein und erklärte sich bereit, sein Influvac® Tetra zu dem im Nordosten vereinbarten Preis zu liefern.
Wie laufen bei Vorbestellungen bei GSK?
GSK beginnt im ersten Quartal mit der Vorreservierung beim Arzt. Die Nachfrage beim Arzt sei ein erster Anhaltspunkt, ob die Planung passe, erklärt die GSK-Sprecherin. Danach besuche man die Apotheken, die erfahrungsgemäß die georderte Menge der Ärzte noch einmal aufstocke. „Die Summe aus Arzt- und Apothekenreservierung ist essenziell für uns – darüber hinaus liefern wir noch Ware für den Markt – das aber erst später und mengenmäßig kleiner“, so Helten.
„Es muss unterschieden werden zwischen vorbestellter Ware und Saisonware. Vorbestellte Ware wird von uns primär ausgeliefert. Es gibt hier also eine höhere Sicherheit, Impfstoff zu erhalten. Saisonbestellungen können nur dann berücksichtigt werden, wenn nach Abzug der vorbestellten Impfdosen noch weiterer Impfstoff verfügbar gemacht werden kann. Wenn die Ausbeute bei der Produktion gering ist, verringert sich die verfügbare Saisonware“, so Anke Helten. Auch in der Saison könnten Apotheken jedoch Ware bestellen. Nun scheint aber in diesem Jahr exakt diese Situation eingetreten zu sein. Laut GSK, Sanofi und Mylan konnten alle Vorbestellungen bedient werden, nun hapert es an der Saisonware.
Welche Rolle spielte der G-BA?
Worauf GSK hier wohl anspielt, ist nicht zuletzt die späte Entscheidung des G-BA, dass Influenzaimpfungen künftig standardmäßig statt mit einer trivalenten mit einer tetravalenten Vakzine durchgeführt und auch von den Krankenkassen erstattet werden. Die soll ihren Anteil zu einer zögerlichen Vorbestellung der Impfstoffe beigetragen haben und zur angespannten Versorgungssituation aktuell.
Hätte sich der G-BA mehr beeilen müssen?
Zur Erinnerung: Die Ständige Impfkommission (STIKO) sprach bereits am 11. Januar dieses Jahres offiziell ihre Empfehlung für eine Vierfach-Grippeimpfung aus. „Zu Änderungen der Empfehlungen der Ständigen Impfkommission hat der Gemeinsame Bundesausschuss innerhalb von drei Monaten nach ihrer Veröffentlichung eine Entscheidung zu treffen“, heißt es in § 20i Abs. 1 S. 5 SGB V. Die Frist von drei Monaten zur Umsetzung der STIKO-Empfehlung durch den G-BA beginnt mit Veröffentlichung der wissenschaftlichen Begründung im Epidemiologischen Bulletin. Am 5. April schließlich folgte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) dieser STIKO-Empfehlung in seiner Plenumsitzung. Die Schutzimpfungs-Richtlinie wurde dahingehend präzisiert. Erfahrungsgemäß folgt der G-BA den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission. Das betonte auch der G-BA-Vorsitzende Professor Josef Hecken bereits im Januar 2018:
In der Vergangenheit hat der G-BA die Empfehlungen der STIKO in der weit überwiegenden Anzahl der Fälle eins zu eins in die Schutzimpfungsrichtlinie übernommen. Deshalb besteht – vorbehaltlich der Ergebnisse der endgültigen Beratung – heute keinerlei Anlass für Erklärungen, Berichte oder Spekulationen, in denen über eine Nichtumsetzung der STIKO-Empfehlung in Schutzimpfungsrichtlinie des G-BA [...] gemutmaßt wird.“
G-BA kürzte Frist zur Stellungnahme
Nach Heckens Aussage schien es in der Tat recht sicher, dass die Vierfach-Impfung auch tatsächlich die Dreifach-Grippeimpfung beim Grippeschutz ablöst. Allerdings Sicherheit bringt letztendlich nur der G-BA-Beschluss zu Änderung der Schutzmpfungs-Richtlinie. Hätte sich der G-BA nicht einfach ein bisschen mehr beeilen können? DAZ.online hat beim Gemeinsamen Bundesausschuss nachgefragt: „Der G-BA hat die ihm nach dem Gesetz eingeräumten Möglichkeiten zur Verkürzung der Frist für das gesetzlich vorgesehene Stellungnahmeverfahren zur Einbeziehung der Bundesärztekammer ausgeschöpft“, erklärt Gudrun Köster, Sprecherin des G-BA. Die Stellungnahmefrist soll nicht kürzer als vier Wochen sein, erklärt der G-BA auf seiner Homepage. Im Falle der Influenzavakzine machte man jedoch eine Ausnahme, hier dauerte sie nur vom 20. Februar bis 15. März 2018. Zur Einhaltung der gesetzlichen Frist bei der Umsetzung der STIKO-Empfehlung innerhalb von drei Monaten ist es im vorliegenden Fall mit Blick auf die im Voraus ganzjährig geplanten Sitzungstermine des Unterausschusses und des Plenums ausnahmsweise gerechtfertigt die Stellungnahmefrist um wenige Tage zu verkürzen, heißt es in den Tragenden Gründen zum Verfahrensablauf.
Resümee: Wer ist schuld am Desaster?
Wer ist also schuld am Grippeimpfstoffmangel? Wie heißt es immer so schön – die Ursachen sind wohl multifaktoriell. Den Herstellern helfen Vorbestellungen, um ihre Produktion planen zu könne. Sie leben vom Verkauf – welches Interesse sollten sie also haben, absichtlich zu wenig Grippeimpfstoff zur Verfügung zu stellen? Nur was da ist, kann schließlich auch verkauft werden. Jedoch Millionen Impfstoffe jährlich zu entsorgen – das liegt sicherlich nicht im wirtschaftlichen Interesse, weder in dem der Industrie noch in dem von Ärzten und Apothekern. Insofern kann man auch Ärzte und Apotheker verstehen. Vorbestellungen sind mit Risiken behaftet. In diesem Jahr noch mehr als zuvor, denn auch wenn der G-BA in aller Regel den Empfehlungen der STIKO bei Umsetzung der Impfempfehlungen folgt – hätte er dies nicht getan, säßen die Heilberufller auf ihren Vierfach-Impfstoffen: Die Ärzte könnten diese nicht abrechnen, und die Apotheker würden sie folglich an die Ärzte auch nicht los. Auch diese Heilberufe haben herzlich wenig Interesse an Regressen oder Verlusten – zumal eine Apotheke an einem Grippeimpfstoff im Sprechstundenbedarf rund 1 Euro verdient. Sich dafür schlaflose Nächte schaffen? Neben diesen Variablen hat auch jeder Bürger – zumindest diejenigen, denen eine Grippeimpfung empfohlen wird – seinen Part. Und nun kann man aber den eventuell impfeifrigeren Patienten in diesem Jahr ebenfalls schwerlich einen Vorwurf machen, nur jammern sollten sie vielleicht nicht gerade. Wenigstens diejenigen nicht, die sich in den letzten Jahren einen Pfifferling um ihren Grippeschutz geschert hatten.
1 Kommentar
Fipronil?
von A. Grossmann am 17.12.2018 um 8:04 Uhr
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